Lassen sich Mobilitätsdaten für mehr Nachhaltigkeit mit Privatsphäre vereinbaren?

Die Mobilitätswende ist ein entscheidender Hebel, wenn es um die nachhaltige Stadt von morgen geht. Mobilitätsdaten werden als Lösung für viele Herausforderungen bei genau dieser Wende gehandelt – ob beim Thema Verkehrsmodellierung, Shared Mobility oder verbessertem ÖPNV: In Mobilitätsdaten stecken wichtige Informationen, die aber auch im Fall von personenbezogenen Bewegungsdaten sensibel und besonders schützenswert sind. Welche Herausforderungen in der Anonymisierung von Mobilitätsdaten lauern, erklärt das BMBF-Forschungsprojekt "freemove" mit einer interaktiven Website.

Wie kommuniziert man ein komplexes Thema wie die Anonymisierung von Bewegungsdaten von Individuen im städtischen Raum, also von sogenanntem granularen Wissen, das in verschieden feiner „Körnung" erfasst und ausgetauscht werden kann? Und das auf eine spannende und informative Art und Weise, nachvollziehbar und anschaulich? Der deutschen öffentlichen Debatte (CoViD-Tracing, elektronische Patientenakte) und diversen Umfragen nach ist Bürgerinnen und Bürgern das Thema Privatsphäre wichtig. Zugleich ist das Thema Datenschutz auch rechtlich und ethisch so komplex, dass eine Erklärung viel Zeit und intensive Beschäftigung erfordert. Mit der neuen Website von „freemove" ist das nun anders. Hier können Website-Besucherinnen und -Besucher direkt eintauchen in die Welt der Daten und ihrer Rückverfolgbarkeit. Ein Datensatz Bewegungsdaten, eine Stadt, und eine findige Datenwissenschaftlerin beantwortet Schritt für Schritt die Frage: wie einfach ist es eigentlich, jemanden in solchen Daten zu identifizieren, mit allem, was potenziell an Ortsinformationen dazugehört, von Heimadresse bis Arbeitsplatz oder Schule? Von Arbeitszeit bis Barbesuch?

Website "Wir wissen, was du letzten November getan hast" - Privatsphäre-Risiken durch veröffentlichte Mobilitätsdaten am Beispiel der freemove-Datenerhebung im November 2022"

Das Verbundprojekt „freemove" arbeitet transdisziplinär an der „Erforschung der Privatsphäre-wahrenden Verfügbarmachung von Bewegungsdaten im Kontext nachhaltiger, urbaner Transformation" – so viel, so sperrig. Transdisziplinär heißt für das Projekt Forschung in und an der Gesellschaft. Dazu gehört auch die Fähigkeit, die eigenen Inhalte einer breiten Zielgruppe verständlich zu machen und damit einen fundierten Diskurs zu ermöglichen. Das Konsortium aus Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Technische Universität Berlin, Freie Universität Berlin, Universität der Künste Berlin, Deutschem Zentrum für Luft- und Raumfahrt und Technologiestiftung Berlin hat hierfür in Zusammenarbeit mit dem Entwickler Simon Jockers eine interaktive Website im "Scrollytelling"-Stil produziert.

Erforschung von Anonymisierungstechnologien für die Mobilitätswende

Mobilitätsdaten werden für viele unterschiedliche Zwecke erhoben und genutzt. Neben einer nachhaltigen Stadtplanung versprechen sich viele staatliche und nicht-staatliche Akteurinnen und Akteure Effizienzsteigerungen in unterschiedlichen operativen Bereichen: Auch um beispielsweise unsere Mobilität künftig nachhaltiger und für die Menschen komfortabel gestalten zu können, sind Bewegungsdaten hilfreich. Die Analyse personenbezogener Daten stellt jedoch ein Risiko für die Privatsphäre jeder einzelnen Person dar. Zusätzlich ist das Feld der Datenanalyse und Verfügbarmachung von Mobilitätsdaten rechtlich und technisch sehr komplex. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „freemove" beantwortet nun Fragen der Bewertung von Re-Identifizierungsrisiken, der technisch-organisatorischen Umsetzung von Anonymisierungsansätzen (Technische Ansätze wie Differential Privacy oder Datensynthetisierung) und der Entwicklung eines Frameworks für DSGVO-konforme Verarbeitung und Freigabe von Bewegungsdaten. Praktisch anwendbare Lösungen zu entwickeln, war Kern der Arbeit des Konsortiums. Ziel ist es, die Privatsphäre der Menschen zu wahren, aber auch die Potenziale dieser Daten rechtssicher ausschöpfen zu können für unseren gesellschaftlichen Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit.

Von der Idee zur Website

2022 führte das Konsortium mithilfe einer Smartphone-Anwendung des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR Moving Lab) eine exemplarische Mobilitätsdatenerhebung mit Studierenden verschiedener Berliner Universitäten durch. Für einen Zeitraum von zwei Wochen ließen sich rund 90 Personen begleitet von Befragungen per GPS im Berliner Stadtraum tracken – ihr Aufenthaltsort wurde digital mitverfolgt. Ein Ziel war es, anhand des daraus entstandenen Datensatzes (ca. 12.000 Kilometer zurückgelegte Wege) verständlich zu veranschaulichen, wie einfach Einzelpersonen in diesem Datensatz trotz einer Anonymisierung (entfernter persönlicher Merkmale wie Nutzerkennungen) allein auf Basis der GPS-Daten identifiziert werden können. Die interaktive Website zeichnet diesen Identifizierungsprozess einmal beispielhaft nach und nimmt den Website-User spielerisch mit auf die Datenreise, visualisiert anhand fiktiver Daten. In einem zweiten Schritt wird erklärt, welche Möglichkeiten es gibt, um eine Identifizierung zu erschweren, aber auch, wie schwierig es ist, die Identifizierung unmöglich zu machen. Der Spagat: Je anonymer die Daten werden, desto weniger sinnvoll nutzbare Information enthalten sie noch.

Nutzbare Ergebnisse für die Mobilitätspraxis

Die Schlüsselfrage lautet: Lassen sich Mobilitätsdaten mit Privatsphäre vereinbaren? Und können diese Daten gemeinwohlorientiert genutzt werden? Zum Beispiel für eine nachhaltige Mobilitätswende? Zum Projektende hat das Projekt die Forschungsergebnisse dazu in verschiedenen Formaten aufbereitet: Neben einem Code-Package zur automatischen Mobilitätsdatenanalyse mit optionalen Privatsphäre-Garantien nach Branchenstandard Differential Privacy (open source via Github), einer Fachkonferenz mit praxisnahen Transfer- und Lernformaten im September 2023 und der interaktiven Website zur niedrigschwelligen Erklärung von Privatsphärerisiken, soll es in Kürze (voraussichtlich im Juli 2024) auch noch einen Schritt-für-Schritt-Leitfaden zur Mobilitätsdatenanonymisierung geben. Akteurinnen und Akteure, die Bewegungsdaten erheben oder besitzen und diese mit Dritten teilen möchten, erhalten hier möglichst anwendungsnahe, praktische Hinweise zur Anonymisierung.

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