ECO²SCAPE – Partizipativer Biodiversitätsschutz durch Verbindung ökologischer und ökonomischer Perspektiven
Prof. Dr. Anna Cord (Technische Universtät Dresden) ist Koordinatorin des transdisziplinären Projekts ECO²SCAPE. Wir befragten sie dazu, wie ökologische und ökonomische Aspekte vereint werden können, um die lokalen Akteurinnen und Akteuren beim Erhalt der biologischen Vielfalt in Kulturlandschaften zu stärken.
Frau Prof. Cord, was und wer steckt hinter dem Projekt ECO²SCAPE?
Zugegeben, ECO²SCAPE ist ein recht kompliziertes Projektkürzel. Zum einen wollen wir damit zeigen, dass es unser Ziel ist, ökologische und ökonomische Perspektiven für den Erhalt von Biodiversität gemeinsam zu berücksichtigen (ECO² steht für die englischen Begriffe ecological = ökologisch und economic = ökonomisch). Zum anderen geht es uns darum, Landschaften mit ihren Ökosystemen „als Ganzes" unter die Lupe zu nehmen („SCAPE" steht für den englischen Begriff landscape = Landschaft).
Vor allem in den heute intensiv agrarisch genutzten Kulturlandschaften ist der Verlust an biologischer Vielfalt sehr hoch. Mehr als 50% der Fläche Deutschlands werden landwirtschaftlich genutzt. Es sind bereits Politik- und Praxisinstrumente für landwirtschaftliche Flächen vorhanden, die sich nachweislich positiv auf die Biodiversität auswirken, doch aktuell fehlt es an einer breiten Umsetzung dieser Instrumente. Ein Grund dafür ist die mangelnde Akzeptanz in der Landwirtschaft, da ihr teilweise die Flexibilität fehlt, Maßnahmen passgenau auszugestalten und lohnend umzusetzen. Hinzu kommen technische, ökonomische und auch logistische Herausforderungen, um die Effekte bestimmter Maßnahmen auf die biologische Vielfalt zu erkennen.
Im Projekt ECO²SCAPE entwickeln wir praxisnahe und vielfaltsfördernde Maßnahmen gemeinsam mit Landwirtinnen und Landwirte sowie lokalen Akteuren. Systemische und innovative Forschung in den unterschiedlichsten Fachdisziplinen (Agrarsoziologie, Politikwissenschaften, maschinelles Lernen, Landschaftsökologie, Umweltökonomie und ökologisch-ökonomische Optimierung) geht Hand in Hand mit praktischer Erprobung und der Untersuchung von Übertragbarkeit über die Modellregion hinaus. Unser Projektteam besteht aus zwei Universitäten (TU Dresden, BTU Cottbus-Senftenberg), einer außeruniversitären Forschungseinrichtung (Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung e.V.) und zwei Praxispartnern (Landschaftspflegeverband Nordwestsachsen e.V., Nationale Naturlandschaften e.V.).
Für was steht die Modellregion Ihres Forschungsprojektes „Vereinigte Mulde" - und was macht sie so besonders?
Die Modellregion liegt im Nordwesten Sachsens zwischen den Städten Eilenburg und Bad Düben. Die landwirtschaftlichen Flächen werden dort teilweise intensiv, aber sehr unterschiedlich genutzt. Das flussnahe Auengebiet wird insbesondere zur Beweidung, die umliegenden Ackerflächen vorwiegend zum Anbau von Ackerfutter und Getreide genutzt. Doch auch die forstwirtschaftliche und touristische Nutzung spielt eine Rolle. Die biologische Vielfalt in der Modellregion ist noch vergleichsweise hoch, es gibt zudem ausgewiesene Naturschutzgebiete, die biologisch einzigartige Bereiche unter Schutz stellen. Hier findet man noch zahlreiche bedrohte Arten wie den Rotmilan, die Rotbauchunke oder die Flussufer-Wolfsspinne. Doch schreitet auch an der Mulde aufgrund der Intensität landwirtschaftlicher Bewirtschaftung und touristischer Nutzung durch Trockenjahre, Müllablagerungen und Gewässerverschmutzung die Gefährdung der biologischen Vielfalt voran. Der Landschaftspflegeverband Nordwestsachsen e.V., der im ECO²SCAPE-Projekt Praxispartner ist, koordiniert seit Jahren verschiedene Maßnahmen zum Erhalt der biologischen Vielfalt, worauf das Projekt hervorragend aufbauen kann. Es gab jedoch in der Region bislang kein groß angelegtes Projekt, das unterschiedliche Forschungsdisziplinen mit einschließt, um biodiversitätsfördernde Maßnahmen zu entwickeln, praktisch umzusetzen und gleichzeitig intensiv zu untersuchen.
In der einjährigen Vorbereitungsphase sind wir auf sehr viel Interesse an unserem Forschungsprojekt aus den unterschiedlichsten Bereichen (Politik, Wirtschaft, Naturschutz) in der Region gestoßen und freuen uns daher sehr auf die Zusammenarbeit. Durch die unterschiedliche Nutzung ist die „Vereinigte Mulde" eine gute Modellregion, um verschiedene biodiversitätsfördernde Maßnahmen und Forschungsansätze zu untersuchen. Gleichzeitig ist sie vergleichbar mit zahlreichen Kulturlandschaften Deutschlands, auf die solche Forschungsergebnisse dann übertragbar sein werden.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Interessen von Landwirtinnen und Landwirten und gleichzeitig den Schutz der Biodiversität zu adressieren und welche konkreten Faktoren tragen dazu bei, dass diese Möglichkeiten genutzt werden?
Es ist eine zentrale Leitlinie im Projekt ECO²SCAPE, die Landwirtschaft ebenso wie andere Interessengruppen, welche die Landwirtschaft und Landnutzung mitgestalten, aktiv einzubinden. Dazu gehören beispielsweise politische Entscheidungsträger in der Region, (Naturschutz-)Behörden, der regionale Bauernverband, Vereine und vieles mehr. Es geht uns darum, verschiedene Interessen zu erkennen, zu verstehen und – wenn möglich – auszugleichen. Die gemeinsame Grundlage dafür ist die bewusste Wertschätzung der biologischen Vielfalt und des damit verbundenen Nutzens für alle.
Die wichtigste Aufgabe in der Kommunikation dieses Projekts wird es sein Bewusstsein zu schaffen, dass es das ureigene Interesse von uns allen sein muss, die biologische Vielfalt und die von ihr abhängigen Ökosystemleistungen zu schützen. Artenreiche Ökosysteme liefern wichtige Rohstoffe, sorgen für fruchtbare Böden, sauberes Wasser sowie die Bestäubung von Nutzpflanzen bieten den Menschen Raum zur Erholung und mildern in vielfältiger Weise die Folgen des Klimawandels ab. Sie sind also auch für das menschliche Wohlergehen und insbesondere auch die langfristige Sicherung der landwirtschaftlichen Produktion essenziell.
Mit diesem Kommunikationsansatz kann sich auch die Sicht der Gesellschaft auf die Rolle von „Land-Wirten" ändern. Denn Landwirte erzeugen nicht nur Agrarprodukte. Sie sind auch unentbehrliche Landschaftspfleger und sorgen so für den Erhalt strukturreicher Kulturlandschaften. Ein großer Strukturreichtum bietet einer weitaus höheren Zahl von Tier- und Pflanzenarten Lebensraum, als es eine gleichförmige Agrarlandschaft vermag.
Welche Potenziale sehen Sie in der Landwirtschaft im Hinblick auf den Schutz der Artenvielfalt?
Viele positive Ansätze gibt es bereits, aber noch nicht auf breiter Fläche. Wir wollen vielfaltsfördernde Maßnahmen so um- und neugestalten, dass sie sowohl ökologische als auch ökonomische Anreize für die Landwirtschaft bieten können. In ökologischer Hinsicht gibt es vielversprechende Erfahrungen beispielsweise mit blühenden Schutzstreifen, reduzierter Bodenbearbeitung, verringerter Bestandsdichte von Getreide, blühenden Zwischen- und Untersaaten oder schonender Beweidung, die bspw. wiesenbrütenden Vögeln Ruhe während der Brutzeit erlaubt. Ökonomisch muss es sich für die Landwirtschaft aber lohnen, solche Maßnahmen umzusetzen. Deshalb forschen wir insbesondere an Möglichkeiten, wie vielfaltsfördernde Maßnahmen ergebnisorientiert honoriert werden können. Ergebnisorientiert heißt: je höher die biologische Vielfalt durch das landwirtschaftliche Handeln, desto höher das Honorar. Dies wiederum bedeutet, dass die biologische Vielfalt konkret messbar sein muss. Wir erforschen daher auch, wie bestimmte sogenannte Zeigerarten (zum Beispiel Agrarvögel) ohne großen technischen und teuren Aufwand erfasst werden können. Einen vielversprechenden Ansatz für die akustische Erfassung von Vögeln wollen wir mit neuen Methoden des maschinellen Lernens so weiterentwickeln, dass Verfahren dieser Art in Zukunft preiswert und effizient eingesetzt werden können.
Welche Rolle spielt die lokale Bevölkerung in der Projektdurchführung?
Der Begriff des „Co-Designs", also der gemeinsamen Entwicklung, steckt im Titel unseres Forschungsprojektes und spielt daher eine sehr große Rolle. Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Landwirtinnen und Landwirte, mit denen wir die biodiversitätsfördernden Maßnahmen gemeinsam gestalten. Wir wollen erforschen, wie die sozialen Netzwerke, in denen sich die Landwirte bewegen, die Akzeptanz und Umsetzung von Maßnahmen beeinflussen. Um dies herauszufinden, führen wir mit einer größeren Gruppe an Landwirtinnen und Landwirte in unserer Modellregion Interviews und Gruppengespräche durch. Aber auch die lokale Zivilgesellschaft der Region steht in unserem Fokus. Während diese Gruppen von Entscheidungen bzgl. der Landnutzung betroffen sind, zum Beispiel durch den Verlust von Artenvielfalt oder Veränderungen des Landschaftsbildes, haben sie jedoch selten einen direkten Einfluss auf die Landnutzung und werden nur vereinzelt in Entscheidungsprozesse einbezogen.
In unseren Analysen geht es auch um die Frage, welche Faktoren die Wertschätzung von biologischer Vielfalt beeinflussen. Zu diesem Thema werden wir eine groß angelegte Umfrage in der Modellregion durchführen. Um der lokalen Bevölkerung Zusammenhänge zu vermitteln, sind beispielsweise Exkursionen auf Maßnahmenflächen in der Modellregion eingeplant. Darüber hinaus werden vom Landschaftspflegeverband auch bestehende Veranstaltungen wie der jährliche Tag der biologischen Vielfalt, der Mühlentag, Streuobstwiesen- und Hoffeste genutzt, um die Forschungsarbeiten publik zu machen und interessierten Menschen den engen Zusammenhang zu ihren naturbezogenen Interessen aufzuzeigen. So können sie auch ein realistischeres Bild von der landwirtschaftlichen Arbeit gewinnen und diese ggf. mehr wertschätzen.
Was erhoffen Sie sich von den Ergebnissen und welche Maßnahmen könnten helfen, sie umzusetzen?
Neben den angestrebten Forschungsergebnissen in den unterschiedlichsten Themenbereichen und der Umsetzung von Maßnahmen in der Modellregion „Vereinigte Mulde" ist uns die Übertragbarkeit von Politikinstrumenten und Maßnahmen über die Region hinaus ein zentrales Anliegen.
Neben dem Landschaftspflegeverband Nordwestsachsen e.V. gibt es mit dem Nationale Naturlandschaften e.V. einen zweiten Praxispartner. Zu den Nationalen Naturlandschaften gehören unter anderem alle Biosphärenreservate Deutschlands. Das gemeinsame Entwickeln und Erproben neuer Ideen mit den Menschen vor Ort gehört als eine Kernaufgabe zum Tagesgeschäft von Biosphärenreservatsverwaltungen. Drei von ihnen werden die in der Modellregion entwickelten Maßnahmen und Konzepte auf eigenen Flächen gezielt erproben und prüfen. So kann noch deutlicher werden, wie eine erfolgreiche Übertragung der Projekterkenntnisse auf Kulturlandschaften in ganz Deutschland und auch über Deutschland hinaus gelingen kann. Eine gezielte Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit im Rahmen des Projekts trägt dann dazu bei, übertragbare Ergebnisse darzustellen und zu verbreiten.
Fördermaßnahme BiodiWert
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert mit der Fördermaßnahme "Wertschätzung und Sicherung von Biodiversität in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft" (BiodiWert) Projekte, die durch die Entwicklung innovativer Bewertungskonzepte, Governancestrukturen sowie (Politik-) Maßnahmen den Stellenwert von Ökosystemleistungen und Biodiversität auf unternehmerischer und gesellschaftlicher Ebene steigern – und damit wirksam zur Sicherung von Biodiversität beitragen.
Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA)
Mit der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die wissenschaftliche Untersuchung der Biodiversität in Deutschland und die Entwicklung neuer, effektiver Artenschutzmaßnahmen.