Kipppunkte verstehen, erkennen und vermeiden: Start von GlobalTip
Sind die Stabilitätsgrenzen von Ökosystemen erreicht, kann es zu schweren oder sogar unumkehrbaren Veränderungen kommen. Um Maßnahmen und Handlungsstrategien zum Schutz der Ökosysteme zu entwickeln, fördert das BMBF sechs GlobalTip-Forschungsprojekte.
Durch den globalen Wandel kommen Ökosysteme immer mehr an ihre Grenzen: Wälder werden beispielsweise für landwirtschaftliche Zwecke übernutzt, Meere werden systematisch überfischt. Der Klimawandel verschlimmert diesen Zustand und belastet zusätzlich die Ökosysteme, wie etwa durch länger andauernde Trockenphasen. Werden die Grenzen überschritten, kann es zu sogenannten Kipppunkten kommen – mit Folgen nicht nur für die Natur, sondern auch für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Das Zusammen- und Wechselwirken von menschlichen, klimatischen und ökologischen Faktoren ist komplex. Neue Erkenntnisse dazu sind dringender denn je und bilden wichtige Grundlagen, um kritische Entwicklungen rechtzeitig zu erfassen und Vorsorge treffen zu können.
Ende 2023 startete das sechste Forschungsprojekt der internationalen BMBF-Fördermaßnahme „Kipppunkte, Dynamik und Wechselwirkungen von sozialen und ökologischen Systemen" in die zweite Forschungsphase „GlobalTip". Ziel der Projekte ist es, konkrete Maßnahmen zu entwickeln, die Kipppunkte verhindern. Zusätzlich erstellen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Handlungs- und Anpassungsstrategien, die den negativen Auswirkungen menschlichen Wirtschaftens auf die Ökosysteme entgegenwirken. Diese Strategien werden gemeinsam mit Menschen vor Ort entwickelt, die auf die Ökosysteme als direkte Lebensgrundlage angewiesen sind.
Bereits in der ersten Forschungsphase „BioTip" (2017-2023) der BMBF-Fördermaßnahme konnten die Projekte wichtige Erkenntnisse zur Entstehung von Kipppunkten an Land und im Meer gewinnen. Es konnten beispielsweise Kipppunkte nachgewiesen und Indikatoren für Kipppunkte identifiziert werden.
Von der namibischen Wüste bis zur westlichen Ostsee: GlobalTip erforscht weltweit Kipppunkte
Die überintensive Nutzung zusammen mit durch den fortschreitenden Klimawandel verkürzten Regenzeiten und steigenden Temperaturen können Weideflächen in einen wüstenartigen Zustand versetzen. Dies wird Desertifikation genannt. Im Projekt „NamTip" forschten deutsche und namibische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits zu sogenannten Desertifikationskipppunkten (DTP) in den Trockengebieten Namibias. Ein DTP ist der Punkt, an dem der Boden irreversibel unproduktiv wird, also weder keimfähige Samen in sich trägt, noch die Eigenschaften für Anbau von neuen Pflanzen besitzt. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen der namibischen Bäuerinnen und Bauern. In der aktuellen Forschungsphase entwickelt das Projektteam Handlungsstrategien für ein nachhaltiges Weidemanagement zur Vermeidung von Desertifikation sowie mögliche Maßnahmen für den Fall, wenn ein Kipppunkt bereits überschritten wurde. Eine konkrete Maßnahme, die nun erforscht wird, ist beispielsweise die Wiedereinsaat auf Weideflächen. Dabei kann die Nachsaat mehrjähriger Gräser sowie das Einhalten von Nutzungs-Ruhepausen der Böden helfen, dass die Landwirtinnen und Landwirte auch in der Trockenzeit Futter für die Weidetiere erhalten. Da die Keimrate von mehrjährigen Grasarten in der Regel recht niedrig ist, werden einige Vorbehandlungen des Saatguts zur Steigerung der Keimfähigkeit vor der Aussaat untersucht. Dies könnte die Umkehrbarkeit eines Desertifikationskipppunktes erhöhen und so zur Wiederherstellung von „gekippten" Landflächen führen.
Ein weiteres Beispiel ist das Projekt „marEEchange". In diesem konnte anhand einer Studie mit historischen Fischereidaten der westlichen Ostsee einen Kipppunkt nachgewiesen werden. Das Team konnte belegen, dass der Dorschbestand (auch Kabeljau genannt) aufgrund jahrzehntelanger Überfischung und der Erwärmung des Wassers durch den Klimawandel in dieser Region zusammengebrochen ist. Laut der Studie ist es unwahrscheinlich, dass sich der Bestand wieder erholt. Zudem fanden die Forschenden heraus, dass sich die Artenzusammensetzung in der westlichen Ostsee grundlegend verändert hat. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Fischereien vor Ort. Da sie bisher vom Dorschfang lebten, müssen sie den Fischfang auf andere Spezies umrüsten. Somit ändert sich beispielsweise auch die technische Ausrüstung zum Fangen anderer Fischarten und zu deren Weiterverarbeitung. Ziel des Projektteams ist es nun, durch Empfehlungen für die Fischereibetriebe den Trend der generellen Überfischung in dieser Region umzukehren hin zu einer nachhaltig gestalteten Fischerei. Außerdem wird der Einfluss des Klimawandels auf mögliche zukünftige ökologische Kipppunkte untersucht.
Weitere Forschungsregionen der GlobalTip-Projekte sind der Amazonas-Regenwald, die mongolische Steppe sowie das Humboldtstrom-Auftriebssystem in Peru und der Viktoriasee in Afrika.
Das BMBF förderte die erste Forschungsphase „BioTip" von 2017 bis 2023 mit rund 20 Millionen Euro. Die zweite Forschungsphase „GlobalTip" unterstützt das BMBF von 2023 bis 2025 mit Fördermitteln in Höhe von rund 13 Millionen Euro.