KlimPro-Industrie: Die BMBF-Fördermaßnahme will klimaschädliche Prozessemissionen auch in der Glasindustrie vermeiden

Kann die Glasherstellung durch den Einsatz von regenerativen Energien und neuen Technologien klimaverträglich werden? Wie das gelingen kann, erläutert Dr. Matthias Müller des Technologiekonzerns SCHOTT AG, der unter anderem Spezialglas herstellt.

Wassergläser, Fenster, Flaschen – im Alltag begegnet uns immer wieder Glas. SCHOTT als Hersteller von Spezialglas: In welchen weiteren Bereichen wird Glas als Material genutzt und was macht die Glasindustrie so bedeutsam für den Wirtschaftsstandort Deutschland?

Jeder Mensch kommt täglich mit unseren Spezialgläsern in Berührung, sei es im Smartphone oder Computer, im Gesundheits- und Pharmaziebereich, im Auto oder in der Küche mit dem CERAN®-Kochfeld. Glas ist überall! Sein Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft, denn es ist einer der vielseitigsten Werkstoffe der Welt. Es steht für Innovationsfähigkeit und Wandelbarkeit, Hightech und Grundversorgung. Die Eigenschaften von Glas werden immer weiterentwickelt, um neue Technologiebereiche zu erschließen, wie zum Beispiel ultradünnes Glas für faltbare Tablets, Lasergläser für die Laserkommunikation oder faseroptische Lichtleiter für Endoskope.
Insgesamt hat die Glasindustrie mit rund 50.000 Beschäftigen und einem Umsatzvolumen von über zehn Milliarden Euro pro Jahr eine hohe Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland, wobei sie gleichzeitig auf Platz 4 der energieintensiven Industrien liegt.

 

Die Glasproduktion ist sehr energieintensiv. Bei der Produktion von Spezialgläsern werden Schmelztemperaturen von bis zu 1700 °C benötigt und dadurch große Mengen CO2 ausgestoßen. Wie sehen die aktuellen Fortschritte der deutschen Glasindustrie aus, um das Ziel einer klimaneutralen Produktion bis zum Jahr 2045 zu erreichen?

Bei Schott wollen wir bis 2030 in unserer Produktion klimaneutral werden. Das ist ambitioniert mit vielen offenen Fragen. Aber wir konnten unseren CO2-Fußabdruck bereits um 60 Prozent durch weltweiten Bezug von 100 Prozent Grünstrom reduzieren. Der Technologiewandel ist die größte Herausforderung. Der Fokus unserer Forschungen: Die Beheizung der Schmelzwannen mit Grünstrom oder Wasserstoff anstatt Erdgas. Wir werden in wenigen Jahren „ready for use" sein – auch dank des Bundesforschungsministeriums. Zur Umsetzung brauchen wir jedoch ausreichende grüne Energien zu wettbewerbsfähigen Preisen. Dann können wir die Klimaziele erreichen. Und das Problem ist inzwischen auch in der gesamten Glasindustrie erkannt, diese Herausforderung wird von allen angegangen.

Das vom Bundesforschungsministerium geförderte Projekt MiGWa (Mikrowelle Glas Wasserstoff) wird bei SCHOTT koordiniert. Das Ziel: innovative Technologien zur direkten Vermeidung des Hauptanteils der CO2-Emissionen bei der Glasherstellung zu erforschen. Was sind das für Technologien?

Wir untersuchen zwei Technologien zur CO2-Reduktion: Die Mikrowellentechnologie, mit der beim Einschmelzen der Rohstoffe elektrische Energie verwendet wird. Mit dieser neuen Technologie sollen fossile Brennstoffe deutlich reduziert und durch elektrische Energie ersetzt werden. Weiterhin hat diese Technologie das Potenzial zur Prozessverbesserung.
Die zweite Technologie ist die Nutzung von Wasserstoff für die Beheizung der Schmelzwannen und für die Heißformgebung. Hierbei prüfen wir die Auswirkungen auf die verschiedenen Teilprozesse der Glasherstellung und insbesondere welche Glaseigenschaften dadurch beeinflusst werden.

 

Das Thema „grüner Wasserstoff" wird als Schlüsselrohstoff für eine erfolgreiche Energiewende und Hoffnungsträger für das Klima gehandelt. Wie setzt das Projekt MiGWa Wasserstoff ein?

Wasserstoff wird beim Projekt MiGWa als Ersatz für Erdgas in der Glasschmelze verwendet. Die dafür genutzten Brenner müssen für den neuen Energieträger Wasserstoff angepasst werden. Die Herausforderung: Bei der Wasserstoffverbrennung wird das dreifache Volumen im Vergleich zum Erdgas benötigt. Nach Untersuchungen mit den Brennern im Labor werden nun Versuche an Testanlagen durchgeführt, um die Auswirkungen auf Prozess- und Glaseigenschaften zu ermitteln. Wenn das funktioniert, wollen wir die Beheizung mit Wasserstoff auf großtechnischen Anlagen testen – wenn ausreichende Mengen an grünem Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen verfügbar sind.

Am 26. und 27. April treffen sich die Projektpartner von MiGWa mit weiteren Branchenvertretern der Grundstoffindustrie, die im Rahmen der BMBF-Fördermaßnahme „KlimPro-Industrie" gefördert werden. Können Sie uns schon vorab erste Zwischenergebnisse von MiGWa verraten, die auf der Veranstaltung vorgestellt werden?

Für grünen Wasserstoff konnten wir die Brenner so anpassen, dass die notwendige Energie auch mit den höheren notwendigen Gasvolumen erzeugt werden kann. Auch bezüglich der Flammenlänge und der Stickoxid-Anteile sind die Brenner einsatzfähig. Die Prozessänderungen sind beherrschbar, aber die Auswirkungen auf die Glaseigenschaften sind deutlich sichtbar. Wir untersuchen derzeit, inwieweit sich diese Veränderungen auf die Produkteigenschaften und auch auf die Weiterverarbeitung auswirken.
Der Einsatz der Mikrowellentechnologie zeigt erste vielversprechende Ergebnisse im Labormaßstab. Die größte Herausforderung wird sein, das Ganze auf großtechnische Anlagen zu übertragen.

Dr. Müller, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person

Dr. Matthias Müller ist Leiter der zentralen Forschung beim Technologiekonzern SCHOTT. Als promovierter Materialwissenschaftler arbeitet er seit 25 Jahren in der Industrie an der Entwicklung und Produktion von innovativen Materialien, Technologien und Produkten. Dabei spielt vor allem auch die Nachhaltigkeit immer wieder eine besondere Rolle, so zum Beispiel während seiner Tätigkeit im General Management der Solar Silizium Wafer Herstellung für PV-Module bei SCHOTT von 2005 bis 2012. Ein aktueller Schwerpunkt ist die Entwicklung innovativer, CO2-freier Schmelztechnologien, um damit das SCHOTT Konzernziel – Klimaneutral bis 2030 – zu untersetzen.