Hintergründe zu Band III des Sechsten IPCC-Sachstandsberichts, Folge #1 –Was bedeutet das vorübergehende Überschreiten von Temperaturgrenzen („Overshoot“) für die Einhaltung von Klimazielen?

Der IPCC erstellt den nächsten Weltklimabericht. BMBF-Projekte forschen zu Themen, die dabei eine wichtige Rolle spielen, wie etwa ein vorübergehendes Überschreiten von Temperaturgrenzen, „Overshoot“, wieder rückgängig gemacht werden könnte.

Der Weltklimarat IPCC erstellt zurzeit seinen Sechsten Sachstandsbericht („AR6"). In mehreren Bänden wird dieser den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zum Klimawandel zusammenfassen und einordnen. Band I „Naturwissenschaftliche Grundlagen" erschien am 9. August 2021, Band II zu „Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit" am 28. Februar 2022. Band III zu „Minderung des Klimawandels" wird Anfang April erscheinen. Auf der Website der Deutschen IPCC-Koordinierungsstelle finden Sie aktuelle Informationen dazu.

Mit einer Serie von Meldungen stellen wir Ihnen Projekte aus der BMBF-Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit" (FONA) vor, die sich mit wichtigen Themen für den IPCC-Bericht beschäftigen. Denn Forschung liefert die Grundlage für faktenbasierte und informierte politische und gesellschaftliche Entscheidungen zum Umgang mit dem Klimawandel.

Was ist ein „Überschreitungspfad"?

Klimaforscherinnen und -forscher nutzen sogenannte Szenarien, um mögliche zukünftige Entwicklungen zu untersuchen und zu vergleichen. Ein Szenario ist die Beschreibung einer möglichen Zukunft. Dafür werden Annahmen über wichtige Merkmale (zum Beispiel Bevölkerungswachstum, Wirtschaftsentwicklung, Geschwindigkeit des Technologiewandels etc.) getroffen. Die unterschiedlichen Entwicklungsverläufe beispielsweise von Kohlendioxidemissionen oder der Temperatur in diesen Szenarien werden „Pfade" genannt. Oft decken die Pfade den Zeitraum von der Gegenwart bis ins Jahr 2100 ab, so auch in den IPCC-Berichten.
Schaut man sich die Pfade an, die zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze diskutiert werden, fällt auf: Viele dieser Pfade überschreiten die Temperaturgrenze im Laufe der kommenden Jahrzehnte und kehren dann aber noch vor Ende des Jahrhunderts wieder auf 1,5 °C oder darunter zurück. Wie ist das möglich und was bedeutet das?

Wie in Folge I-4 zum CO2-Budget erläutert, kann der Anstieg der durchschnittlichen globalen Oberflächentemperatur nur gestoppt werden, wenn die weltweiten CO2-Emissionen auf netto Null heruntergebracht werden. Wie hoch die hervorgerufene Erwärmung ausfällt, hängt von der Menge CO2 ab, die bis zum Erreichen von netto Null Emissionen insgesamt ausgestoßen wurde – dem CO2-Budget. Wird dieses Budget für ein bestimmtes Temperaturziel überzogen, so überschreitet die globale Oberflächentemperatur dieses Ziel. Wird die Atmosphäre danach wieder auf das ursprüngliche Temperaturziel abgekühlt, spricht man von einem „Überschreitungspfad".

Welche Folgen kann eine solche Überschreitung haben?

Viele Folgen des Klimawandels hängen direkt vom Ausmaß des Temperaturanstiegs ab. Eine Erderwärmung von 1,5 °C über vorindustriellem Niveau stellt für viele Systeme eine kritische Schwelle dar, oberhalb der deutliche Veränderungen oder gar irreversible Verluste erwartet werden. Wie der IPCC-Sonderbericht über 1,5 °C globale Erwärmung (SR1.5) zeigt, sind zum Beispiel Mangroven ab dieser Temperaturschwelle nachweisbar gefährdet, das Risiko von Flusshochwasser steigt an diesem Punkt bereits von „moderat" auf „hoch", und für die Ökosysteme in der Arktis steigt das Risiko für schwerwiegende Veränderungen bei einer Erwärmung um mehr als 1,5 °C sogar von „hoch" auf „sehr hoch".

 

Einige solcher Folgen wären nicht mehr rückgängig zu machen, selbst falls die Temperatur später wieder sinken sollte. Sind zum Beispiel Tier- oder Pflanzenarten erst einmal ausgestorben, ist dies nicht mehr umkehrbar. Darüber hinaus steigt die Wahrscheinlichkeit, Kipppunkte im Klimasystem auszulösen (siehe Folge I-3 zu „Kippelementen"). Der kürzlich veröffentlichte IPCC-Bericht von Arbeitsgruppe II zu „Folgen, Anpassung und Verwundbarkeit" stellt klar: „Falls die globale Erwärmung in den kommenden Jahrzehnten oder später vorübergehend 1,5 °C überschreitet (Overshoot), werden viele menschliche und natürliche Systeme im Vergleich zu einem Verbleib unter 1,5 °C zusätzlichen schwerwiegenden Risiken ausgesetzt sein. Je nach Ausmaß und Dauer der Überschreitung werden einige Folgen die Freisetzung zusätzlicher Treibhausgase verursachen, und manche Folgen werden unumkehrbar sein, selbst wenn die globale Erwärmung [später wieder] verringert wird."

Welche Kosten diese Folgen der Erderwärmung verursachen würden, ist schwer abzuschätzen, aber sie könnten höher ausfallen als die eingesparten Minderungskosten, die entstehen würden, um das Überschreiten zu vermeiden.

Wie könnte die Überschreitung wieder rückgängig gemacht werden?

Bereits im SR1.5 beschrieb der IPCC: Sollte die globale Temperatur 1,5 °C temporär überschreiten, wäre die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre erforderlich, um die CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu verringern und so die Temperatur wieder zu senken. Methoden zur CO2-Entnahme werden unter dem Begriff Carbon Dioxide Removal (CDR) zusammengefasst (siehe Folge I-5 zu „Negativen Emissionen"). Soll eine Abkühlung erreicht werden, müsste die Menge an CO2, die der Atmosphäre entzogen wird, global größer sein als die Menge, die in die Atmosphäre eintritt, was zu „netto negativen Emissionen" führen würde. Dafür wäre CDR in großem Ausmaß nötig. Je größer das Ausmaß und die Dauer einer Überschreitung, desto stärker ist man abhängig von Methoden, die der Atmosphäre CO2 entziehen.

Die Kenntnisse über den Kohlenstoffzyklus und das Klimasystem sind hinsichtlich der Wirksamkeit von netto negativen Emissionen zur Abkühlung nach einem Temperaturmaximum immer noch begrenzt.

Forschung liefert die Basis für klimapolitische Entscheidungen

Möglichkeiten, CO2 aufzunehmen, bestehen im Meer und an Land. Das BMBF fördert die Erforschung beider Aspekte: Die Maßnahme „CDRmare – Küsten- und Meeres- und Polarforschung: Forschungsmission 'Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung' der Deutschen Allianz Meeresforschung" untersucht die Grundlagen für marine CDR-Methoden.

Die Forschungsprojekte der BMBF-Fördermaßnahme Methoden zur Entnahme von atmosphärischem Kohlendioxid (Carbon Dioxide Removal, CDR) untersuchen CDR-Methoden an Land. Forschende im Begleit- und Synthesevorhaben CDRSynTra werden dabei eine übergreifende Analyse der gewonnenen Erkenntnisse erstellen. Darüber hinaus soll CDRSynTra auch Politik und Gesellschaft laufend über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse informieren. In engem Austausch mit Öffentlichkeit, Wirtschaft und Politik sollen Kriterien erarbeitet werden, mit denen sich Wirksamkeit und Risken der verschiedenen CDR-Methoden bewerten lassen. Damit wird sichergestellt, dass ein Portfolio an CO2-Entnahme-Methoden entsteht, das wissenschaftlich fundiert, ökologisch und ökonomisch sinnvoll sowie gesellschaftlich akzeptiert ist.