Einblicke in die Lebenswelt der Tiefsee
Ein Forscherteam unter Leitung des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseum Frankfurt hat erstmals eine Bestandsaufnahme der Tiefsee-Lebewesen im Nordwest-Pazifik veröffentlicht. Die wissenschaftlichen Untersuchungen wurden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Sie heißen Igelwürmer, Hakenrüssler und Furchenfüßer – auch viele Kilometer unter der Meeresoberfläche leben faszinierende Kreaturen, die sich an extreme Bedingungen wie Kälte, Dunkelheit, Nahrungsknappheit und einen hohen Umgebungsdruck angepasst haben. Rund 10.000 Arten sind in der Tiefsee erst bekannt. Forscherinnen und Forscher schätzen, dass ein bis zwei Millionen Arten noch nicht entdeckt wurden.
Viele Lebewesen sind nur winzig. Aber auch größere Fische, Kalmare, Seesterne und Seeigel besiedeln Bereiche der Ozeane, in die bislang nur Unterwasserroboter vordringen konnten. Während der Expeditionen der vergangenen Jahrzehnte, bei denen immer mehr Hightech-Geräte eingesetzt werden konnten, wurde eine Vielzahl von Daten über das Ökosystem Tiefsee zusammengetragen. Jede Fahrt birgt neue Überraschungen.
Einen Überblick über die Organismen in der ewigen Finsternis bietet das jetzt veröffentlichte Fachbuch „Biogeographic Atlas of the Deep NW Pacific Fauna", das vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt veröffentlicht wurde und das auf Untersuchungen im Nordwest-Pazifik basiert, in dem Tiefseegräben bis zu 10.000 Kilometer unter der Meeresoberfläche hinabreichen.
Das Kompendium geht auf langjährige Forschungen unter anderem im Rahmen des Projekts BENEFICIAL zurück, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurde. Mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren an der Monografie beteiligt, in der die Ergebnisse von vier Tiefsee-Expeditionen (SojaBio, SokhoBio und KuramBio I und II) abgebildet wurden.
Über 2500 Proben, die 503 Tierarten zugeordneten werden konnten, wurden dafür ausgewertet. Die Publikation beschreibt eine eindrucksvolle Vielfalt an Unterwasserbewohnern; stellt ihre Biologie, ihre Beziehungen untereinander und ihr Verbreitungsgebiet in 20 Kapiteln vor. „Insbesondere vor dem Hintergrund der immer stärker spürbaren Auswirkungen des Klimawandels kommt dieses Überblickswerk gerade rechtzeitig", sagt Mitautorin Hanieh Saeedi vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
„Der Nordwest-Pazifik ist eine der fruchtbarsten, nährstoffreichsten und artenreichsten Ozeane der Welt. Dort gibt es Seebecken verschiedener Tiefe und Hydrologie sowie Lebensräume mit ganz unterschiedlichem Isolationsgrad", erläutert Saeedi. Das in dem Fachbuch zusammengetragene Wissen sei ein Schlüssel zum Verständnis der Tiefsee-Ökosysteme und eine Grundlage für wirksame Maßnahmen zum Schutz der Ozeane.
„Aus Veröffentlichungen wie dem Sonderbericht des Weltklimarates IPCC, dem Global Assessment 2019 des Weltbiodiversitätsrates IPBES und Berichten vielzähliger weiterer Institutionen geht hervor, wie alarmierend der Zustand der Ozeane auf unserer Erde ist", erklärt Angelika Brandt, Leiterin der Senckenberg-Abteilung Marine Zoologie und Mitherausgeberin des Buchs. Diese Ökosysteme seien zunehmend bedroht – durch den globalen Klimawandel und den geplanten Abbau von Rohstoffen am Meeresgrund.
Tiefsee-Ausstellung
Das Senckenberg Naturmuseum Frankfurt zeigt seit Anfang September die ersten Themenräume des modularen Umbauprojekts Neues Museum: „Tiefsee" und „Meeresforschung". In Kooperation mit dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel werden zahlreiche Originalpräparate aus den wis-senschaftlichen Sammlungen sowie drei Lebensraumausschnitte der Tiefsee präsentiert: Black Smoker, Weichboden und Walfall. Sie stellen Hotspots der Biodiversität in der Tiefsee dar.