Ozeanversauerung begünstigt Massenvermehrung giftiger Alge

Steigen die Kohlendioxid-Konzentrationen in der Atmosphäre und folglich auch im Ozean weiter an, könnte dies die massenhafte Vermehrung toxischer Algen begünstigen, mit weitreichenden Folgen für das Nahrungsnetz im Meer. Das hat ein Langzeitexperiment vor den Kanarischen Inseln gezeigt, das eine internationale Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel durchgeführt hat. Die Ergebnisse sind jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Climate Change erschienen.

Die globale Erwärmung ist zweifellos die bekannteste Auswirkung von steigenden Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre. Doch sie ist nicht die einzige. Je höher der Kohlendioxid (CO2)-Gehalt in der Atmosphäre, umso mehr CO2 nimmt auch das Meerwasser auf. Dort löst das Gas chemische Reaktionen aus, die den pH-Wert sinken lassen. Dieser als Ozeanversauerung bezeichnete Prozess beeinträchtigt viele Lebewesen im Meer. Die Folgen für die marinen Ökosysteme können jedoch sehr komplex sein und die Forschung ist noch dabei, sie in ihrer ganzen Bandbreite zu verstehen.

In einem zweimonatigen Freilandexperiment vor den Kanarischen Inseln ist eine international zusammengesetzte Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlerin unter Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel einer möglichen Folge der Ozeanversauerung auf die Spur gekommen, die das Nahrungsnetz im Meer massiv beeinträchtigen könnte. Wie das Team jetzt in der internationalen Fachzeitschrift Nature Climate Change veröffentlicht, vermehrte sich die giftige Alge Vicicitus globosus in dem Experiment ab einer Kohlendioxidkonzentration von 600 ppm (parts per million) deutlich, ab 800 ppm kam es zu starken Algenblüten.

„In unseren naturnahen Versuchsumgebungen hatten diese Blüten einen starken negativen Effekt auf die übrige Planktongemeinschaft, insbesondere das artenreiche tierische Plankton. Genau diese Organismen sind aber extrem wichtig für das Nahrungsnetz im Ozean. Der Zusammenbruch der Nahrungskette beeinflusste darüber hinaus wichtige andere biologisch getriebene Prozesse, wie den Kohlenstofftransport in die Tiefe”, erklärt Prof. Dr. Ulf Riebesell, Professor für Biologische Ozeanographie am GEOMAR und Erstautor der Studie.

Für das Experiment hatte das Team neun der Kieler KOSMOS-Mesokosmen vor den Kanarischen Inseln ausgebracht. Sie bestehen jeweils aus einem Auftriebsgestell an der Meeresoberfläche, das einen 15 Meter langen Kunststoffschlauch senkrecht im Wasser hält. Dieser schließt 35 Kubikmeter des natürlichen Meerwassers ein. In dem vom restlichen Ozean getrennten Wasserkörper mit der natürlichen Lebensgemeinschaft haben die Forscherinnen und Forscher dann die CO2-Konzentrationen so erhöht, dass sie verschiedenen für die Zukunft erwarteten Werten entsprachen. Über 57 Tage haben sie anschließend die Entwicklung der eingeschlossenen Planktongemeinschaft beobachtet.

Das pflanzliche und tierische Plankton in den Mesokosmen reagierte durchaus unterschiedlich auf erhöhte Kohlendioxid- und damit niedrigere pH-Bedingungen. Besonders deutlich war aber das massenhafte Auftreten der giftigen Alge Vicicitus globosus ab CO2-Konzentrationen von 600 ppm. „Das sind Werte, die wir in den nächsten drei bis vier Jahrzehnten erreichen könnten, wenn die Menschheit den Ausstoß von Kohlendioxid nicht deutlich reduziert“, betont Ulf Riebesell.

Die genaue Ursache für den Erfolg von Vicicitus globosus unter hohen CO2-Bedingungen ist noch nicht eindeutig geklärt. Entweder profitiert die Alge in ihrem Wachstum überproportional gegenüber anderen konkurrierenden Arten, also zum Beispiel durch erhöhte Photosyntheseraten. Oder ihre Giftigkeit nimmt mit steigendem CO2 zu, so dass sie weniger gefressen wird. „Das müssen weitere detaillierte Analysen im Labor klären“, sagt der Erstautor.

Unklar ist ebenfalls, ob sich die Ergebnisse der Studie auf andere giftige Algenarten übertragen lassen. Allerdings ist Vicicitus globosus weltweit verbreitet, von den gemäßigten Klimazonen bis zu den Tropen. Blüten der Art wurden bereits wiederholt mit Fischsterben in Küstengewässern und in Aquakulturen in Verbindung gebracht. „Dies ist der erste Nachweis aus einer Freilandstudie, dass Ozeanversauerung giftige Algenblüten fördern kann. Ein weiteres starkes Argument, die CO2-Emissionen zeitnah drastisch zu reduzieren“, fasst Professor Riebesell die Ergebnisse zusammen.

An der Studie beteiligt waren neben dem GEOMAR die Biologische Station Trondheim der NTNU (Trondheim, Norwegen), das Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, das Instituto de Oceanografía y Cambio Global (IOCAG, Las Palmas, Spanien), die Medizinische Universität Wenzhou (Wenzhou, China) und die Universität Süddänemark (Odense, Dänemark). Unterstützt wurde das Experiment von der Plataforma Oceánica de Canarias (PLOCAN). Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Verbundprojekts BIOACID gefördert.

Originalpublikation:
Riebesell, U., N. Aberle-Malzahn, E. P. Achterberg, M. Algueró-Muñiz, S. Alvarez-Fernandez, J. Arístegui, L. Bach, M. Boersma, T. Boxhammer, W. Guan, M. Haunost, H. G. Horn, C. R. Löscher, A. Ludwig, C. Spisla, M. Sswat, P. Stange, J. Taucher (2018): Toxic algal bloom induced by ocean acidification disrupts the pelagic food web, Nature Climate Change, https://doi.org/10.1038/s41558-018-0344-1

Das Projekt BIOACID
Im November 2017 endete der deutsche Forschungsverbund zur Ozeanversauerung BIOACID (Biological Impacts of Ocean Acidification, Biologische Auswirkungen von Ozeanversauerung) nach acht Jahren intensiver wissenschaftlicher Tätigkeit. Das Projekt wurde von Prof. Ulf Riebesell, Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Prof. Hans-Otto Pörtner, Meeres-Ökophysiologe am Alfred Wegener Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung und Co-Chair der Arbeitsgruppe II des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) koordiniert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte das Projekt über drei Förderphasen mit insgesamt 22 Millionen Euro.