Innovatives System: Mehr Schutz für Staudämme
Viele Staudämme weltweit sind durch Erosion im Untergrund, aber auch Erdbeben bedroht. Ein Forscherteam will Schäden durch ein innovatives Überwachungs- und Frühwarnsystem reduzieren.
Sie gelten als Ausdruck von Macht und Fortschritt: Weltweit wurden bereits mehr als 45.000 große Staudämme errichtet, die sauberen Strom liefern, aber auch Überschwemmungen im Flusslauf verhindern. So stammt knapp ein Fünftel der global erzeugten Energie aus der Kraft des Wassers. Doch in vielen Regionen werden die Betonbauwerke zum Problemfall – sie sind marode.
Gründe dafür sind neben einer mangelhaften Wartung vor allem Konstruktionsmängel. Viele Dämme stehen auf unsicherem Terrain. Ein Beispiel dafür ist der Mossul-Staudamm im Irak, der seit Jahren vor dem Kollaps steht. Das Bauwerk wurde auf Kalkstein errichtet, der durch Wasserströme unterhalb des Damms mittlerweile stark zerklüftet ist. Nur mit großem Aufwand wird der Untergrund stabilisiert.
Wasserkraftwerke haben zudem gravierende ökologische Folgen. So werden durch den Aufstau viele Tier- und Pflanzenarten verdrängt, die auf fließende Gewässer angewiesen sind. Auch wird der natürliche Sedimenttransport aus den Flüssen ins Meer gestört. Die Flutung des Stausees ist zumeist mit großflächigen Umsiedlungen verbunden – es verschwinden Dörfer und Kulturlandschaften.
Diese Energiegewinnung aus Wasser ist auch für wasserreiche Staaten Zentralasiens von großer Bedeutung. Viele Anlagen wurden schon zu Sowjetzeiten errichtet, liegen allerdings in Gebieten, die durch Erdbeben bedroht sind. Hier hat ein Forscherteam in Kirgistan angesetzt: Es entwickelte ein innovatives Echtzeit-System, welches Staudämme überwacht und Schadensprognosen liefert.
Dieses System wurde im deutsch-kirgisischen Verbundprojekt MI-DAM unter Leitung des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) Potsdam am Kurpsai-Staudamm in Zentralkirgistan installiert. Es besteht aus seismischen, faseroptischen und GPS-Sensoren, die den Zustand der Infrastruktur und der Berghänge ständig überwachen. Gefördert wird das Vorhaben vom Bundesforschungsministerium.
„Kirgistan ist eines der Länder mit den größten Erdbebenrisiken", betont Projektleiter Marco Pilz, Experte für seismische Gefahren am GFZ. Tief unter Zentralasien kollidieren die Kontinente, die indische drückt dabei gegen die eurasische Erdplatte. Diese tektonischen Prozesse haben den Himalaya entstehen lassen. Und durch die Spannungen im Gestein erzittert immer wieder die Erde – in Kirgistan ereignete sich das letzte schwere Beben im Jahr 1992.
„Tickende Zeitbombe" nennt Pilz den Untergrund. Daher sei es umso wichtiger, ein Frühwarnsystem zu installieren, welches kleinste Erschütterungen, Bodenbewegungen und Strukturverformungen der Infrastruktur messen kann und die Daten in Echtzeit an die Einsatzzentrale der Dammbetreiber sendet. Dort fließen die Daten in Computermodelle, die wiederum präzise Risikoanalysen errechnen.
Auf Basis dieser Analysen, dem wichtigsten „Produkt" des Forschungsprojekts, können die Verantwortlichen konkrete Maßnahmen bis zur Evakuierung ergreifen. „Das funktioniert wie bei einer Ampel", sagt Pilz. Grün bedeutet, dass die Erschütterung folgenlos für den Damm geblieben ist. Gelb dagegen heißt, dass eine Inspektion erforderlich ist. Bei Rot ist mit großen Schäden zu rechnen.
„Das System wird ständig verbessert", betont Pilz. Schon ein halbes Jahr nach dem Projektbeginn im Herbst 2017 wurde eine erste Version installiert, die bis heute immer weiter verfeinert wurde. Gleichzeitig wurden Langzeitmessungen am Staudamm und den steilen Berghängen rings um den Stausee vorgenommen. Erst aus diesen Daten ließen sich sogenannte Fragilitätskurven errechnen.
Vor allem Hangrutschungen stellen nach Aussage des Forschers eines der größten Probleme für Wasserkraftwerke in Gebirgsregionen dar. Wenn viel Gesteinsmasse auf den Staudamm fällt, drohen enorme Schäden. Zugleich besteht die Gefahr von Tsunamis. Ein großer Hangrutsch habe sich schon wenige hundert Meter unterhalb des Kurpsai-Damms ereignet, berichtet Pilz.
Denkbar ist der Einsatz des Systems auch in anderen wichtigen Versorgungseinrichtungen, die zur sogenannten kritischen Infrastruktur zählen, sowie in erdbebengefährdeten Gebäuden. In der kirgisischen Hauptstadt Bischkek wurden die Sensoren unter anderem in großen Wohnblöcken, in Universitätsgebäuden und in einem Ministerium getestet.
Eine weitere Aufgabe steht in dem bis September 2020 laufenden Projekt noch bevor: die Schulung der Verantwortlichen vor Ort. Eine Schlüsselrolle nehmen hierbei die beteiligten kirgisischen Wissenschaftler ein. Sie sollen in Kooperation mit den deutschen Partnern die Datenauswertung übernehmen. „Das System funktioniert nur dann gut, wenn es richtig gewartet wird", sagt Pilz.
CLIENT II
Das Projekt MI-DAM wird innerhalb der Fördermaßnahme „CLIENT II – Internationale Partnerschaften für nachhaltige Innovationen" gefördert. Hierbei unterstützt das BMBF internationale Forschungskooperationen mit Schwellen- und Entwicklungsländern mit derzeit rund 50 Vorhaben in 24 Ländern. Die Projekte erarbeiten innovative und nachhaltige Lösungen für den Klima-, Umwelt-, Ressourcen- und den Energiebereich. Insgesamt fließen bis zu 100 Millionen Euro in die Entwicklung von Technologien, Produkten, Dienstleistungen und Systemlösungen. Die Zusammenarbeit von deutschen und internationalen Partnern ermöglicht Lösungen, die an lokale Rahmenbedingungen angepasst und damit marktfähig sind.