„Tag der Tropenwälder“: Dürre, Hitze, Rauch – Forschende im Projekt ATTO analysieren Auswirkungen und Folgen der Jahrhundertdürre 2023 im Amazonas

Zum internationalen „Tag der Tropenwälder“ am 14. September 2024 berichten Forschende des Projekts ATTO von den Auswirkungen der Jahrhundertdürre 2023 im Amazonas, dem größten Regenwald der Erde. Derzeit untersuchen sie die Folgen.

Gestrandete Boote im ausgetrockneten Flussbett des Amazonas, Fischsterben und tote rosa Flussdelfine: Diese Bilder gingen vor einem Jahr um die Welt. Die Ursache war eine verheerende Dürre im Amazonas. Während dieser Dürre im Jahr 2023 fiel der Pegel des Rio Negro in der Dschungel-Metropole Manaus auf einen historischen Tiefststand von 12,7 Metern seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1902. Damit lag er 5 Meter unterhalb des durchschnittlichen Wasserpegels. Zusätzlich wurden durch mehrere Hitzewellen oft Temperaturen von 41 Grad erreicht – diese lagen mehr als 3 Grad über den durchschnittlichen Werten der ohnehin heißen Trockenzeit im Amazonas.

Mit der Dürre und der Hitze kamen die Brände. Und dieses Mal konzentrierten sie sich nicht nur auf den „Bogen der Entwaldung", sondern wüteten vermehrt sogar im normalerweise feuchten Norden des Regenwaldes. Die Anzahl der Brände stieg auf mehr als das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr und auch die betroffene Fläche wurde größer. Und das obwohl die Entwaldung im gleichen Zeitraum deutlich rückläufig war.

In diesem Wetterextrem haben die Forschenden der ATTO-Forschungsinfrastruktur ihre Arbeit weiterentwickelt. ATTO steht für Amazon Tall Tower Observatory, ein deutsch-brasilianisches Forschungsprojekt, gefördert unter anderem vom BMBF. Die ATTO-Forschungsstation mit einem Atmosphären-Messturm von 325 Metern steht mitten im dichten brasilianischen Amazonas-Regenwald. Hier untersuchen deutsche und brasilianische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie der Wald mit der Atmosphäre interagiert. Ein Fokus liegt dabei auf dem Wasser- und Kohlenstoffkreislauf sowie dem Austausch von Gasen und Aerosolen. Die Forschenden wollen verstehen, welche Rolle der Amazonas-Regenwald für das lokale und globale Klima spielt, und welche Auswirkungen der Klimawandel hat. Auch die Gegensätze zwischen den „Jahreszeiten" sind ein wichtiger Forschungsschwerpunkt. Die teilweise sehr saubere Regenzeit-Atmosphäre erlaubt einen Blick auf die natürliche, vorindustrielle Atmosphäre, während die stark verschmutzte Trockenzeit-Atmosphäre stark von menschlichen Einflüssen geprägt ist.

2023 – Die Jahrhundertdürre
Die Ökologin Viviana Horna vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie wollte im September 2023 Messtandorte in der Überflutungsebene des Flusses Uatumã unweit von ATTO aufsuchen. Dort hatten sie schon im Jahr zuvor die Treibhausgasemissionen von Bäumen untersucht, die in diesem Ökosystem starken natürlichen Schwankungen des Flusspegels ausgesetzt sind. Doch sie stießen auf ein unerwartetes Problem. „Dieselben Bäume, die wir in der Trockenzeit 2022 noch mit dem Boot angesteuert hatten, waren vom Wasser aus nicht mehr zugängig," berichtet die Wissenschaftlerin. „Um sie zu erreichen, mussten wir durch das staubige Flussbett laufen."

Doch das war nur der Anfang. Hornas Kollegin Hella van Asperen, die für die Messungen von Treibhausgasen zuständig ist, berichtet, wie sie am Morgen des 13. Oktober 2023 zeitiger als sonst erwachte: „In meiner Hängematte im Camp stieg mir ein strenger Geruch in die Nase. Die Luft in unserem Camp war sichtbar vom Rauch getrübt." Die Atmosphären-Chemikerin erzählt weiter, wie sie an diesem Morgen kurz vor der Rückreise nach Manaus, noch ein paar letzte Messungen erledigte. „Ich bemerkte, dass die Konzentrationen von Kohlenstoffmonoxid, eine Verbindung, die unter anderem bei Bränden entsteht, an diesem Morgen 3000 ppb erreicht hatte. Solche Werte hatte ich hier noch nie gesehen! Das ist mehr als zehnmal so viel wie sonst und eher vergleichbar mit Werten, die man unmittelbar hinter einem LKW im Großstadtdschungel messen kann." Auf der Bootsfahrt Richtung Manaus war der Rauch immer noch so dicht, dass sich die Forschenden T-Shirts und Tücher vor das Gesicht ziehen mussten. „Trotzdem konnten wir die einsetzenden Kopfschmerzen nicht verhindern," so van Asperens Resümee.

Auch Sebastian Brill vom Max-Planck-Institut für Chemie war 2023 zu dieser Zeit an der Forschungsstation ATTO. Er beschäftigt sich mit Aerosolen, kleinen Schwebteilchen in der Luft. Dabei fokussiert er sich normalerweise auf biologische Aerosole, zum Beispiel auf die Sporen von Pilzen. Nicht so im Oktober und November 2023. „Es ist normal, dass wir in der Trockenzeit neben den biologischen Aerosolen auch eine Menge Rußteilchen in der Luft an ATTO finden," erklärt der Biologe. Durch die menschengemachten Feuer wird viel rußhaltiger Rauch freigesetzt, welcher von den Winden dann zu ATTO transportiert wird. „Aber solche Konzentrationen haben wir hier noch nie beobachtet," so Brill. „Unser Partikelfilter war komplett schwarz, und die Rußkonzentrationen waren um ein Vielfaches höher, wie wir sie in den Jahren zuvor gemessen hatten." Doch das ist auch kaum noch verwunderlich, denn im Einzugsgebiet von ATTO, vor allem in der Region Tapajós, brannte es im letzten Jahr auch in relativ unberührtem Regenwald heftig.

Und selbst vom Messturm aus konnten die Forschenden Rauchfahnen in unmittelbarer Nähe aufsteigen sehen. „Das ist verrückt, denn wir sind hier mitten im Dschungel. Es gibt keine Straßen, und winzige Siedlungen nur direkt am Fluss. Rodungsbrände gibt es hier in diesem geschützten Reservat nicht. Schon kleinste Feuer haben also ausgereicht, um den sonst schwer entzündlichen Regenwald in Brand zu setzen." Das bestätigt auch Cybelli Barbosa von der Universität Graz. Die brasilianische Ökologin lebt seit vielen Jahren in Manaus und verbringt viel Zeit an ATTO. „Trockenzeit, das heißt normalerweise nur, dass es weniger regnet. Den für die Tropen typischen Schauer am Nachmittag, den gibt es trotzdem fast jeden Tag. Außer letztes Jahr. Da regnete es im Regenwald sechs Wochen lang fast überhaupt nicht."

Ursachen für extreme Dürre im Amazonas
Mitverantwortlich für diese außerordentliche Dürre war das Klima-Phänomen El Niño. Etwa alle fünf bis sieben Jahre kehren sich die Ozeanströmungen im Pazifik um und wirbeln das Wetter in weiten Teilen der Welt durcheinander. Im Amazonasbecken geht ein El Niño stets mit Dürren einher, so zuletzt 2015/16. Doch 2023 erreichte das Extremwetterereignis außergewöhnliche Ausmaße. Denn nicht allein El Niño sorgte für Trockenheit. Die globale Erwärmung durch den Klimawandel und die Zerstörung des Regenwaldes hatte einen entscheidenden Anteil an dieser extremen Dürre. Zu diesem Ergebnis kamen unter anderem auch die Forschenden der World Weather Attribution.

Erste Analysen des Physikers Santiago Botía vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie zeigen, dass das Ökosystem im Umfeld von ATTO trotz der schweren Dürre und großen Hitze weiterhin mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre speichert als es freigesetzt hat. „Die Kohlenstoffsenke Regelwald hat hier also noch funktioniert," fasst Botía die Ergebnisse vorsichtig optimistisch zusammen. Doch es gibt ein „Aber". „Betrachtet man aber das gesamte Amazonasgebiet, und bezieht die Feuer mit ein, die große Mengen Kohlenstoff freisetzen, sieht die Lage anders aus. Statt Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu speichern, wurde der Amazonas zu einer Quelle für Kohlenstoff."

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des ATTO-Projekts analysieren derzeit unter Hochdruck alle 2023 gesammelten Daten im Detail. Sie wollen diese mit „normalen Jahren", aber auch mit dem letzten El Niño 2015 vergleichen.

Folgende Fragen stehen dabei im Mittelpunkt: Hat das Ökosystem massive Schäden durch die extremen klimatischen Bedingungen davongetragen? Und falls ja, kann es sich davon erholen? Und wie lange wird das dauern? Die vielleicht wichtigste Frage ist, ob der Amazonas-Regenwald auch in Zukunft seine Funktion als Kohlenstoffsenke erfüllen kann oder ob Abholzung und der zunehmende Klimawandel dazu führen werden, dass er diese Fähigkeit verliert. In der vom BMBF mitgeförderten ATTO-Forschungsinfrastruktur werden entscheidende Daten zu diesen Fragen erhoben und ausgewertet.

Keine guten Prognosen für 2024
Aktuell können die Forschenden des ATTO-Projekts diese Fragen noch nicht abschließend beantworten. Aber insgesamt sieht es nicht gut aus. Die Dürre setzte sich bis ins Jahr 2024 fort, die Regenzeit setzte erst spät ein und die Niederschläge reichten nicht aus, um die Flüsse und Böden wieder aufzufüllen. Der Pegel des Rio Negro liegt Ende August bereits 2,6 Meter unter dem Niveau von 2023 und sinkt rasch weiter. Die Schifffahrt warnt bereits vor ähnlichen oder noch schlimmeren Niedrigwasserpegeln als im vergangenen Jahr. Obwohl es noch früh in der Trockenzeit ist, haben die Brände bereits begonnen. Die Messgeräte an ATTO registrieren bereits jetzt hohe Kohlendioxid (CO2)- und Feinstaubwerte, während in Manaus die Luftqualität auf einem gesundheitsschädlichen Niveau liegt.

Hintergrund

Internationaler Tag der Tropenwälder
Der internationale „Tag der Tropenwälder" findet jährlich am 14. September statt, dem Geburtstag des bedeutenden Amazonas-Forschers Alexander von Humboldt. Mit dem Aktionstag wird auf die drohende Zerstörung der Regenwälder hingewiesen.

Forschungsprojekt ATTO
Die Forschungsinfrastruktur Amazon Tall Tower Observatory (ATTO) ist ein deutsch-brasilianisches Kooperationsprojekt. Die Forschung wird vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, dem Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, vom brasilianischen Institut für Amazonasforschung (INPA) und der Staatlichen Universität Manaus geleitet.

Gefördert wird ATTO vom BMBF, dem brasilianischen Wissenschaftsministerium (MCTIC), der Max-Planck-Gesellschaft, brasilianischen Organisationen, wie FAPEAM sowie durch Forschungsmittel weiterer brasilianischer Organisationen.

Der mit über 300 Metern höchste Forschungsturm Südamerikas wurde am 15. August 2015 eingeweiht. Das BMBF fördert die aktuelle Forschungsphase ATTOplus von 2021 bis 2025 mit ca. 5,7 Millionen Euro.