Polarstern-Expedition startet in die Arktis – Folgen der Eisschmelze im Fokus
Als Augenzeugen des Arktischen Wandels startet das Expeditions-Team der Polarstern in die Zentralarktis. Zwei Monate lang werden gut fünfzig wissenschaftliche Expeditionsteilnehmende die Arktis im Wandel erforschen, während die Meereisausdehnung im September ihr jährliches Minimum erreichen wird.
„Ich bin sehr gespannt darauf zu sehen, wie sich das Meereis und das Leben im Ozean in der letzten Dekade verändert haben", sagt Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). „Im Jahr 2012 waren wir während der bisher geringsten dokumentierten sommerlichen Meereisausdehnung vor Ort und konnten erhebliche Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem des zentralen Arktischen Ozeans feststellen, bis in über vier Kilometer Wassertiefe", erläutert Boetius. „Aktuell beobachte ich die Meereissituation auf www.meereisportal.de besonders intensiv. Noch wissen wir nicht, ob ein neues Minimum erreicht wird, angesichts des global heißen Jahres 2023 und während in der Antarktis das Meereis ein Rekordtief zeigt."
Die Expedition erkundet die Biologie, Chemie und Physik des Meereises sowie die Auswirkungen des Meereis-Rückgangs auf das gesamte Ozeansystem von der Oberfläche bis in die Tiefsee. Vor elf Jahren war Antje Boetius beim bisher größten Meereisminumum der Arktis und seinen Folgen für das Leben in der Tiefsee dabei. Jetzt kehrt das Expeditions-Team zurück, um den heutigen Zustand der Arktis zu vergleichen - auch mit den Daten der MOSAiC-Expedition 2019/20.
Der Leiter des Team Meereisphysik und MOSAiC-Experte Dr. Marcel Nicolaus berichtet: „Das Eis erstreckt sich zurzeit mit knapp 7,5 Millionen Quadratkilometern über eine ähnliche Fläche wie in den beiden vergangenen Jahren. Damit gibt es noch etwa eine Million Quadratkilometer mehr Eis als im Jahr 2012. Die sommerliche Schmelze ist aber in vollem Gange, und vor allem der Wind wird in den kommenden Wochen bestimmen, wie sich das poröse, brüchige Eis weiter verteilt."
Vom Meereis bis zum Meeresboden - Zusammenhänge in allen Stockwerken des Ozeans
Wie sich die Beschaffenheit des Meereises verändert, untersucht das Expeditionsteam vor Ort detailliert: Mit Helikopter-geschleppten Sensoren wird die Dicke des Eises vermessen, Eisbohrkerne erlauben die Analyse der Meereisbeschaffenheit sowie die Untersuchung im Eis lebender Algen. Ein Unterwasserroboter misst, wie viel Licht durch das Eis in den Ozean gelangt, wenn seine Oberfläche noch von Schnee oder bereits von Schmelzwassertümpeln bedeckt ist. Das Licht steht Kleinstalgen (Phytoplankton) als Energiequelle für die Photosynthese zur Verfügung, die in den oberen Wasserschichten leben. Was mit dem von ihnen gebundenen Kohlenstoff weiter passiert, wird (mikro-)biologisch, chemisch und physikalisch von der Wasseroberfläche bis in den Tiefseeboden erforscht. Die Planktologen an Bord wollen den Weg des Lebens direkt unter dem Eis bis in die Tiefsee verfolgen, dazu bringen sie verschiedene Kamerasysteme aus sowie autonome Probennehmer.
Für die Arbeiten sind mehrere sogenannte Eisstationen geplant: „Das Schiff legt an eine Scholle an, dann gehen die Eisforscher auf die Scholle, wir setzen verschiedene Roboter und Freifallgeräte aus und parallel schauen wir mit den Zoologinnen die Lebewesen am Grund an, über 4000 Meter tiefer. So erkennen wir Zusammenhänge in allen Stockwerken des Ozeans vom Meereis bis zum Meeresboden", erklärt Antje Boetius. Dabei kehrt das Team für vergleichende Untersuchungen in den gleichen Arbeitsgebieten wie im Jahr 2012 zurück: in die besonders produktive Eisrandzone und Regionen mit vielleicht noch immer mehrjähriger Eisbedeckung in der zentralen Arktis. Für die Arbeiten werden eine Reihe bewährter, aber auch neuer Technologien eingesetzt, beispielsweise Landersysteme, Tiefsee-Crawler und das am AWI entwickelte Ocean Floor Observation and Bathymetry System (OFOBS). Die Rückkehr erfolgt nach der sommerlichen Eisschmelze, wenn die herbstliche Meereisbildung beginnt.
Arktisforschung des BMBF – im Hotspot des Klimawandels
Die Arktis ist eine Schlüsselregion für das globale Klima. Sie nimmt als Klimaregulierer für die nördliche Hemisphäre unmittelbar Einfluss auf das Klima und Wetter in Europa und Deutschland. In kaum einer anderen Region der Erde wird der Klimawandel sichtbarer. Dieses Klimasystem besser zu verstehen, ist auch Aufgabe der Meeres- und Polarforschung, die vom BMBF gefördert wird. Ihr Ziel ist der Schutz des ewigen Eises – und damit des Klimas weltweit.
Ein einzigartiges Beispiel ist die MOSAiC-Expedition – die größte Arktisexpedition aller Zeiten. Für die Expedition ließ sich das deutsche Forschungsschiff „Polarstern" ab Herbst 2019 im arktischen Meereis einfrieren, um fast ein Jahr lang mit dem Eis durchs Nordpolarmeer zu driften. Das Forschungsschiff POLARSTERN gehört zu den leistungsfähigsten Forschungsschiffen auf der Welt. Zum Einsatz kommt es sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis.
Das Bundesforschungsministerium plant zurzeit einen Nachfolger für das 34 Jahre alte Schiff. Wie die POLARSTERN soll es in der Arktis und Antarktis eingesetzt werden und die Neumayer III-Station versorgen.
Über das AWI
Das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) forscht in der Arktis, Antarktis und den Ozeanen der gemäßigten sowie hohen Breiten. Es koordiniert die Polarforschung in Deutschland und stellt wichtige Infrastruktur wie den Forschungseisbrecher Polarstern und Stationen in der Arktis und Antarktis für die internationale Wissenschaft zur Verfügung. Das Alfred-Wegener-Institut ist eines der 18 Forschungszentren der Helmholtz-Gemeinschaft, der größten Wissenschaftsorganisation Deutschlands.