Per Klick zum Status Quo: Übersicht zur Klimaresilienz deutscher Städte
Wo stehen Deutschlands Kommunen in Sachen Klimaresilienz? Das BMBF-Projekt MONARES entwickelte eine Web-App, um erste, aktuelle Bestandsaufnahmen zu ermöglichen. So erhalten Kommunen einen schnellen Überblick, wie sich ihre Resilienz entwickelt hat.
Herr Prof. Birkmann, wir erleben zunehmend in unserem Alltag die Auswirkungen des Klimawandels: mehr langanhaltende und intensive Starkregen, dann wieder lange Hitze- und Trockenphasen. Einige Kommunen Deutschlands arbeiten bereits daran anpassungs- und widerstandsfähiger – also resilienter – im Umgang mit den Klimafolgen zu werden. Wie unterstützt die neue Web-App „MONARES" dabei?
Aus der Perspektive der Wissenschaft haben wir beobachtet, wie das Thema Klimaanpassung immer stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft und der Kommunen rückt. Doch oft wird direkt an Maßnahmen gedacht, also beispielsweise an die Entsiegelung von Flächen oder mehr Baumpflanzungen. Es fehlt teilweise die Frage, was Resilienz eigentlich konkret bedeutet – also, welche Dimensionen und Themen der Resilienz es gibt und welche Ausgangsbedingungen für die Stärkung von Resilienz bestehen in einer Kommune. Als Forschungsteam wollten wir eine Möglichkeit schaffen, damit Kommunen bereits vor der Diskussion von einzelnen Maßnahmen eine erste grobe und unkomplizierte Bestandsaufnahme ihres aktuellen Stands der Klimaresilienz durchführen können. Und da kam die Idee einer Web-App auf – in der wir dann auch unsere Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt MONARES, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, anschaulicher als einen reinen Forschungsbericht darstellen konnten.
Wie sehen diese Ergebnisse aus?
Im Projekt ging es darum Methoden zu entwickeln, um für verschiedene Dimensionen der Resilienz, wie Gesellschaft, Wirtschaft, Umwelt und Infrastruktur, konkrete Anzeiger – das heißt Indikatoren – zu entwickeln. Diese Indikatoren sollen bestimmte Trends oder Ist-Zustände aufzeigen und damit erlauben, ein erstes, grobes Resilienzprofil von einer Kommune zu erstellen. Diese Dimensionen und Indikatoren haben wir dann auch mit Maßnahmen und Beispielen verknüpft, sodass man eine stärker handlungsorientierte Informationsbasis in der App abrufen kann. Da mittlerweile einige öffentliche Gelder in die Erhöhung der Klimaanpassungskapazitäten und Klimaresilienz fließen, ist es wichtig, systematisch Maßnahmen zu entwickeln und ihre Wirkung in Bezug auf bestimmte Indikatoren oder Ziele abzuschätzen oder sogar zu quantifizieren. Dazu haben wir unterschiedliche Indikatoren zur Messung der Klimaresilienz einer Kommune identifiziert, die ein Orientierungswissen bieten und Vergleiche zwischen Kommunen in erster Näherung erlauben. Dieser Ansatz ist durch lokalspezifische Monitoringinstrumente zu ergänzen.
Manche Indikatoren, wie zum Beispiel der ‚Anteil unversiegelter Flächen', sind dabei sicherlich sehr naheliegend und zeigen auf, dass Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene bestehen. Zudem ist es wichtig, dass die Maßnahmen in verschiedenen Resilienzfeldern, beziehungsweise Dimensionen, auch im Kontext des jeweiligen kommunalen Resilienzprofils beurteilt werden. Denn kleine Städte haben andere Strukturen als große Städte. In bestimmten Städten, wie etwa Gelsenkirchen, ist der Anteil der unversiegelten Fläche deutlich geringer als in anderen Städten gleicher Größe. Städte mit überdurchschnittlich hohem Anteil an Senioren haben höhere Herausforderungen beim Schutz dieser verwundbaren Gruppen zu leisten als Städte, die eine relativ junge Bevölkerung aufweisen – wie etwa Studierende. Denn Senioren, aber auch Kleinkinder, sind anfälliger gegenüber klimatischen Extremereignissen, insbesondere gegenüber Hitzewellen. Deshalb haben wir diese besonders verwundbare Bevölkerungsgruppe (Anteil) auch als einen Indikator festgelegt. Alle von uns erfassten Indikatoren finden sich auch in der App wieder.
Und woher stammen dann die Daten in der App, um die Indikatoren messen zu können?
Bei der Entwicklung der Web-App haben wir uns die Firma indblik.io als Partner dazu geholt. Diese hat die App programmiert und wir haben zuvor im Forschungsprojekt die Daten für die Messung der Indikatoren geprüft und bewertet. Beispielsweise war die bundesweite Verfügbarkeit ein wichtiges Kriterium, damit man die Resilienzprofile einer bestimmten Stadt auch mit anderen Städten vergleichen kann. Die Daten kommen dabei aus unterschiedlichen Quellen – zum Beispiel vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Bonn oder auch vom Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung. In der App ist alles für den User bereits verknüpft, sodass sich eine Kommune hier nicht mühsam die Daten selbst heraussuchen muss, sondern relativ schnell für verschiedene Jahre sehen kann, was verfügbar ist. Sicherlich gibt es auch Datenlücken, aber für eine grobe Bestandsaufnahme bekommt man Informationen über die Resilienz der eigenen Kommune im Vergleich zu Kommunen ähnlicher Größe (Kleinstädte, Mittelstädte, Großstädte). Die App ist dabei so programmiert, dass die Daten visuell relativ ansprechend und übersichtlich präsentiert werden. Über Spiderdiagramme werden alle Indikatoren dargestellt, man kann sich Zeitreihen darstellen lassen und auf die Datenquellen und Hintergrundinformationen für die Auswahl der Indikatoren und ihre Bedeutung klicken.
Nehmen wir als konkretes Beispiel die Stadt Stuttgart, wo Sie forschen und lehren: Wie könnte hier eine solche Bestandsaufnahme aussehen, die mit Hilfe der App vorgenommen werden kann?
Die User – wie etwa Verwaltungsangestellte oder interessierte Bürgerinnen und Bürger – können sich unter „Resilienzprofil" ihre Kommune auswählen. Das Interessante bei der App ist: Ich kann mir direkt anzeigen lassen, wie die ausgewählte Kommune auch im Vergleich zu anderen Kommunen ähnlicher Größenordnung in Sachen Klimaresilienz abschneidet und wie die Datenverfügbarkeit für die Indikatoren in den letzten Jahren ist. In Bezug auf Stuttgart kann ich so direkt auf einen Blick sehen, dass die Stadt eine geringere Verschuldung hat im Vergleich zum Durchschnitt der anderen Großstädte und auch relativ hohe Werte bei der wissensintensiven Beschäftigung aufweist. Allerdings ist die wirtschaftliche Diversität im Vergleich zu anderen Großstädten geringer, was auch durch die hohe Abhängigkeit von bestimmten Industrien (Autoindustrie) bedingt sein kann. Interessanterweise hat die Stadt nach den Daten von 2018 im Vergleich zu anderen Städten eine geringere Ärztedichte und auch deutlich weniger Wasserflächen im Vergleich zu anderen Großstädten.
Insgesamt zeigt die Themenbreite natürlich auch bereits, dass das Thema Klimaresilienz einen ämterübergreifenden Ansatz und sicherlich auch mehr als Akteure aus der Verwaltung benötigt. Die App kann die Diskussion um einzelne Maßnahmen und ihre Passgenauigkeit für eine spezifische Kommune nicht ersetzen. Dies ist auch nicht das Ziel. Die App bietet erstes Orientierungswissen, was Impulse für die weitere Diskussion eröffnet. Zudem kann der User sich dann mit wenigen Klicks individuell neue Abfragen zusammenstellen und – bei Interesse – auch ein Resilienzprofil als PDF herunterladen. Dabei hängt der Informationsumfang und die Informationsqualität allerdings auch immer von der Datenverfügbarkeit und Datenqualität in den jeweiligen Jahren ab.
Wenn sich eine Kommune ein eigenes Resilienzprofil erstellt hat: Wie geht es weiter?
Insgesamt bietet die App eine grobe Bestandsaufnahme und erste Hinweise. Sie kann nicht alle Einzelheiten einer Kommune abbilden – dafür ist es sicherlich notwendig, zum Beispiel durch weitere Informationen oder Gespräche die individuelle, lokale Situation möglichst genau zu betrachten. Die Informationen der App helfen jedoch bei einer ersten Einordnung – gerade im Vergleich zu anderen Kommunen. Beispielsweise für Stuttgart – warum können wir nicht noch mehr qualifizierte Wasserflächen unter anderem am Neckar auch für die Abkühlung und das Schwimmen bei heißen Tagen schaffen? Dies ist aber nur eine erste Frage, die sich bei der kreativen Nutzung der App dann stellen kann. Auch für andere Städte können die Profile und Zeitreihen erste Fragen aufwerfen, die es dann weiter zu vertiefen gilt. Die Evaluation oder Identifikation einzelner Projekte ist damit aber nicht möglich. Allerdings kann man bei ganz genauer Betrachtung in einigen Städten die Wirkung größerer Projekte erkennen. So hat sich in Dortmund die Wasserfläche in den Jahren 2011 – 2012 leicht erhöht – wenn man sich den Indikator in der Zeitreihe anzeigen lässt. Dies dürfte unter anderem mit der Entwicklung des Phönixsees auf dem ehemaligen Industriegelänge zu tun haben, wo heute statt dem Hochofen eine relativ attraktiver See zu finden ist.
Neben den Resilienzprofilen finden Kommunen in der App aber auch Maßnahmen und Best-Practice Beispiele, die die Informationen über einzelne Indikatoren ergänzen. Die Maßnahmen sind unterteilt nach den Indikatoren, damit der User schnell zu einem Handlungsfeld eine entsprechende Maßnahme findet. Die hier gesammelten Beispielmaßnahmen können einen positiven Effekt auf die Klimaresilienz haben. Maßnahmenbeispiele können etwa die Renaturierung von Fließgewässern sein oder die Sicherung und Schaffung von sogenannten Kaltluftschneisen oder die Entsiegelung, damit Städte auch in Hitzezeiten noch etwas Kühlung bieten.
Mit diesem Gesamtpaket möchten wir den Kommunen auch Argumente für ihre Resilienzstrategien an die Hand geben, um Maßnahmen systematisch auch aus einer Bestandsaufnahme begründet ableiten und realisieren zu können.
Was nehmen Sie persönlich nach den Erfahrungen des Projekts und der App-Entwicklung mit?
Ich finde die App wirklich interessant. Oftmals stellen wir Projektergebnisse als PowerPoint- oder PDF-Dokumente auf eine Webseite. Doch mit der App können wir die Ergebnisse für andere in einer sehr viel anschaulicheren Weise darstellen. Und jeder kann sich individuell nach seinen Interessen oder Bedürfnissen hier durchklicken und qualitätsgeprüfte Informationen erhalten.
Für mich als Professor ist es darüber hinaus ein schönes Beispiel, das ich gerne meinen Studentinnen und Studenten zeige: Die App bietet ihnen als interaktives Tool eine Abwechslung zu anderen Lehrmaterialien und sie können sich selbst informieren – zum Beispiel wie ihre Heimatstadt bei Klimaresilienz in erster Näherung aufgestellt ist. Das gibt einem einen neuen Zugang zum Lernstoff – egal, ob in der Vorlesung 30, 60 oder 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer sitzen, die App kann jeder aufrufen und bedienen.
Herr Prof. Birkmann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zur Person: Prof. Dr.-Ing. Jörn Birkmann
Prof. Dr.-Ing. Jörn Birkmann leitet seit Oktober 2014 das Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung an der Universität Stuttgart (IREUS). Er befasst sich unter anderem im Rahmen mehrerer BMBF-Projekte mit Fragen der Anpassung an den Klimawandel durch Planung. Zuvor war er von 2007 bis 2014 Leiter der Sektion „Vulnerabilitäts-Assessment, Risikomanagement und adaptive Planung" am Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen. Von 2019 bis 2022 übernahm Birkmann die Funktion des koordinierenden Leitautors beim Sechsten Sachstandsbericht (AR6), Kapitel 8 des Weltklimarats, IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change).
Zum Projekt: MONARES
Die Projektpartner von MONARES – adelphi, IREUS, Universität Gießen und Dialogik – entwickelten in der Forschungs- und Entwicklungsphase einen Leitfaden mit einem Set von Indikatoren zur Abschätzung der städtischen Klimaresilienz. In der Umsetzungs- und Verstetigungsphase wurde dieses Indikatoren-Set für weitere Kommunengrößen erweitert.
Das Projekt MONARES ist eins von insgesamt 15 Forschungsprojekten, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Fördermaßnahme „Klimaresilienz durch Handeln in Stadt und Region" unterstützt.