„Faktencheck Artenvielfalt“ liefert umfassende Bestandsaufnahme zur Biodiversität in Deutschland

Am Montagabend wurde in Berlin der „Faktencheck Artenvielfalt“ präsentiert. Der Bericht bietet erstmalig eine umfassende Analyse des Zustands der Biodiversität in Deutschland, zeigt zentrale Entwicklungen des Artenrückgangs auf und gibt konkrete Empfehlungen, um den Verlust der biologischen Vielfalt einzudämmen.

Begleitet wurde die feierliche Vorstellung des Berichts von eindringlichen Grußworten aus der Politik und Wissenschaft. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger hob hervor: „Wir dürfen nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Einen Planeten B haben wir nicht." Sie betonte, dass Artenschutz eine ökologische, ökonomische und ethische Verpflichtung sei und forderte dazu auf, den technologischen Fortschritt und Innovationen zu nutzen, um dem Artensterben entgegenzuwirken.
Volker Mosbrugger, Sprecher der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA), unterstrich in seinem Grußwort die ökonomische Bedeutung der Artenvielfalt: „Der Erhalt der Biodiversität sichert unser Wohlergehen, aber auch das Wirtschaften. Schützen wir die biologische Vielfalt, schützen wir also uns selbst."

Der „Faktencheck Artenvielfalt": Ein umfassender Bericht zur Biodiversitätskrise
Der „Faktencheck Artenvielfalt" ist der erste umfassende Bericht, der die Lage der biologischen Vielfalt in Deutschland analysiert. Mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 75 Institutionen haben auf Grundlage von über 6000 Publikationen die Situation der Biodiversität untersucht und die Ergebnisse in einer eigens dafür entwickelten Datenbank zusammengeführt. Der Bericht stellt Trends, Treiber des Artenverlusts und Handlungsempfehlungen vor und identifiziert zudem Forschungsbedarfe. Wie Prof. Christian Wirth von der Universität Leipzig betonte, ist der Bericht eines der weltweit ersten Beispiele dafür, wie globale und regionale Analysen des Weltbiodiversitätsrates IPBES auf nationale Kontexte angewendet werden können: „Der Faktencheck Artenvielfalt zeigt, wie konkrete Handlungsoptionen für die nationale und subnationale Politik entwickelt werden können."

Ernüchternde Ergebnisse: Lebensräume und Arten massiv bedroht
Die Erkenntnisse des Berichts sind alarmierend. Rund 60 % der 93 untersuchten Lebensraumtypen befinden sich in einem unzureichenden oder schlechten Zustand. Besonders betroffen sind ehemals artenreiche Äcker, Grünland, Moore und Sümpfe. Ein Drittel der Arten in Deutschland ist gefährdet, und etwa 10.000 Arten stehen kurz vor dem Aussterben. Einige Arten, etwa drei Prozent, sind bereits verschwunden.
„Die Intensivierung der Landwirtschaft und der Verlust von Lebensräumen haben den stärksten negativen Effekt auf die biologische Vielfalt", erklärte Prof. Helge Bruelheide von der Universität Halle. Insbesondere die Effekte der Landwirtschaft auf nahezu alle Lebensräume bieten nach Ansicht der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den größten Hebel für biodiversitätsschützende Maßnahmen. Ein zentrales Problem, das der Bericht aufzeigt, ist der Mangel an umfassenden Daten über bestimmte Bereiche der Biodiversität, insbesondere im Boden und in urbanen Räumen. „Es gibt kein einheitliches, arten- und lebensraumübergreifendes System, um biologische Vielfalt zu erfassen", kritisierte Bruelheide. Dies erschwere es, wissenschaftlich fundierte Entscheidungen zu treffen und langfristige Trends zu erkennen. Prof. Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung ergänzte, dass die genauen Ursachen des Artenverlusts oftmals unklar seien, da menschliche Einflüsse bislang nicht ausreichend dokumentiert wurden. Langfristige Datensammlungen seien daher dringend nötig.

Positive Entwicklungen und Handlungsmöglichkeiten
Trotz der alarmierenden Befunde gibt es auch positive Entwicklungen. So stellte der Bericht fest, dass die Verbesserung der Wasserqualität in Flüssen sowie die Förderung natürlicher Strukturelemente in Agrarlandschaften und Wäldern erste Erfolge zeigten. „Das zeigt, dass wir mit gezielten Maßnahmen den Biodiversitätsverlust stoppen können", betonte Prof. Nina Farwig von der Universität Marburg. Der Bericht fordert gezielte Maßnahmen zur Wiederherstellung der Natur und die Entwicklung biodiversitätsbasierter Landnutzungssysteme. Moderne Technologien könnten hier eine zentrale Rolle spielen, um nachhaltige Lösungen zu finden. Zudem seien erfolgsbasierte finanzielle Anreize vielversprechender als reine Förderprogramme, die lediglich auf Maßnahmen abzielen.
Ein wichtiger Kritikpunkt des Berichts ist die mangelnde Umsetzung rechtlicher Instrumente des Naturschutzes. Die Naturschutzpolitik müsse besser mit anderen Nutzungsinteressen abgestimmt werden, um wirksam zu sein. Darüber hinaus könnten neue rechtliche Konzepte, wie das „Menschenrecht auf eine gesunde Umwelt" oder ein Eigenrecht der Natur im Grundgesetz, dem Biodiversitätsschutz mehr Verbindlichkeit verleihen.