Das Nexus-Assessment des Weltbiodiversitätsrats bietet ein breites Spektrum an Optionen für die Maximierung des Nutzens von Biodiversität, Wasser, Nahrung, Gesundheit und Klimasystem

Jun.-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger, Dr. Stephanie Thomas und Prof. Dr. Ralf Seppelt im Interview: Wie hängt der Biodiversitätsverlust mit Wasser, Nahrung, Gesundheit und dem Klimawandel zusammen und welche Optionen gibt es für eine Trendwende?

Der massive Verlust von Biodiversität trägt dazu bei, dass Ökosysteme weniger widerstandsfähig gegenüber Veränderungen sind, die unter anderem durch den Klimawandel verursacht werden. Damit erfasst die ökologische Doppelkrise aus Verlust der biologischen Vielfalt und Klimawandel sowohl Naturräume als auch besiedelte und genutzte Flächen, wobei der größte Teil der von Menschen genutzten Flächen auf die Landwirtschaft entfällt.
Der Rückgang der Artenvielfalt und die Veränderungen der Ökosysteme an Land, in Binnengewässern und in Ozeanen sind historisch beispiellos.

Herr Seppelt, Sie sind Koordinierender Leitautor des IPBES Nexus-Assessments. Was sind Ihre Aufgaben bei der Erstellung des Assessments und der Zusammenfassung für die politische Entscheidungsfindung?

Seppelt: Zusammen mit Paula Priest (USA), David Hayman (Neuseeland) und Ernest Moula (Kameron) leiteten wir die Erstellung von Kapitel 2 des Berichtes. Zusammen mit 15 weiteren verantwortlichen Autorinnen und Autoren und weiteren zehn Autoren, die einzelne Beiträge geliefert haben, haben wir den aktuellen Stand des Wissens zusammengetragen, der die gegenwärtigen Trends und den aktuellen Zustand von Artenvielfalt, dem Klima- und Ernährungssystem, Wasserverfügbarkeit und menschlicher Gesundheit global beschreibt.

Das Assessment wurde von 165 hochrangigen internationalen Expertinnen und Experten aus 57 Ländern und allen Regionen der Welt unter der Leitung von zwei Ko-Vorsitzenden vorbereitet. Wie können wir uns die gemeinsame Arbeit vorstellen und wie lange hat es bis zur Annahme auf der 11. IPBES-Vollversammlung gedauert?

Seppelt: Ein Autorenteam bei IPBES bringt Kompetenzen aus den unterschiedlichsten Disziplinen, aber auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus vielen Weltregionen und Kulturkreisen zusammen. Häufig wird da die Aufgabe übersehen, die Gruppe zusammenzubringen und ein gemeinsames Verständnis für die Aufgabenstellung, die die Regierungen in Form des sogenannten Scoping Reportes gestellt haben, zu erreichen. Das war für uns im Kapitel 2, Daten, Informationen und das Wissen aus Publikationen zusammenzustellen, die den Überblick über den Zustand der Nexus-Elemente umfasst. Das setzt den Rahmen für den Bericht im Ganzen. Im Verlauf der Arbeiten gab es durch das Feedback der zwei externen Review-Runden und auch durch die fortschreitende Arbeit im Gesamtbericht immer wieder Revisionen und weitere Datenrecherche und eine Anpassung unserer Methoden der Auswertung und Darstellung. Im Mai 2022 war das erste Autoren-Treffen, so hat der Erstellungsprozess zweieinhalb Jahre gedauert.

Frau Biber-Freudenberger, Frau Thomas, Sie sind beide Leitautorinnen des Nexus-Assessments. Welche Kapitel haben Sie erarbeitet, worum geht's darin?

Biber-Freudenberger: „Ich habe mich vor allem mit Kapitel 2 der insgesamt sieben Kapitel befasst. Frühere und aktuelle Trends bei den Wechselwirkungen der Biodiversität mit Wasser, Nahrung, Gesundheit und Klimawandel, Bewertung der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen zeigen uns, dass es wichtig ist die Bedeutung von Biodiversität für das Wohlbefinden der Gesellschaft zu betonen. Verschiedene Treiber haben dazu geführt, dass der Biodiversitätsverlust schnell voranschreitet. Verantwortlich dafür sind Treiber, wie Landnutzungswandel, Klimawandel, die Ausbreitung von invasiven Arten, Verschmutzung und die nicht-nachhaltige Nutzung von Biodiversität. Das wirkt sich dann wiederum auf Wasser, Nahrung, Gesundheit und unser Klima aus.

Thomas: „Ich habe an Kapitel 3 mitgearbeitet. Dieses beschäftigt sich mit dem Verständnis zukünftiger Wechselwirkungen zwischen den Nexus Elementen in Szenarien und verschiedenen Weltansichten im Hinblick auf die Erreichung einer guten Lebensqualität. Wichtige Faktoren hierfür sind unter anderen eine saubere und gesunde Umwelt, widerstandsfähige Ökosysteme mit hoher biologischer Vielfalt, sauberes Wasser, gesunde Nahrung und eine gute Gesundheitsvorsorge und -versorgung. Szenarien, die uns mögliche zukünftige Entwicklungen aufzeigen, helfen sektorübergreifende und ausbalancierte Wege einzuschlagen im globalen, nationalen oder lokalen Kontext.

Der Bericht stützt sich auf 6500 Referenzen, die die Vielfalt der Erkenntnisse und des Wissens über Biodiversität, Wasser, Nahrung und Gesundheit im Zusammenhang mit dem Klimawandel erfassen, darunter wissenschaftliche Artikel, Regierungsberichte sowie indigenes und lokales Wissen. Wieviel Zeit nimmt dies in Anspruch und wie teuer wird ein solcher Bericht?

Seppelt: Die Autorinnen und Autoren haben, je nach Rolle nominell 20 bis 30 Prozent ihrer Arbeitszeit für den Bericht aufgewendet, aber in der Regel ist es mehr. Hinzu kommt die Arbeitszeit der externen Reviewer in einem sehr transparenten Prozess die jeden einzelnen Fakt des Berichtes kommentieren und korrigieren konnten. Organisiert wird das Ganze von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des IPBES Sekretariates in Bonn. Die Kosten dafür gibt das Sekretariat mit 1,5 Millionen US-Dollar an.

Was sind die wichtigen Aspekte des Nexus-Assessments?

Biber-Freudenberger: Die globalen Umweltkrisen im Zusammenhang mit Biodiversität, Wasser, Nahrung, Gesundheit und Klimawandel wurden häufig in getrennten politischen Prozessen angegangen ohne die Berücksichtigung von komplexen Wechselwirkungen. Wir wissen aber schon lange, dass Biodiversität nur geschützt werden kann, wenn Wechselwirkungen berücksichtigt werden und Biodiversitätsschutz auch in den anderen Sektoren berücksichtigt wird. Leider haben Maßnahmen zur Bewältigung einer Krise, wie beispielsweise des Klimawandels, teilweise die negativen Folgen anderer Krisen, insbesondere in Bezug auf die Biodiversität, noch weiter verschärft. Zu jeder dieser Krisen gibt es einen großen Bestand an wissenschaftlichen Erkenntnissen – eine kritische globale Synthese über die Zusammenhänge zwischen diesen Krisen auf globaler Ebene hat es jedoch noch nie gegeben. Solch eine Synthese ist aber wichtig um deutlich zu machen, dass Entscheidungen im Kontext von Nachhaltigkeit eine Systemperspektive einnehmen müssen.

Was bedeutet diese sogenannte kritische globale Synthese konkret für die jeweiligen Nexus-Bereiche Biodiversität, Wasser, Nahrung, Gesundheit sowie Klimawandel?

Thomas: Im Nexus Assessment wird erstmals großer Wert darauf gelegt, das Wissen über die einzelnen Nexus-Elemente in den komplexen Zusammenhang der Entwicklung mehrerer anderer Elemente zu stellen. Es werden Fragen aufgeworfen wie: Was bedeutet der Zusammenhang von Biodiversität, Wasser und Nahrung für die Gesundheit der Menschen und welchen Einfluss hat dies wiederum auf den Klimawandel? Dies geht über zweidimensionale Fragestellungen hinaus, wie beispielsweise die mögliche Entwicklung klimabedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen oder solcher, die aufgrund mangelnder Wasserqualität entstehen. Veränderungen in unseren Ernährungsgewohnheiten hin zu einer pflanzenbasierten Ernährung haben beispielsweise Einfluss auf die Landnutzung und damit auf klimarelevante Gase. Gleichzeitig bringt dies Veränderungen in der Biodiversität und den vorhandenen Wasserressourcen mit sich, die wiederum bestimmte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit haben.

Wie geht es jetzt nach der Annahme des Assessments auf der 11. IPBES-Vollversammlung weiter?

Seppelt: Ich würde mir wünschen, dass die Aufmerksamkeit deutlich länger anhält, als nur ein bis zwei Tage nach der Pressekonferenz. Neben der Diskussion des Berichtes in der Gesellschaft ist mir aber noch viel wichtiger, dass er auch die Aufmerksamkeit in der Politik findet. Und beides gehört zusammen, denn die Medienlandschaft hat schon einen gewissen Einfluss darauf, welche Themen als politisch relevant erachtet werden und welche nicht. Das ist eine entscheidende Funktion in einer Zeit, in der Krisen eher an Zahl zunehmen als verschwinden. Und das ist genau der Punkt: Biodiversitätsverlust und Klimawandel verschwinden nicht, nur weil wir es nicht beachten.

Herr Seppelt, Frau Biber-Freudenberger, Frau Thomas wir danken Ihnen für das Gespräch.

Zur Person Prof. Dr. Ralf Seppelt

Prof. Dr. Ralf Seppelt ist Koordinierender Leitautor des thematischen IPBES-Assessments der ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN BIODIVERSITÄT, WASSER, NAHRUNG UND GESUNDHEIT (Nexus-Assessment).
Er hat die Co-Leitung des Departments Landschaftsökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig. Seppelt studierte angewandte Mathematik an der Technischen Universität Clausthal-Zellerfeld, Deutschland und promovierte in den Fächern Agrarökologie und Systemanalyse an der Technischen Universität Braunschweig.
Im BMBF-Programm „Nachhaltiges Landmanagement" leitete er das wissenschaftliche Begleitvorhaben GLUES „Global Assessment of Land Use Dynamics on Greenhouse Gas Emissions and Ecosystem Services". Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Landressourcenmanagement, basierend auf integrierten Simulations- und Modellierungssystemen. Ein Schwerpunkt seiner Arbeiten die Untersuchung von Mensch-Umwelt-Wechselwirkungen, sogenannten sozial-ökologischen Systemen.

Zur Person Jun.-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger

Jun-Prof. Dr. Lisa Biber-Freudenberger ist Leitautorin in Kapitel 2, dass sich mit den aktuellen Trends der Nexus Elemente beschäftigt. Darüber hinaus hat sie an Kapitel 7 mitgearbeitet, dass die Ergebnisse zusammenfasst und bestehende Lücken aufzeigt. Sie leitet die Arbeitsgruppe zu Biodiversität und nachhaltiger Landnutzung am Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich in unterschiedlichen Projekten mit Synergien und Konflikten von unterschiedlichen Landnutzungsansprüchen wie Naturschutz, Ernährung und Energie. Darüber hinaus beschäftigt sich mit den Auswirkungen globaler Umweltveränderungen und setzt sich für innovative Lösungen im Bereich Naturschutz und Ressourcennutzung ein. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Globalen Süden, insbesondere in Subsahara Afrika.

Zur Person Dr. Stephanie Thomas

Dr. Stephanie Thomas ist Leitautorin des thematischen IPBES-Assessments der ZUSAMMENHÄNGE ZWISCHEN BIODIVERSITÄT, WASSER, NAHRUNG UND GESUNDHEIT (Nexus-Assessment) im Kapitel 3 zu künftigen Interaktionen. Thomas hat einen Abschluss in Geoökologie und schrieb ihre Diplomarbeit über die Auswirkungen von Managementpraktiken im Nationalpark Villaricca in Südchile. Heute lehrt und forscht sie am Lehrstuhl Biogeografie der Universität Bayreuth zu Krankheitsvektoren wie Stechmücken und den von diesen übertragenen Krankheiten im Zusammenhang mit Änderungen der Biodiversität und dem Klimawandel. Thomas leitet und beteiligte sich an verschiedenen interdisziplinären Projekten auf europäischer Ebene (BiodivERsA, ECDC), nationaler Ebene (ehemals Zoonoseplattform jetzt One Health Plattform, BMBF) und regionaler Ebene (Verbundprojekte „Klimawandel und Gesundheit" in Bayern, StMUV, StMGP). Sie hat ein neues Modul „Biodiversität, Klimawandel und Gesundheit" entwickelt, um diese Themen übergreifend in die Lehre zu integrieren. Sie lehrt in den internationalen Studiengängen „Global Change Ecology MSc" und „Environment, Climate Change and Health MSc" an der Universität Bayreuth.