Invasive gebietsfremde Arten bedrohen Biodiversität und Ökosystemleistungen
Biologische Invasionen haben große Auswirkungen auf Biodiversität, auf die nachhaltige Entwicklung und auf die Lebensqualität der Menschen. Wie wir damit umgehen können und, ob ein Umsteuern noch möglich ist, beantwortet Dr. Hanno Seebens.
Dr. Hanno Seebens arbeitet an der Justus-Liebig-Universität Gießen und war Koordinierender Leitautor von Kapitel 2 sowie der „Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung" des „Thematischen Assessments über invasive gebietsfremde Arten und deren Kontrolle" des Weltbiodiversitätsrats IPBES. In seiner Arbeitsgruppe „Ecological Informatics" werden die Verteilung von Biodiversität auf der Erde und die Einflüsse des Menschen durch die Ausbreitung von gebietsfremden Arten auf verschiedenen räumlichen und zeitlichen Skalen (lokal bis global und von der Vergangenheit bis hin zu Zukunftsszenarien) untersucht. Er ist sich sicher: „Mit IPBES eröffnet sich eine großartige Chance, den globalen Verlust der Biodiversität auf die Tagesordnung der Politiker zu bringen und in der Öffentlichkeit präsenter zu machen."
Das vom Weltbiodiversitätsrat IPBES (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services) erstellte „Thematische Assessment über invasive gebietsfremde Arten und deren Kontrolle" bewertet kritisch die Erkenntnisse über biologische Invasionen und die Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten. Herr Seebens, wie schlimm steht es denn derzeit um die globale Biodiversität?
Seebens: Wir Menschen üben derzeit einen enormen Druck auf die Natur aus, was zu einem Artensterben in bisher unbekanntem Ausmaß führt. Und dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Der IPBES Bericht zur globalen Lage der Biodiversität von 2019 hat fünf Hauptursachen (Treiber) identifiziert, die maßgeblich zum Verlust der Biodiversität beitragen. Dies sind Landnutzung, Klimawandel, Fischfang und Jagd, Umweltverschmutzung und invasive gebietsfremde Arten. Alle zusammen und viele weitere Treiber sorgen dafür, dass die Ökosysteme einer Vielfalt von Störungen ausgesetzt sind, die zu einem starken Rückgang der Biodiversität führen.
Sie waren maßgeblich an der vierjährigen Erstellung des IPBES-Assessments über invasive gebietsfremde Arten beteiligt und haben auch an der deutschsprachigen Übersetzung seiner Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung mitgewirkt. Was war Ihre Motivation, sich an diesem IPBES-Prozess so intensiv zu beteiligen?
Seebens: Die regelmäßigen IPBES-Berichte zur Biodiversität spielen eine sehr wichtige Rolle, die Probleme, die wir aktuell mit Bezug auf die Biodiversität sehen, für eine große Öffentlichkeit und die internationale und nationale Politik sichtbarer zu machen. Die IPBES Berichte werden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Vertretern der Länder gemeinsam verfasst und spielen daher auch für die nationalen Gesetzgebungen eine wichtige Rolle. Hinzu kommt, dass man in einem großen Team mit Forschenden aus der ganzen Welt zusammenarbeitet. Es war daher für mich eine einzigartige Möglichkeit an einem Bericht über invasive Arten teilnehmen zu können.
Was bedeutet der Begriff „biologische Invasion" genau?
Seebens: Der Begriff biologische Invasion beschreibt den Prozess der Ausbreitung von Organismen (beispielsweise Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen) durch den Menschen in Gebiete, in denen diese Organismen vorher nicht vorkamen. So ermöglicht zum Beispiel der internationale Transport von Waren vielen Arten die Überwindung von Barrieren wie Ozeanen, die sie ohne die Hilfe des Menschen nie überwunden hätten. Die Ausbreitung von Arten ist grundsätzlich ein wichtiger und natürlicher Prozess, aber die Rate, mit der der Mensch heutzutage zur Verbreitung von Arten beiträgt, ist ein Vielfaches der natürlichen Rate und sorgt für große ökologische und ökonomische Schäden. Einige dieser neuen Arten verursachen Probleme in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Verdrängen einheimische Arten oder können die menschliche Gesundheit beeinträchtigen. Diese Arten mit negativen Auswirkungen nennt man invasive Arten.
Welche invasiven Arten gibt es bereits in Deutschland und welche Auswirkungen haben diese auf unsere Biodiversität?
Seebens: Laut offiziellen Zahlen des Bundesamts für Naturschutz gibt es in Deutschland 107 invasive Arten und 114 potenziell invasive Arten. Weitere 1017 Arten gelten als gebietsfremde Arten mit einem beständigen Vorkommen ohne bisher beobachtete Schäden. Allerdings fallen darunter nur Arten, deren Status und Auswirkungen bisher bewertet werden konnten. Viele weitere Arten sind noch nicht untersucht worden. Es ist daher anzunehmen, dass wir deutlich mehr invasive und gebietsfremde Arten in Deutschland haben, die bisher noch nicht erfasst oder bewertet wurden. Und es kommen stetig neue Arten hinzu.
Wie können diese Invasoren besser kontrolliert und Risiken für weitere biologische Invasionen reduziert werden?
Seebens: Die mit Abstand wichtigste Maßnahme ist die Prävention. Wir müssen versuchen, die bewusste oder unbewusste Verbreitung von Arten zu minimieren. Dies kann durch Regulierung des Handels erfolgen, aber auch durch Maßnahmen, um unbewusste Ausbreitungen zu verhindern. So sollten Frachtschiffe und deren Ladung gereinigt werden. Wenn Arten trotzdem eingeführt werden, müssen Maßnahmen-Kataloge vorliegen und Kapazitäten geschaffen werden, um zeitnahe Entscheidungen fällen und eventuell Maßnahmen umsetzen zu können. Einiges davon ist bereits vorhanden, aber es muss noch viel getan werden, um einen signifikanten Effekt zu erzielen.
Was können solche IPBES-Assessments zum besseren Verständnis und auch zu einem besseren Management invasiver gebietsfremder Arten beitragen und inwieweit unterstützen sie dadurch politische Entscheidungsträger und andere wichtige gesellschaftliche Akteure?
Seebens: IPBES-Berichte tragen enorm dazu bei, das entsprechende Thema sowohl in der Bevölkerung als auch bei Entscheidungsträgern auf die Tagesordnung zu bringen. Hinzu kommt, dass die Berichte eine sehr gute Grundlage bilden, um Argumente für die Erlassung von Gesetzen, die Bereitstellung von Geldern und die Umsetzung von Maßnahmen auf Ebene der Länder zu haben. Wir können das Problem der biologischen Invasion nur mit international und national koordinierten Maßnahmen angehen und die IPBES Berichte bieten die wissenschaftliche Grundlage, um weitere Schritte zu gehen.
Herr Seebens, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zur Person
Hanno Seebens ist DFG Heisenberg Gruppenleiter an der Justus-Liebig-Universität Gießen und leitet dort die Arbeitsgruppe „Ecological Informatics". In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Ausbreitung von gebietsfremden Arten über globale Transportnetzwerke wie Handelsschifffahrt und er war Projektleiter im BMBF-geförderten Projekt AlienScenarios, welches sich mit der Entwicklung von Zukunftsszenarien der biologischen Invasion beschäftigte.