Monatsthema Juni "Meeresforschung": Den Müllstrudeln auf der Spur
Es sind gigantische Teppiche aus tausenden Tonnen von Plastik: Die sogenannten Müllstrudel in den Weltmeeren. Wie sie entstehen und wie groß sie wirklich sind, erforscht ein Team um Leiterin Annika Jahnke. Bmbf.de sprach mit ihr über die Expedition.
Frage: Was ist die Motivation der Fahrt?
Annika Jahnke: Bisher ist sehr wenig darüber bekannt, was mit Plastik im Meer geschieht. Felddaten sind nur sehr spärlich vorhanden, so dass Abschätzungen zur Lage und zum Ausmaß der sogenannten globalen Müllstrudel zu einem großen Teil auf Modellierungen basieren. Wir wollen im Projekt MICRO-FATE das tatsächliche Vorkommen, den Verbleib und mögliche Effekte von Plastik im Nordpazifik an Hotspots und entlang Gradienten untersuchen und beschreiben.
Warum im Pazifik?
Im Nordpazifik befindet sich das sogenannte Great Pacific Garbage Patch, vermutlich eine der größten Ansammlungen von Plastikmüll in den Ozeanen. Das tatsächliche Ausmaß wollen wir anhand der Daten von unserer aktuellen Forschungsexpedition auf dem Forschungsschiff „Sonne" bestimmen. Das Schiff bietet uns hierfür eine ideale Plattform. Es verfügt über hervorragende Nautiker, Ingenieure, Elektroniker, Elektriker, Deckschlosser, Motormänner und Schiffsmechaniker sowie Kochsmaate und Stewards, die für komplexe Forschungsvorhaben auf dem offenen Meer benötigt werden. Zudem ist es mit hochmodernen Winden für die Tiefseeforschung ausgestattet und erlaubt uns, einen Blick auf das Plastikvorkommen in der Wassersäule bis zu vielen Tausend Metern Tiefe zu gewinnen.
Was wollen Sie "Neues" erforschen?
Plastik in der marinen Umwelt wird von vielen Menschen als große Gefahr für marine Ökosysteme wahrgenommen. Wir wollen verstehen, wo das emittierte Plastik letztendlich verbleibt, ob ein Teil davon dauerhaft an der Oberfläche schwimmt oder ob große Mengen zum Meeresgrund absinken. Folgende Fragen sollen beantwortet werden: Wie ist die Verteilung von Plastik auf unserem Transit von Vancouver nach Singapur, sowohl an der Oberfläche, als auch in der Wassersäule und im Sediment?
Welche Arten von Plastik (Polymere) liegen dabei vor und welche jeweiligen Mengen? Wie sind die Oberflächenbeschaffenheit und Größenverteilung des Plastikmaterials? Sinkt ein Großteil des im Ozean befindlichen Plastikmaterials hinab zum Grund, wo es auf unbestimmte Zeit verbleibt? Inwiefern ist das Plastik eine Quelle oder Senke für Umweltschadstoffe gegenüber dem Wasser bzw. Sediment am Ozeangrund, und welche Auswirkungen haben das Plastikmaterial und die enthaltenen Chemikalien auf Organismen?
Was ist die Relevanz der Forschung für unseren Alltag in Deutschland?
Die Plastikthematik ist weithin präsent in der Bevölkerung, aber das Hintergrundwissen ist oft eher diffus, unter anderem weil bislang wenige Daten aus Feldbeobachtungen vorliegen. Wir möchten mit unserem Forschungsprojekt und den hierdurch gewonnenen Erkenntnissen neben anderen Wissenschaftlern auch viele Menschen erreichen und dazu bewegen, ihr Verhalten zu überdenken.
Gleichzeitig möchten wir aber auch ein realistisches Bild von der Situation im Nordpazifik zeichnen. So stellen sich viele Menschen die Müllstrudel als zusammenhängenden Müllteppich oder sogar „siebten Kontinent" vor. Dieses Bild ist jedoch irreführend, denn selbst hier liegt Plastikmüll eher verstreut vor. Die Reise wird von einem interdisziplinären Künstler begleitet, unter anderem zur fotografischen Dokumentation. Außerdem berichten wir Aktuelles von unseren Arbeiten auf dem Schiff im Reiseblog der Helmholtz-Gemeinschaft.
Außerdem berichten wir auf unserem Blog Aktuelles von unseren Arbeiten auf dem Schiff.
Und für die Plastikproblematik in unseren Ozeanen weltweit?
Der Nordpazifische Müllstrudel ist ein großes Gebiet, das als repräsentativ für die anderen globalen Akkumulationsgebiete von Plastik in der marinen Umwelt angesehen werden kann. Das bedeutet, dass unsere Erkenntnisse auch Rückschlüsse auf die Müllstudel im Südpazifik, Nord- und Südatlantik sowie Indischen Ozean zulassen.
Wie ist der Expeditionsalltag auf der „Sonne"?
Auf der Expedition SO268/3 auf dem Forschungsschiff „Sonne" befindet sich ein interdisziplinäres Team aus 19 Wissenschaftlern des Projektes MICRO-FATE (insb. Umweltchemiker, Biologen, Ökotoxikologen), die auf einer fernab der Zivilisation schwimmenden hochmodernen Forschungsplattform an unseren wesentlichen Fragestellungen arbeiten. Zusätzlich befinden sich 10 weitere Wissenschaftler an Bord, die unter anderem atmosphärische Messungen durchführen. Allein für das Projekt MICRO-FATE wurden fast 3,5 Tonnen wissenschaftliche Gerätschaften und Verbrauchsmittel, insb. für Tiefseeforschung, in einem Container von Deutschland auf das Forschungsschiff transportiert.
An wie vielen Forschungsfahrten haben Sie bereits teilgenommen? Worauf freuen Sie sich bei dieser Fahrt? Was wird herausfordernd?
Bislang habe ich an zwei Forschungsausfahrten auf der „Polarstern" teilgenommen – in die europäische Arktis und auf einem Transit von Bremerhaven nach Kapstadt. Ich freue mich sehr auf die spannende Feldarbeit, die uns mit der „Sonne" in kaum erforschte Gebiete führen wird. Herausforderungen entstehen dadurch, dass wir sehr schwer zugängliche Bereiche erforschen wollen, etwa in mehreren Tausend Metern Tiefe.
Es gab und gibt große logistische Hürden zu überwinden, die mit dem Transport unserer Ausrüstung und des Probenmaterials zusammenhängen. Arbeitstage auf See sind häufig sehr lang und finden unabhängig von Tages- oder Nachtzeit statt, da die Beprobung sofort beginnt, sobald das gewünschte Gebiet erreicht ist, um keine wertvolle Stationszeit zu verlieren. Wir werden aber einzigartiges Material und viele spezielle Eindrücke mit nach Hause bringen, die nur sehr wenigen Menschen zugänglich sind.
Was motiviert Sie persönlich, sich den Anstrengungen 4 Wochen lang auf hoher See auszusetzen?
Ich möchte etwas bewegen, neue Erkenntnisse gewinnen und das in unserem Projekt MICRO-FATE gewonnene Wissen vielen Menschen mitteilen. Es ist ein unbeschreibliches Privileg, bei einer solchen Expedition dabei sein zu dürfen und sie wesentlich mitzugestalten.
Frau Jahnke, wir danken Ihnen für das Gespräch.