Mariner Schneefall am Äquator

Beständig rieseln tierische Ausscheidungen und Teile abgestorbener Organismen von der Oberfläche der Ozeane Richtung Tiefsee. Dieser auch als „mariner Schneefall bezeichnete Partikelfluss spielt eine wichtige Rolle im globalen Kohlenstoffkreislauf und damit für das Klima. Bislang ist wenig über seine Verteilung in der Tiefe bekannt. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Geoscience erstmals ein detailliertes Verteilungsbild des marinen Schneefalls im äquatorialen Ozean veröffentlicht. Es unterscheidet sich deutlich von bisherigen Vorstellungen

Nicht nur die großen Meeresströmungen mit ihrem immensen Energietransport haben einen entscheidenden Einfluss auf die Atmosphäre und damit das Klima. Auch das Leben im Meer spielt eine große Rolle. Gerade die kleinsten Lebewesen, winzige Planktonorganismen, nehmen nahe der Wasseroberfläche unter anderem Kohlenstoff in sich auf, verarbeiten ihn, bauen ihn in ihre Körper ein oder scheiden ihn wieder aus. Mit den Ausscheidungsprodukten oder abgestorbenen Organismen sinkt er dann auf den Meeresboden. Der ständige Fluss organischer Partikel Richtung Tiefsee wird auch als „mariner Schneefall bezeichnet.

Dieser Schnee fällt dort am dichtesten, wo nahe der Oberfläche am meisten Leben entsteht. Das ist im Pazifik und im Atlantik vor allem entlang des Äquators der Fall. Doch bisher war weitgehend unklar, wie sich die Partikel in der Tiefe verteilen und welche Prozesse das beeinflussen. Heute veröffentlicht ein internationales Wissenschaftlerteam unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel in der Fachzeitschrift Nature Geoscience die erste Studie mit hochauflösenden Daten zur Partikeldichte im äquatorialen Atlantik und Pazifik bis in Tiefen von 5000 Metern. „Die Auswertung der Daten ergab, dass wir gleich mehrere bisher gültige Vorstellungen zum Partikelfluss in die Tiefsee revidieren müssen, sagt der Biologe Dr. Rainer Kiko vom GEOMAR, Erstautor der Studie.

Das Team, zu dem auch Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich und den USA gehören, hat Daten ausgewertet, die während mehrerer Expeditionen der deutschen Forschungsschiffe METEOR und MARIA S. MERIAN, des US-Amerikanischen Forschungsschiffs RONALD H. BROWN, des französischen Forschungsschiff L'ATALANTE sowie des französischen Forschungssegelschiffs TARA gesammelt wurden. Dabei kam unter anderem der sogenannte Underwater Vision Profiler (UVP) zum Einsatz, der beim Herablassen vom Schiff in bis zu 6000 Meter Wassertiefe mit einer Spezialkamera 10 Bilder pro Sekunde aufnimmt, die es erlauben Teilchen zu zählen und kleine Planktonorganismen zu identifizieren.

„Bisher ging man meist davon aus, dass wir die größte Partikeldichte nahe an der Oberfläche haben und sie mit der Tiefe immer weiter abnimmt, erklärt Dr. Kiko, „unsere Daten zeigen aber, dass die Partikeldichte in 300 bis 600 Meter Wassertiefe zunächst wieder zunimmt. Das erklären die Forscherinnen und Forscher mit dem täglichen Wanderverhalten vieler Planktonorganismen, die sich tagsüber in entsprechende Tiefen zurückziehen, um den Fressfeinden an der Oberfläche zu entfliehen. „Diese Tiefe ist offenbar auch das stille Örtchen für viele Arten. Deshalb finden wir dort sehr viele Partikel, sagt Dr. Kiko.

Diese vielen Kleinstpartikel sinken dann sehr langsam immer weiter ab und sind bis in 5000 Meter Wassertiefe nachweisbar. „Auch das war eine Überraschung für uns, denn bisher galt die Lehrmeinung, dass unterhalb von 1000 Metern kaum noch Partikel ankommen, und wenn, dann nur größere, schnell sinkende, erläutert Dr. Kiko weiter.

Dank der interdisziplinären Zusammenarbeit der Biologen mit Kolleginnen und Kollegen aus der physikalischen Ozeanographie konnte das Team noch ein weiteres Phänomen erklären. „In der Äquatorialregion ist der Partikelfluss in die Tiefsee deutlich größer als in Regionen, die nur 100 Kilometer weiter nördlich oder südlich liegen, sagt Dr. Kiko. Prof. Dr. Peter Brandt, Ozeanograph am GEOMAR, liefert die Erklärung: „Es gibt nördlich und südlich des Äquators sowohl im Pazifik als auch im Atlantik starke, von Westen nach Osten gerichtete Tiefenströmungen. Sie bilden natürliche Barrieren, die eine weitere Nord-Süd-Ausbreitung der äquatorialen Partikel verhindern.

Alles in allem konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit der Studie erstmals die Bedeutung biologischer und physikalischer Prozesse für die biologische Kohlenstoffpumpe aufzeigen. „Natürlich müssen wir noch mehr Beobachtungen zur Verteilung von verschiedenen Planktongruppen im Ozean durchführen, um das Bild weiter zu verfeinern, betont der Erstautor Dr. Kiko. Dazu trägt auch das von ihm initiierte Projekt PlanktonID bei, bei dem auch Nicht-Wissenschaftler aufgerufen sind, bei der Sortierung von Planktonbildern zu helfen. „Interessierte Menschen finden dort auch zusätzliche Informationen zur aktuellen Studie, zum Beispiel über die Funktionsweise des UVP, ergänzt Dr. Kiko.

An der Studie waren Forscherinnen und Forscher des GEOMAR, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der Universität Toulouse (Frankreich), der Universität Fairbanks (Alaska, USA), des Laboratoire d'Oceanographie de Villefranche-sur-Mer (Frankreich), des Lamont-Doherty Earth Observatory (USA) sowie der Sorbonne Universités (Frankreich) beteiligt. Die Studie wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft durch den Sonderforschunsbereich 754, vom BMBF-Verbundprojekt RACE sowie vom französischen Centre national de la recherche scientifique (CNRS).

Originalarbeit
Kiko, R., A. Biastoch, P. Brandt, S. Cravatte, H. Hauss, R. Hummels, I. Kriest, F. Marin, A. M. P. McDonnell, A. Oschlies, M. Picheral, F. U. Schwarzkopf, A. M. Thurnherr and L. Stemmann (2017): Biological and physical influences on marine snowfall at the equator. Nature Geoscience; Advance Online Publication, http://dx.doi.org/10.1038/ngeo3042