Die Tiefsee als Schatzkammer der Menschheit
Weiter als 200 Seemeilen vom Festland entfernt gehört das Meer der gesamten Menschheit und heißt im Seerecht schlicht „The Area“. Auf dem Meeresgrund liegen hier viele Milliarden Tonnen wertvoller Bodenschätze. Zahlreiche Staaten wollen diesen Reichtum heben. Meeresforscher untersuchen, ob die Lebewesen den Tiefseebergbau überleben würden.
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Es ist Zukunftsmusik, die nun schon fast ein halbes Jahrhundert lang spielt: Der Abbau von mineralischen Rohstoffen in der Tiefsee. Unser moderner Lebenswandel treibt die Nachfrage nach Rohstoffen weiter in die Höhe, an Land sind viele Vorkommen nahezu erschöpft. Bis heute wird kein Tiefseebergbau betrieben, aber viele prognostizieren ihn für die nahe oder fernere Zukunft. Und auch Deutschland hat sich Lizenzen für die Tiefsee gesichert: Im Pazifik befinden sich zwei insgesamt 75.000 Quadratkilometer große deutsche Lizenzgebiete. Diese liegen nicht weit vom Äquator in der Clarion-Clipperton Zone zwischen Hawaii und Mexiko.
Der Meeresboden in fünftausend Metern Tiefe ist hier übersät mit Millionen Tonnen von Manganknollen – größere Exemplare sehen wie ein pechschwarzer Blumenkohl aus, kleinere Klumpen erinnern an Pferdeäpfel. Bis zur blumenkohlgroßen Knolle sind viele Millionen Jahre vergangen, erklärt Dr. Andrea Koschinsky:
Manganknollen entstehen ziemlich langsam, also die wachsen so Millimeter bis Zentimeter pro Millionen Jahre durch das, was sich von oben in der Wassersäule nach unten bewegt.
Die Professorin von der Jacobs University Bremen beschreibt, wie sich Material Schicht um Schicht um einen festen Kern am Meeresboden ablagert:
Wir haben da schon alle möglichen Kerne gefunden: Fischzähne zum Beispiel, das können alte Manganknollenbruchstücke sein, das können auch Bruchstücke von vulkanischem Gestein sein, also eigentlich ist es egal, es muss nur eine feste Oberfläche bieten, um die herum die Bildung der Manganknollen anfangen kann.
Neben Mangan enthalten sie wertvolle Rohstoffe wie Kupfer, Nickel und Kobalt und Seltene Erden.
Seltene Erden sind gar nicht so selten, wie der Name implizieren mag, also sie sind schon weit verbreitet in der Erde, zum Beispiel auch in den Manganknollen. Sie sind wirtschaftlich von Interesse, weil sie ganz bestimmte Eigenschaften haben, wie zum Beispiel für Magnete, die sie besonders begehrt machen.
Benötigt werden die Seltenen Erden zum Beispiel für Windräder und für Handys.
Die Rohstoffe kommen im Meer nicht nur in Manganknollen vor, sondern auch in kobaltreichen Krusten und in Massivsulfiden. Die meisten Rohstoffe liegen außerhalb der nationalen Hoheitsgebiete – mehr als 200 Seemeilen vom Festland entfernt.
Das bedeutet, dass der Abbau international geregelt werden muss. Nach dem United Nations Law of the Sea, das 1992 verabschiedet wurde, bedeutet das, dass die Rohstoffe der gesamten Menschheit gehören. Das heißt, keine einzelne Person oder kein Staat besitzt diese Vorkommen, die es da in der Tiefsee gibt.
Dr. Matthias Haeckel ist Geochemiker am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Seerechtler nennen das Gebiet, das zu keinem Land gehört und etwa die Hälfte des Planeten ausmacht, „The Area". Alle Rohstoffvorkommen in der Area gehören der gesamten Menschheit. Außerdem gilt das Vorsorgeprinzip:
Das bedeutet eigentlich, dass man keinen Eingriff in das natürliche System vornehmen sollte, wenn man die Folgen nicht wirklich abschätzen kann. Sprich, wenn man das wirklich ernst nehmen würde, dann würde man eigentlich keinen Tiefseebergbau machen können.
Rohstoffhaltige Gebiete sind Lebensraum für viele Arten, die sich genau auf diese Umgebung spezialisiert haben.
Die Manganknollenfelder sind sehr wichtige Ökosysteme, weil sie einzigartig sind. Sie befinden sich in großen Tiefen von über 4000 Metern. Schon das macht sie einzigartig und hinzukommt, dass sie den Lebewesen in der Tiefsee eine harte Oberfläche bieten, auf der sie wachsen können. Der Meeresboden in der Tiefsee besteht üblicherweise aus weichem Sediment, in und auf dem viele Organismen leben, aber Manganknollen bieten ein Hartsubstrat, an dem sich Tiere festsetzen können. Das unterscheidet sie von anderen Tiefseeebenen.
Die Biologie-Professorin Dr. Ann Vanreusel von der Universität Gent in Belgien beschreibt die unterschiedlichen Arten, die sich speziell auf Manganknollen ansiedeln:
Jüngste Forschungen mit dem Forschungsschiff SONNE haben gezeigt, dass vor allem Schwämme, aber auch kleine Weichkorallen, Foraminiferen und Seeanemonen die Manganknollen als Hardsubstrat nutzen. Es gibt dort also verschiedene Lebewesen, aber wir wissen noch nicht genau, welche Arten auf den Manganknollen leben.
Auf mehreren Schiffsexpeditionen ging die Biologin der Frage nach, ob die Artenvielfalt davon abhängt, wie dicht der Meeresboden mit Manganknollen bedeckt ist und ob Lebewesen abgeerntete Gebiete wieder neu besiedeln können.
Erstaunlich war, dass es in Gebieten ohne Manganknollen nicht nur weniger festsitzende Arten gibt, sondern hier auch weniger mobile Arten vorkommen. Wir hatten eigentlich erwartet, dass mobile Arten nicht auf die Manganknollen angewiesen sind. Wir konnten zum Beispiel beobachten, dass Schlangensterne, die sehr beweglich sind, trotzdem etwas zum Festhalten als Lebensraum brauchen.
Viele Organismen leben in den oberen fünf bis zehn Zentimetern des Meeresbodens, die beim Tiefseebergbau abgetragen werden. Der Lebensraum der meisten Tiere und Bakterien wird also zwangsläufig zerstört.
Umweltfreundlich kann der Tiefseebergbau gar nicht sein. Das liegt in der Natur des Bergbaus. Aber wenn wir genug über „The Area" und die ökologischen Zusammenhänge wissen, können wir vielleicht eine Strategie entwickeln, wie die "Area" nicht zu sehr geschädigt wird.
Bevor dieses tiefste Bergbauareal der Welt entsteht, möchte das Bundesministerium für Bildung und Forschung wissen, ob sich die Ökosysteme vom Tiefseebergbau erholen können. Daher hat das Bundesforschungsministerium im Rahmen der internationalen Forschungsinitiative JPI Oceans eine Pilotmaßnahme initiiert, die herausfinden soll, welche langfristigen Folgen der Tiefseebergbau haben würde.
In diesem JPIO Oceans Projekt kümmern wir uns mit Fokus auf die Manganknollen darum, welche Schäden der Abbau im industriellen Maßstab haben wird. Bei den Manganknollen rechnet die Industrie so, dass sie etwa drei Millionen Tonnen Knollen pro Jahr und Feld fördern muss, also pro Abbau, der durch eine Firma stattfindet, damit das wirtschaftlich ist. Und wenn man das mit dieser mittleren Belegungsdichte in der Clarion Clipperton Zone ausrechnet, dann bedeutet das etwa zwischen 200 und 250 Quadratkilometer pro Jahr und pro Kontraktor. Das sind also riesige Flächen, das ist so die Fläche von München pro Jahr. Das ist darauf angelegt, dass man ungefähr für 20 bis 30 Jahre diesen Abbau betreiben kann.
Um die ökologischen Folgen des Abbaus zu untersuchen, brach das Forschungsschiff SONNE und mit ihm 40 Wissenschaftler im August 2015 zu einer Fahrt ins Perubecken im Pazifik auf. Die Wissenschaftler kehrten an einen Ort zurück, an dem 26 Jahre zuvor ein kleines Manganknollenfeld umgepflügt worden war. Mithilfe von unbemannten Unterwasserfahrzeugen erkundeten die Forscher die Tiefsee. In 4150 Metern Tiefe entdeckten sie Erstaunliches: Auch 26 Jahre nach dem Eingriff sind die Spuren am Meeresboden noch deutlich zu erkennen.
Letztes Jahr, als wir da waren, sah es so aus, als ob man es gestern gemacht hätte. Da ist nicht viel passiert danach. Das ist eben in der Tiefsee, da haben wir Sedimentationsraten von einem halben Zentimeter pro tausend Jahre. Da kommt sehr wenig organisches Material und Sediment unten an und entsprechend vollziehen sich Änderungen sehr sehr langsam.
Im Anschluss an die Expedition mit dem Forschungsschiff SONNE untersuchten die Wissenschaftler die Proben aus der Tiefsee und stellten fest, dass das Entfernen der Manganknollen die Verteilung der Organismen am Meeresboden verändert hat.
Wir untersuchen im Moment die Proben und Daten, die wir während der SONNE-Fahrt gewonnen haben, bei der wir die Störung aus den 80er Jahren erforscht haben. Wir vergleichen den Meeresboden innerhalb und außerhalb der Pflugspuren. Auf den ersten Blick haben wir keine bedeutsamen Unterschiede festgestellt, außer dass die Spuren deutlich sichtbar sind. Mit dem Unterwasserroboter konnten wir aber auch Proben nehmen, die wir auf sehr kleinen Skalen untersucht haben. Dabei haben wir festgestellt, dass die Sedimente, die umgepflügt worden waren, andere Lebewesen beheimaten und andere Umweltbedingungen aufweisen.
Vanreusel schlägt vor, dass Schutzgebiete und Abbaugebiete mit gleicher Knollendichte und Artenzusammensetzung mosaikartig angelegt werden sollen:
Innerhalb der Lizenzgebiete sollten wir Gebiete ausweisen, in denen die Manganknollen erhalten bleiben. Diese Gebiete könnten zur Erholung des Tiefseeökosystems beitragen. Die Verteilung von Abbauflächen und Schutzarealen ist entscheidend.
Mit ihren Forschungsergebnissen im Gepäck sind die Wissenschaftler im Sommer 2016 zur ISA, der internationalen Meeresbodenbehörde, nach Jamaica gereist. Die ISA schreibt vor, dass jeder Staat, der Rohstoffe aus der Tiefsee abbauen möchte, das Gebiet zuerst intensiv erkunden muss. Erst nachdem ein Staat 15 Jahre lang die Auswirkungen des Tiefseebergbaus untersucht hat, darf der industrielle Abbau von Ressourcen bei der ISA beantragt werden. Spätestens dann muss die ISA einen Mining Code entworfen haben, der den Tiefseebergbau international reglementiert. Und so langsam wird die Zeit knapp: Prototypen für Abbaumaschinen existieren bereits. Eine dieser Maschinen wurde beispielsweise von einer Firma entworfen, die sonst Geräte für die Inselaufspülungen von Dubai baut.
Das ist eigentlich die einzige Möglichkeit, direkt mit der ISA zu kommunizieren und deswegen ist es wichtig, dass wir das tun, damit sie von unseren Ergebnissen direkt erfährt. Und dann hoffen wir eben, dass das auch Gehör findet und am Ende Eingang in die Regularien findet.
Die ISA schreibt außerdem vor, dass die reichen Industrieländer nur die Hälfte ihres Lizenzgebiets nutzen dürfen. Die andere Hälfte ist für ärmere Länder reserviert, die sich die teure Erforschung nicht leisten können.
Bevor der Tiefseebergbau tatsächlich Realität wird, möchten Haeckel und seine Kollegen weiter erforschen, wie dieser möglichst umweltfreundlich umgesetzt werden kann.
Eine Sache, die wir sehen, ist, dass die Organismenvielfalt davon abhängt, ob Manganknollen am Meeresboden vorhanden sind. Die sind dann wirklich über Millionen Jahre weg. Eine Idee wäre, ob es Möglichkeiten gibt, Betonklötze oder kleine Metallbrocken auf dem Meeresboden zu platzieren, die dann die Wiederbesiedlung ermöglichen.
Im Sinne der Umwelt wäre es den Wissenschaftlern noch lieber, wenn es dazu nie käme und der Bergbau in der Tiefsee für alle Zeit Zukunftsmusik bliebe:
Wir könnten durch unser Konsumverhalten – also nicht jedes Vierteljahr oder jedes halbe Jahr ein neues Smartphone – den Bedarf an diesen Metallen schon deutlich reduzieren.
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