Plankton statt Sonne? - Ein neuer Blick auf den Klimawandel in der Erdgeschichte
Schwankungen der Erdbahnparameter gelten als Auslöser für langzeitliche Klimaschwankungen wie zum Beispiel Eiszeiten. Dazu zählt die Variation des Neigungswinkels der Erdachse mit einem Zyklus von etwas 40.000 Jahren. Kieler Meeresforscher unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel haben mit Hilfe einer neuartigen Modellstudie gezeigt, dass auch biogeochemische Wechselwirkungen zwischen Ozean und Atmosphäre für Klimaschwankungen auf dieser Zeitskala verantwortlich sein könnten. Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift Nature Geoscience erschienen.
Die Klimageschichte der Erde ist geprägt von periodischen Veränderungen, die in der Regel auf Schwankungen in der Sonneneinstrahlung, die die Erdoberfläche erreicht, zurückgeführt werden. Diese Sonneneinstrahlung ist auf geologischen Zeitskalen nicht konstant, sondern wird durch zyklische Änderungen der Erdbahnparameter moduliert. Einer der wichtigsten Parameter, die sich auf die Sonneneinstrahlung und damit auch auf das Klima auswirken, ist die Neigung der Erdrotationsachse (Ekliptikschiefe), die sich mit einer Periodizität von etwa 40.000 Jahren ändert. Chemische und isotopische Signaturen in Sedimenten, die während der Kreidezeit (145-66 Mio. Jahre vor heute) und in anderen Perioden der Erdgeschichte abgelagert wurden, dokumentieren regelmäßige Änderungen der Temperatur und des Kohlenstoffkreislaufs auf dieser Zeitskala. Es wird angenommen, dass die 40.000-Jahre-Zyklen, die in den geologischen Klimaarchiven gefunden wurden, das Ergebnis der durch die Erdachsenneigung verursachten Einstrahlungsänderungen ist, die die Oberflächentemperatur, die Zirkulation von Ozean und Atmosphäre, den Wasserkreislauf, die Biosphäre, und letztendlich den Kohlenstoffkreislauf beeinflussen. Eines der Probleme dieser Standardtheorie ist, dass die Änderungen der globalen Sonneneinstrahlung sehr gering sind und durch bisher schlecht verstandene positive Rückkopplungsmechanismen verstärkt werden müssen, um das globale Klima hinreichend zu beeinflussen.
Eine ganz andere Perspektive ergibt sich aus Untersuchungen, die Kieler Wissenschaftler unter der Leitung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel mit einem neuen numerischen Modell der marinen Biosphäre durchgeführt haben. Es simuliert den Umsatz der Planktonbiomasse im Ozean und die damit verbundenen mikrobiellen Oxidations- und Reduktionsreaktionen, die die Gehalte an gelöstem Sauerstoff, Sulfid, Nährstoffen und Plankton im Ozean steuern. Überraschenderweise fanden die Forscher bei ihren Experimenten eine von der Einstrahlung unabhängige Schwankung auf der Zeitskala von 40.000 Jahren, der stark genug wäre globale Klimaschwankungen auszulösen, berichten sie in der Fachzeitschrift Nature Geoscience.
„In unserem Modell wird der Kohlenstoffkreislauf weitgehend durch das im Oberflächenozean lebende Plankton gesteuert", erklärt Prof. Dr. Klaus Wallmann vom GEOMAR, Hauptautor der Studie. Das Plankton verbraucht über die Photosynthese atmosphärisches Kohlendioxid (CO2), während Mikroorganismen, die die Planktonbiomasse abbauen, CO2 zurück in die Atmosphäre abgeben. Da Kohlendioxid ein starkes Treibhausgas ist, beeinflusst der biologische CO2-Umsatz die Oberflächentemperaturen und das globale Klima. Das Wachstum von Plankton wird durch Nährstoffe gesteuert, die an einer Reihe von mikrobiellen Oxidations- und Reduktionsreaktionen beteiligt sind.
„Wir haben dieses neue biogeochemische Modell in ein Zirkulationsmodell des Kreideozeans integriert, und es erzeugt ohne weitere Antriebe, einen unabhängigen 40.000-Jahre-Klimazyklus", so Dr. Sascha Flögel, Ko-Autor der Studie vom GEOMAR. „Unserer Ansicht nach wird der Zyklus durch ein Netz positiver und negativer Rückkopplungen ausgelöst, die auf dem sauerstoffabhängigen Umsatz von Stickstoff, Phosphor, Eisen und Schwefel im Ozean beruhen. Daten die aus chemischen und Isotopenanalysen aus Sedimentproben des Kreideozeans gewonnen wurden, zeigen periodische Schwankungen, die mit unseren Modellergebnissen übereinstimmen", so Flögel weiter.
Daraus ergibt sich für die Kieler Forscher eine neue Sichtweise des Klimawandels, die sich in Hinblick auf Ursachen und Auswirkungen radikal von der Standardorbitaltheorie unterscheidet. Die marine Biosphäre bestimmt das Tempo und die Amplitude, indem sie den CO2-Gehalt in der Atmosphäre reguliert. „Unsere neue Theorie wird durch Beobachtungen gestützt und steht im Einklang mit unserem Verständnis der biogeochemischen Zyklen im Ozean", sagt Prof. Wallmann.
„Die Neigung der Erdachse und andere Erdbahnparameter können sich jedoch auch auf den globalen Klimawandel auswirken, wenn ihre empfindlichen Auswirkungen auf die Sonneneinstrahlung durch positive Rückkopplungsmechanismen verstärkt werden. Daher können die in geologischen Proben gefundenen periodischen Klimaschwankungen sowohl den Atem der Biosphäre als auch die Reaktion des Erdsystems auf Änderungen der Bahnparameter und die Sonneneinstrahlung widerspiegeln", so der an der Studie beteiligte Prof. Dr. Wolfgang Kuhnt von der Kieler Christian-Albrechts-Universität.
Originalarbeit:
Wallmann, K., S. Flögel, F. Scholz, A. W. Dale, T. P. Kemena, S. Steinig and W. Kuhnt, 2019: Periodic changes in the Cretaceous ocean and climate caused by marine redox see-saw. Nature Geoscience, doi: https://doi.org/10.1038/s41561-019-0359-x