Projekt Bio-Mo-D im Interview: Über die Modernisierung der Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland - Biodiversität wertschätzen!
Wer steht hinter dem Projekt Bio-Mo-D? Und was hat der Schutz von Biodiversität in Deutschland mit Wirtschaftsberichterstattung zu tun? Dr. Karsten Grunewald vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) Dresden ist Experte für Ökosystemleistungen und Ecosystem Accounting. Er koordiniert und leitet das Verbundprojekt. Gemeinsam mit Roland Zieschank vom Institut für Zukunftsforschung und Technologiebewertung (IZT) Berlin stehen sie Rede und Antwort.
In der Fördermaßnahme BiodiWert forschen Forschungsverbünde zu den Ursachen des ungebremsten Verlustes von Biodiversität und entwickeln innovative Ansätze zur Erhaltung. Im Fokus steht dabei die Wertschätzung von Biodiversität und Ökosystemleistungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Insgesamt 17 Projekte starteten im Dezember 2021 in die zweite Förderphase. "Bio-Mo-D" ist eins davon. Das Projektteam sieht eine Chance in der Modernisierung der Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland - für den Schutz der Biodiversität.
INTERVIEW
Für was steht der Projekttitel Bio-Mo-D?
Karsten Grunewald: Bio-Mo-D steht für Biodiversität und Modernisierung der Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland. Mit Hilfe unseres Projektes sollen Werte der Natur und ihre Ökosystemleistungen bemessen und in die Berichterstattungen der Regierung und von Unternehmen integriert werden. Durch diese zusätzlichen Informationsgrundlagen soll ein neues Bewusstsein sowohl von gesellschaftlicher Wertschöpfung als auch der Wertschätzung von intakten Ökosystemen gefördert werden.
Wie kann dadurch Biodiversität geschützt werden?
Roland Zieschank: Bei Entscheidungen über die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes sowie über die Ausrichtung von Unternehmen dominieren bisher klassische ökonomische Wachstumsziele und Indikatoren. Im Ergebnis werden Ökosystemleistungen und Biodiversität als essenzielle produktive Faktoren ignoriert. Die Folge: Biodiversität, also die biologische Vielfalt mit ihren zahlreichen Leistungen, wird nicht ausreichend berücksichtigt und nicht adäquat geschützt. Weder gehen biodiversitätsbedingte Verluste in die Bilanzierung ein, noch der Beitrag, den die verschiedenen Ökosysteme zum Wohlergehen einer Gesellschaft und dem wirtschaftlichen Wohlstand leisten. Das Projekt geht der Frage nach, wie politische Entscheidungsträger und Unternehmen ein anderes Verständnis von Naturkapital, Ökosystemleistungen und Biodiversität entwickeln können.
Das öffnet ein großes Spielfeld. Setzen Sie in Ihrer Forschung einen thematischen Schwerpunkt?
Roland Zieschank: Die Kernfrage ist: Wie können wir das methodisch erreichen? Beispielsweise durch konkrete Neuerungen bei den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, durch eine Erweiterung der Jahreswirtschaftsberichte der Bundesregierung mit ökologischen Komponenten und durch eine um biodiversitätsabhängige Indikatoren erweiterte Unternehmensberichterstattung. Neu bei unserem Ansatz ist die parallele Untersuchung, wie auf der nationalen Makroebene und unternehmerischen Mikroebene die Einbeziehung von Ökosystemleistungen als „soziale Innovation" erfolgen kann, welche Akteure und Stakeholder in diesem Politikfeld eine Rolle spielen und ob sich zwischen beiden Ebenen Synergien methodischer wie politischer Art ergeben können.
Haben politische und wirtschaftliche Akteure einen Anreiz, etwas zu ändern?
Roland Zieschank: Das Bewusstsein auf Unternehmensseite nimmt bereits zu. Unsere Praxispartner im Projekt, die Value Balancing Alliance (VBA) bzw. BASF, wollen sich künftig nicht nur am wirtschaftlichen Erfolg messen lassen: Denn auch für viele Betriebe und Wirtschaftssektoren ist der massive Rückgang der Tier- und Pflanzenarten und die voranschreitende Degradierung von Ökosystemen mit Risiken verbunden. Eine bessere Erfassung sowohl der Auswirkungen auf als auch der Abhängigkeiten von Naturkapital würde es Unternehmen ermöglichen, gegenzusteuern und besser zum Biodiversitätserhalt beizutragen. Gleiches gilt für strategische Entscheidungen staatlicher Akteure.
Wie gehen Sie in dem Projekt vor und mit wem arbeiten Sie zusammen?
Karsten Grunewald: Es handelt sich um ein exploratives Projekt, das ausgesprochen interdisziplinär angelegt ist. Daten und Indikatoren zum Ökosystem-Assessment und zum -Accounting aus staatlicher und unternehmerischer Perspektive werden aufbereitet, potenzielle Schnittstellen zum Statistischen Bundesamt sowie zu politischen Akteuren einerseits, zu unternehmerischen Entscheidungsträgern anderseits identifiziert. Ressourcen und Restriktionen werden untersucht, um die Nutzung von Informationen über Ökosystemleistungen zu verbessern. Die Verbundpartner, das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR), das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) sowie die Value Balancing Alliance (VBA) und BASF SE, bringen dabei ihre jeweiligen Expertisen ein.
Gemeinsam analysieren wir nicht nur mögliche datenmäßige und methodische Synergien zwischen Accounting-Ansätzen, sondern auch relevante Stakeholder, deren Handlungspotenziale und interessengeleitete Netzwerke. Wir ergänzen die naturwissenschaftlichen Arbeiten zur Rolle von Ökosystemen insofern um sozialwissenschaftliche Beschreibungen dieses neuen Politikfeldes. Denn letztendlich ist die Integration biodiversitätsabhängiger Werte eine soziale Innovation auf politischer und unternehmerischer Ebene. Und als solche werden wir sie auch untersuchen.
Wer wird Ihre Forschungsergebnisse nutzen können?
Roland Zieschank: Stakeholderanalyse und ein entsprechendes Kommunikationskonzept sind explizite Bestandteile von Bio-Mo-D. Ziel ist es, Führungskräften aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft Informationen an die Hand zu geben, um ökologisch nachhaltigere Entscheidungen treffen zu können - und damit Natur und Artenvielfalt eine angemessene Wertschätzung entgegenbringen. Unsere Ergebnisse sollen helfen, dass staatliche Institutionen im Sinne eines „Naturbarometers" über Biodiversität und Ökosystemleistungen berichten und die Öffentlichkeit sowie insbesondere Wirtschaftsprüfgesellschaften diese Aspekte selbstverständlich und regelhaft bei Unternehmen abfragen können. Bislang musste die Wissenschaft „angebotsorientiert" arbeiten. Inzwischen zeichnet sich jedoch für Deutschland erstmals eine Nachfrage nach Informationen zu Ökosystemleistungen und Biodiversität ab, vor allem aus dem Forst- und Agrarsektor. Aber auch das politische Umfeld sendet Signale, Wohlstand anders messen und bewerten zu wollen, d.h. entsprechende Informationen beispielsweise in den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung oder die nationale Biodiversitätsstrategie aufzunehmen. Das heißt: Unser Projekt kommt zur richtigen Zeit.
Was muss passieren, dass Sie am Ende sagen: „Dieses Projekt war erfolgreich"?
Karsten Grunewald: Wenn es gelingt, informatorische Defizite zu überwinden, das heißt, wenn wir auf einem Weg sind, dass zentrale Kennziffern zu Ökosystemleistungen und Biodiversität verstanden und akzeptiert werden und in staatlichen und unternehmerischen Berichtssystemen Eingang gefunden haben.
Roland Zieschank: Und wenn wir eine neue Sicht auf gesellschaftlichen Wohlstand befördern konnten. Eine Sicht, die die Leistungen der Ökosysteme und der Biodiversität nicht nur anerkennt, sondern das Handeln danach ausrichtet. Naturschutzpolitik kann sich dann neu positionieren: Anstelle einer eher „traditionellen" Politik des Schutzes von begrenzten Lebensräumen und Tier- oder Pflanzenarten wird Naturschutzpolitik zu Gesellschaftspolitik, im Sinne eines wesentlichen Beitrags zum gesellschaftlichen Wohlergehen. Dieses neue „Framing" der Bedeutung von Ökosystemen führt langfristig dazu, dass nicht nur, wie bisher, in Produktivvermögen oder „Humankapital", wie Bildung, Gesundheit und soziale Sicherheit investiert wird, sondern gleichermaßen in „Naturvermögen": in intakte Ökosysteme und vielfältige, lebendige Landschaften.
Fördermaßnahme BiodiWert
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert mit der Fördermaßnahme "Wertschätzung und Sicherung von Biodiversität in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft" (BiodiWert) Projekte, die durch die Entwicklung innovativer Bewertungskonzepte, Governancestrukturen sowie (Politik-) Maßnahmen den Stellenwert von Ökosystemleistungen und Biodiversität auf unternehmerischer und gesellschaftlicher Ebene steigern – und damit wirksam zur Sicherung von Biodiversität beitragen.
Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA)
Mit der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die wissenschaftliche Untersuchung der Biodiversität in Deutschland und die Entwicklung neuer, effektiver Artenschutzmaßnahmen.