Monatsthema Juli "Weltbevölkerung": Sozialwissenschaften nehmen die Bioökonomie in den Blick

Mit dem Weltbevölkerungstag am 11. Juli steht die Gesellschaft im Fokus der FONA-Monatsreihe. Eine rasant wachsende Weltbevölkerung mit steigenden Konsumbedürfnissen hat Folgen: das Fortschreiten des Klimawandels und Artenschwunds bis hin zur Bedrohung ganzer Ökosysteme. Ein Richtungswechsel zu einem nachhaltigen Wirtschaften, das die planetaren Grenzen schützt, ist dringend erforderlich. Ob und wie die Bioökonomie auf diesem Weg helfen kann und welche Konflikte dabei zu bedenken sind, erforschen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler im BMBF-Förderkonzept „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“. Seit 2014 werden mehr als 60 Forschungsprojekte mit bisher rund 40 Millionen Euro gefördert.

Rückbesinnung auf natürliche Ressourcen?
Seit jeher nutzen Menschen natürliche Ressourcen, um daraus Nahrung, Kleidung oder Energie zu gewinnen. Erst während der Industrialisierung traten die leicht verfügbaren fossilen Rohstoffe ins Zentrum von Energieversorgung und industrieller Produktion. Innerhalb weniger Generationen wurden fossile Rohstoffe verbraucht, die über mehrere Hundert Millionen Jahre durch Sonnenlicht und Photosynthese entstanden waren. Die Endlichkeit fossiler Rohstoffe, Klimawandel und der Verlust funktionierender Ökosysteme rücken die existenzielle Abhängigkeit des Menschen von der Natur wieder in das Bewusstsein. Es ist dringend nötig, dass zukünftiges Wirtschaften sich am Prinzip natürlicher Kreisläufe orientiert.

„Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel"
Die Bioökonomie gilt als entscheidendes Instrument auf dem Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaften. Sie stellt nachwachsende Rohstoffe als Ernährungs- und Wirtschaftsgrundlage und biologisches Wissen für neuartige Innovationen bereit. Die Transformation hin zu einer biobasierten Wirtschafts- und Lebensweise wäre eine der größten Wirtschaftstransformation seit der Industrialisierung. Der Wandel der technologischen Basis geht zwangsläufig mit gesellschaftlichen Veränderungen einher – auch mit unerwarteten Folgen und Wechselwirkungen. So kann die Nutzung biogener Ressourcen beispielsweise Flächenkonkurrenzen verstärken.

Im Rahmen des Förderkonzepts „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel" werden Wechselwirkungen aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht. Wie lassen sich Nachhaltigkeit und Wohlstand, Umweltschutz und die Nutzung natürlicher Kreisläufe vereinbaren? Die Zusammenhänge des bioökonomischen Transformationsprozesses zu durchschauen, direkte und indirekte Wirkungen offenzulegen und verlässliche Daten über die aktuelle und künftige Entwicklung zu liefern, gehört zu den Kernanliegen des Förderkonzepts. Die Ziele der Bioökonomie werden als gesellschaftliche Herausforderungen verstanden und durch die interdisziplinär ausgerichtete Forschungsförderung umfassend adressiert.

Förderangebote

Das Konzept „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel" umfasst vier Fördermodule: Nachwuchsgruppen, thematische Verbünde, Begleitforschung und ein Monitoring der Bioökonomie. Eine Übersicht über die Module und die zugehörigen Fördermaßnahmen finden Sie hier.

Vom globalen Fußabdruck der deutschen Bioökonomie bis zur Zukunft von Biomasse – die Forschungsprojekte
Das Spektrum relevanter Fragestellungen ist breit. So betrachten Forscherinnen und Forscher Transformationspfade der Bioökonomie im Hinblick auf politische und gesellschaftliche Prozesse und behandeln ethische und rechtliche Aspekte. Sie stellen darüber hinaus Ländervergleiche an, untersuchen Veränderungen von globalen Lieferketten oder Wirtschaftsbereichen wie dem Forst-/Holz-Sektor und bewerten die Wirksamkeit von Instrumenten zur Innovationsförderung. Die folgenden Beispiele geben einen Einblick in die Bandbreite der Forschung.

Was sind die Treiber für wichtige Trends der Bioökonomie, welche Ressourcen verbraucht sie im In- und Ausland und welche Auswirkung hat dies auf Klima und Ökosysteme? Im Bioökonomie-Monitoring Projekt „Systematisches Monitoring und Modellierung der Bioökonomie", kurz SYMOBIO, untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Fußabdrücke die Bioökonomie hinterlässt und welche Wirkungen ihr Ausbau mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele hat. Ziel des seit 2017 laufenden Forschungsprojekts ist, den Transformationsprozess zur Bioökonomie durch verlässliche Zahlen und Daten zu bewerten und so auch steuern zu können. So sollen Fortschritte, aber auch Fehlentwicklungen und Risiken sichtbar gemacht werden.

Ziel des Monitorings ist es vor allem, anspruchsvolle Nachhaltigkeitsbilanzen zu erstellen, um Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen zu geben und die Ziele der Bioökonomie zu erreichen. Dafür erfassen die Forscherinnen und Forscher alle Phasen von der Landnutzung über die Produktion von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffen bis zum Konsum in den Haushalten sowie der Verwertung von Reststoffen. So soll ein umfassendes Bild der gesamten Ressourcennutzung sowie der Umwelt- und Klimaeffekte durch alle biobasierten Wirtschaftsbereiche und die Veränderungen gegenüber konventionellen Produkten und Verfahren entstehen.

Darüber hinaus werden auch internationale Verflechtungen mit anderen Regionen der Welt in das Monitoring eingebracht. Wie wirkt sich der Handel mit Rohstoffen oder Produkten wie beispielsweise Futtermitteln aus Südamerika und Palmöl für Biodiesel aus Südostasien in Sachen globaler Nachhaltigkeit aus? Welche Auswirkungen haben der steigende Einsatz agrarischer Rohstoffe und die damit verbundene wachsende Flächenumwandlung in tropischen Regionen? Und wie sind diese mit dem Erhalt von Biodiversität vereinbar? Durch Einbeziehung sowohl globaler Effekte als auch regionaler Spezifika soll ein handlungsrelevantes Wissen geschaffen werden.

In SYMOBIO arbeiten acht Partnerinstitutionen zusammen, die vom BMBF mit drei Millionen Euro gefördert werden. Ergänzende Initiativen des Bundeslandwirtschaftsministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums fördern Forschungsvorhaben zur Urproduktion in Landwirtschaft, Forst und Fischerei bzw. zu wirtschaftlichen Kennzahlen der Bioökonomie, besonders mit Blick auf die industrielle Produktion.

Stefan Bringezu ist Professor für Nachhaltiges Ressourcenmanagement an der Universität Kassel und koordiniert das Projektkonsortium. Bei ihm laufen die Ergebnisse der acht Partner zusammen. Im Interview erzählt er, warum ein Monitoring der Bioökonomie so wichtig ist und welche Herausforderungen damit einhergehen.

Auf dem FONA-Forum 2019 wurde in einem Workshop der Zusammenhang zwischen Bioökonomie und Biodiversität diskutiert. Besonders diskutiert wurde dabei die Frage, welche Rolle Biodiversität für ein Monitoring der Bioökonomie spielen kann. Hier geht es zu den Ergebnissen des Workshops.

Wie sieht unsere Zukunft 2050 aus, wenn eine nachhaltige Bioökonomie umgesetzt wird? Welche Pfade kann die Entwicklung einschlagen und welche Konsequenzen wird das haben? Was sind bestimmende Faktoren, was Potenziale? Im Forschungsvorhaben „Bioökonomie 2050: Potenziale, Zielkonflikte, Lösungsstrategien" (BEPASO für Bioeconomy PAthways and SOcietal transformation strategies) sollen verschiedene Zukunftsszenarien (qualitativ und quantitativ) eines Wandels der gegenwärtigen Wirtschaftsweise hin zu einer nachhaltigeren „Bioökonomie 2050" und gesellschaftlich akzeptierte Transformationspfade beschrieben werden. Der Fokus liegt dabei auf der Produktion und Weiterverarbeitung von Biomasse. Das Vorhaben ist ein Verbundprojekt mit fünf Projektpartnern unter Koordination des Johann Heinrich von Thünen-Instituts.

Ausgehend von der gegenwärtigen Nutzung von Land und Ressourcen und der Verfügbarkeit von Biomasse entwickeln die Forscherinnen und Forscher gangbare Pfade für die Transformation zum nachhaltigen und biobasierten Wirtschaften. Dabei fließen einerseits die Effekte durch eine steigende Nachfrage nach biogenen Ressourcen, aber auch die Potenziale sowie mögliche Grenzen und Konfliktfelder in die Betrachtung ein. Andererseits werden Maßnahmen, welche diese Konflikte entschärfen können, wie Ertrags- und Effizienzsteigerung oder Nutzung von Rest-und Abfallstoffen, auf ihre Nachhaltigkeit und Umsetzbarkeit hin bewertet. Dafür werden mit Hilfe von Modellanalysen Zielkonflikte identifiziert und dann mit verschiedenen Interessengruppen besprochen. Dabei werden Lösungsstrategien, Handlungsoptionen und Steuerelemente gemeinsam erarbeitet. Konkrete Fragen in BEPASO sind beispielsweise:

  • Welche gesellschaftlichen und politischen Prozesse müssen stattfinden, um den Übergang zu einer nachhaltigen Nutzung von Biomasse in Produktion und Konsum zu stimulieren?
  • Setzt die globale Verfügbarkeit von Biomasse (Schwerpunkt Land- und Forstwirtschaft) dem Transformationsprozess Grenzen? Wie wird sich der internationale Handel von Biomasse entwickeln?
  • Steht die zusätzliche Nachfrage nach Biomasse im Widerspruch zu anderen Zielen wie Klimaschutz, Wasserhaushalt und Erhalt von Biodiversität? Welche Lösungsstrategien ergeben sich?
  • Wie beurteilen unterschiedliche Interessengruppen die Zielkonflikte und welche Auswirkungen hat dies auf den Transformationsprozess?

Hier gibt es mehr Informationen Projekt.

Bioökonomie: nachhaltige Wirtschaft und soziale Auswirkungen – Nachwuchsgruppen im Fokus
Ein besonderer Schwerpunkt des Kozeptes "Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel" liegt auf Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern. Im Rahmen des Fördermoduls „Nachwuchsgruppen" werden vielversprechende junge Forscherinnen und Forscher gefördert, damit diese früh unter möglichst günstigen Bedingungen neuen Forschungsfragen nachgehen können. Bioökonomie soll dadurch in den Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften, aber auch den Kultur- und Geisteswissenschaften als Thema etabliert und dem Nachwuchs den Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere ermöglicht werden. Einen Einblick in die Arbeit der Nachwuchsforschenden geben die folgenden zwei Beispiele.

Bioökonomische Transformationsprozesse eröffnen Chancen, aber auch Risiken für eine nachhaltige Entwicklung. Die komplexen Zusammenhänge zu verstehen, ist notwendige Voraussetzung für politische Entscheidungen und Rahmensetzungen auf nationaler und internationaler Ebene. Die Nachwuchsgruppe um Professor Jan Börner analysiert an der Universität Bonn grenzüberschreitende Biomasseströme und Innovationstransfers, um komparative Kosten- und Nachhaltigkeitsvorteile sowie Treiber und Effekte zu erforschen. Darauf aufbauend werden Szenarien entwickelt, Folgeabschätzungen durchgeführt und Empfehlungen für einen im Sinne der Nachhaltigkeitsziele bestmöglichen regulatorischen Rahmen erarbeitet. Mehr Einblicke in das Projekt gibt Professor Jan Börner im Interview und im Video.

Die Gewinnung von Energie auf Biomassebasis hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Diese Entwicklung hat soziale Verteilungseffekte. Die Nachwuchsgruppe um Juniorprofessorin Maria Backhouse untersucht an der Universität Jena die Zusammenhänge zwischen Ausweitung des Bioenergiesektors und damit verbundenen Ungleichheiten zwischen Klassen, Geschlechtern und Ethnien in Industrie- und Schwellenländern . Dies analysiert sie vor allem in Bezug auf den Zugang zu Arbeit und Land sowie Wissen und politische Teilhabe. Mehr über die Nachwuchsgruppe und Juniorprofessorin Maria Backhouse im Porträt lesen Sie hier.