Erdbebenforschung: Innovative Systeme für schnelle Schutzmaßnahmen
Wie können die Folgen von Erdbeben besser bewältigt und die Frühwarnung verbessert werden? Darum geht es im Forschungsschwerpunkt „Früherkennung von Erdbeben und ihren Folgen“ des BMBF. Die insgesamt sechs Projekte haben kürzlich erste Ergebnisse vorgelegt.
Es ist eine Naturkatastrophe, die mindestens 50.000 Menschenleben in der Türkei und Syrien fordert, hinzu kommen unzählige Verletzte. Mehr als 160.000 Gebäude wurden durch das verheerende Erdbeben am Morgen des 6. Februar 2023 allein in der Türkei zerstört, ganze Städte gleichen heute einer Trümmerwüste. Die Bewältigung der Folgen wird noch Jahre dauern.
Forschungseinrichtungen und Unternehmen weltweit suchen angesichts dieser katastrophalen Auswirkungen seit Jahren nach technischen Lösungen, um Erdbeben in Sekundenbruchteilen zu erfassen und mit schnellen Schutzmaßnahmen die Schäden zumindest zu begrenzen. Denn nach wie vor kann die Wissenschaft zwar Prognosen zur Stärke und den Folgen von Erdbeben liefern, diese jedoch nicht vorhersagen.
Daher konzentriert sich die Forschung bislang auf Frühwarnsysteme. Sie bieten zumindest einen kurzen Handlungsspielraum für konkrete Maßnahmen, da zwischen dem Eintreffen der Primärwelle mit kleiner Amplitude und der folgenden zerstörerischen Sekundärwelle einige Sekunden vergehen. Mehr Puffer bleibt jedoch, um gegen Nachbeben gewappnet zu sein.
Mithilfe von Frühwarnsystemen können gefährdete technischen Anlagen wie Strom- und Gasleitungen abgeschaltet, aber auch Brücken gesperrt oder Anlagen in der Industrie oder kritischen Infrastruktur heruntergefahren werden. Zumeist sind die Schäden durch die Erschütterung der Erde weitaus geringer als Folgeschäden, die oft durch Brände ausgelöst werden.
Forschungsschwerpunkt mit sechs Projekten
Diesen Vorsorgeansatz verfolgt auch der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2020 geförderte Forschungsschwerpunkt „Früherkennung von Erdbeben und ihren Folgen“ innerhalb des Fachprogramms „Geoforschung für Nachhaltigkeit (GEO:N)“. Die insgesamt sechs Verbundprojekte entwickeln innovative Frühwarnsysteme, legen aber auch den Fokus auf die Schadensbewältigung. Kürzlich wurden auf einer Abschlusskonferenz in Hannover erste Ergebnisse präsentiert – manche der Projekte laufen noch bis Mitte dieses Jahres.
Frieder Kettemann, Referent für Geoforschung im BMBF, betonte zum Auftakt der Konferenz, dass sich Naturereignisse zwar nicht verhindern ließen, ihnen allerdings mit einer guten Vorsorge und technischen Innovationen ein Teil ihres Schreckens genommen werden könne. „Wichtig ist eine schnelle Schadenserfassung nach Erdbeben, um Rettungseinsätze koordinieren zu können“, so Kettemann. Die Forschung könne hierzu wichtige Werkzeuge liefern.
Einsatz von Drohnen zur Schadensklassifizierung
So wurden im Projekt LOKI ein innovatives System zur luftgestützten Lagebewertung im Katastrophenfall entwickelt. Das System basiert auf Drohnen, die mithilfe einer speziellen Software eine zeitnahe Übersicht der Gesamtschäden sowie Details zu beschädigten Gebäuden liefern sollen. Diese Daten wiederum können zeitnah an Behörden und Einsatzkräfte übermittelt werden.
Das Besondere des Projekts: Die Tools, darunter ein nutzerfreundliches Dashboard, wurden in enger Abstimmung mit Nutzern wie dem Technischen Hilfswerk entwickelt. Auch sind OpenStreetMap-Daten eingebunden, die von Freiwilligen im Rahmen von Crowdsourcing-Kampagnen überprüft und verbessert werden sollen. Dies ermöglich eine schnelle Schadensklassifizierung nach dem Beben.
Echtzeitüberwachung für Bauwerke
Gleichermaßen können die Ergebnisse des Projekts GIOTTO zum Management von Erdbebenfolgen beitragen. Darin wurde eine auf Sensoren basierende Echtzeitüberwachung für Bauwerke entwickelt, die Schwingungen von Gebäuden erfasst. Der Nutzen: Mit diesen Daten lässt sich der Zustand von Gebäuden oder Brücken ohne zeitliche Verzögerung bewerten, was die Grundlage für weitere Maßnahmen wie Evakuierungen darstellt.
In ROBUST geht es dagegen um ein Erdbebenfrühwarn- und Reaktionssystem, welches ein Netz aus seismischen Sensoren und Monitoring-Systemen in Bauwerken vereint. Das automatisierte System wurde bereits in der seismisch aktiven Niederrheinischen Bucht getestet. Es soll unter anderem Industrieanlagen mit Gefährungspotenzial im Falle eines schweren Bebens ohne Zeitverzögerung auf Standby schalten.
Monitoring von Bergwerksflutungen
Um systemrelevante Infrastruktur – Rohrleitungen in der Erde – geht es auch im Vorhaben ZUVERSICHT. Im Testgebiet Albstadt wurde ein Werkzeug für Infrastrukturbetreiber entwickelt, um genaue Schadensprognosen bei Erdbeben mit konkreten Stärken zu erhalten. In EWRICA nutzen Forschende das Globale Navigationssatellitensystem (GNSS), um eine zentimetergenaue Vermessung der Bodenverschiebungen in Echtzeit zu erhalten, was Erdbeben-Frühwarnsysteme deutlich verbessern könnte.
Ein ganz anderes Terrain untersuchte das Floodrisk. Hier sammelten Forschende unzählige Daten im Zusammenhang mit der Flutung von ehemaligen Steinkohlebergwerken, in denen bislang mit großen Aufwand das Wasser abgepumpt wurde. Die Flutung soll in den Revieren im Ruhrgebiet und Saarland schrittweise erfolgen und engmaschig überwacht werden.
Das Fazit der Forschenden auf der Konferenz: Die Schäden von Erdbeben lassen sich minimieren, wenn mehr Ingenieurwissen in die Konstruktion von Bauwerken in Erdbeben-Regionen einfließt und die Behörden mehr Vorsorge treffen. Vor allem der technologische Fortschritt bietet die Möglichkeit, die Warnketten entscheidend zu verbessern. Hier will die Wissenschaft unterstützen.
Autor: Henning Kraudzun