Schrumpfende Gletscher verändern Nährstoffversorgung des Ozeans

Steigende Temperaturen lassen die Eisschilde der Erde schrumpfen. Die Folgen werden insbesondere an Grönlands Gletschern sichtbar, wo das abfließende Schmelzwasser zum weltweiten Anstieg des Meeresspiegels beiträgt, aber auch die Chemie des Ozeans beeinflusst. Welche Auswirkungen dies auf marine Ökosysteme hat, untersuchte ein internationales Forscherteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel.

Der Nioghalvfjerdsbrae, auch bekannt als „79°-Nord-Gletscher", ist eine riesige Eismasse in Nordostgrönland. Zu ihr gehört Grönlands größte verbliebene schwimmende Gletscherzunge, die sich über mehr als 70 Kilometer erstreckt und die gesamte Länge des dazugehörigen Fjords bedeckt. Ähnlich wie bei einem Gebirgsgletscher fließt über diesen Ausläufer das Eis vom Eisschild ins Meer ab, auf dem es dann schwimmt.

Doch Veränderungen zeichnen sich bereits deutlich ab. Aufgrund der steigenden Temperaturen in der Atmosphäre und im Ozean ziehen sich immer mehr Gletscher auf festes Land zurück. Im Juli 2020 brach ein Teil des Ausläufers vom Nioghalvfjerdsbrae, Spalte-Gletscher genannt, innerhalb weniger Tage ab. Welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die umliegenden Ökosysteme haben wird, ist noch weitgehend unbekannt.

Nun hat ein internationales Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Leitung des GEOMAR in der Fachzeitschrift Nature Communications neue Daten veröffentlicht, die darauf hindeuten, dass chemische Prozesse unterhalb der schwimmenden Gletscherzungen die Nährstoffversorgung der flachen Küstenmeere vor Grönland maßgeblich steuern. „Mit dem Rückzug der Gletscherzungen an Land könnte sich diese Nährstoffversorgung deutlich verändern", sagt Stephan Krisch vom GEOMAR, Erstautor der Studie.

Die Studie basiert auf Untersuchungen, die im Jahr 2016 nahe der 79°-Nord-Gletscherzunge durchgeführt wurden. Aufgrund außergewöhnlich günstiger Wetterbedingungen konnte der deutsche Forschungseisbrecher POLARSTERN an die Abbruchkante heranfahren. Dies gab den Forscherinnen und Forschern an Bord die Möglichkeit, physikalische und chemische Prozesse unterhalb des Gletschers zu messen. „Die Arbeit an der Schnittstelle zwischen Eis und Ozean ist eine unglaubliche Herausforderung. Selbst eisbrechende Schiffe müssen sich vor kenternden Eisbergen und kalbenden Gletschern in Acht nehmen", erklärt Stephan Krisch, der als Doktorand an der Expedition teilgenommen hat.

Ein großer Teil des Süßwassers von den Eisschilden gelangt direkt in die Fjorde oder in die Küstenmeere. Am 79°-Nord-Gletscher macht dieser Weg den größten Teil des Schmelzwasserabflusses aus, und er unterscheidet sich in seiner Chemie grundlegend von den Zuflüssen von Land. Das Forscherteam untersuchte, wie viel Eisen, ein für das Planktonwachstum wichtiger Nährstoff, vom 79°-Nord-Gletscher zum Schelf gelangt. Sie zeigten, dass das Eisen vor allem aus chemischen Prozessen am Fjordgrund stammt und nicht, wie üblicherweise angenommen, direkt aus dem Schmelzwasser des Gletschers.

Wie viel Eisen dabei ins Meer gelangt, hängt vor allem davon ab, wie lange zirkulierendes Meerwasser unterhalb der Gletscherzunge verbleibt, und weniger davon, wie viel Süßwasser direkt abfließt. Dies bedeutet, dass der Anteil von Eisen aus dem Fjord zehnmal größer ist, als allein aufgrund des Süßwasserabflusses erwartet wurde. „Wenn der Klimawandel die Eiszunge schrumpfen lässt, werden wir wahrscheinlich eine viel stärkere Verknüpfung zwischen Süßwasser und Ozeanchemie sehen", sagt Stephan Krisch. „In diesem Zusammenhang könnte schon der Kollaps des Spalte-Gletschers im Juli 2020 den Eisenkreislauf unter dem 79°-Nord-Gletscher verändert haben. Der Klimawandel wirkt sich so schnell auf diese Systeme aus, dass wir mit unseren Messungen kaum noch Schritt halten können."

Originalarbeit:


Krisch, S., M. J. Hopwood, J. Schaffer, A. Al-Hashem, J. Höfer, M. M. Rutgers van der Loeff, T. M. Conway, B. A. Summers, P. Lodeiro, I. Ardiningsih, T. Steffens & E. P. Achterberg (2021): The 79°N Glacier cavity modulates subglacial ironexport to the NE Greenland Shelf. Nature Communications, https://doi.org/10.1038/s41467-021-23093-0

 

Projekt GROCE

Die Ergebnisse wurden unter anderem im Rahmen des Projekts GROCE (GReenland ice sheet/OCEan interaction) erzielt, welches die Wechselwirkung des grönländischen Eisschilds mit dem umliegenden Ozean erforscht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt.