Projekt YESSS – Start für Forschungsmarathon auf Spitzbergen
Im arktischen Spitzbergen haben rund 20 Forschende von sieben deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen ihre Ausrüstungen für das Polarforschungsprojekt YESSS eingerichtet. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Vorhaben YESSS steht für Year-round EcoSystem Study on Svalbard. Unter der Führung des Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) soll YESSS neue Erkenntnisse zum Klimawandel bringen.
Es war ein zweiwöchiger Kraftakt: ankommen, auspacken, aufbauen, raus aufs Wasser, rein ins Labor. Bei trübem Regenwetter landeten die Forschenden Anfang August in Ny-Ålesund am Kongsfjord, dem eigentlichen Forschungsterrain. Denn hier lassen sich die Folgen des Klimawandels so gut studieren wie kaum an einem anderen Ort der Welt. YESSS soll die saisonalen Aspekte dieser Erwärmung erforschen und wie diese sich auf Lebenszyklen, Nahrungssuche und Überwinterung von Pflanzen und Tieren auswirken, insbesondere in den dunklen Jahreszeiten. Denn darüber ist bislang nur sehr wenig bekannt.
An der AWIPEV-Forschungsstation in Ny-Ålesund haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein umfangreiches Forschungs-Setup aufgebaut. Equipment und Material haben sie per Flugzeug und mit dem AWI-Forschungsschiff Heincke nach Spitzbergen gebracht. Jetzt beginnt das Standard-Messprogramm. Mit einem Boot fährt ein kleines Team auf den Kongsfjord hinaus und wird wöchentlich immer an denselben Stellen Wasserproben in Tiefen von fünf bis zu 300 Metern nehmen. Zudem werden Temperatur oder Helligkeit erfasst. Die Wasserproben und die darin lebenden Organismen werden im Labor der Forschungsstation untersucht.
Dort sind Aquarien und Becken aufgebaut, in denen der zu erwartende Klimawandel simuliert wird. „In Parallelversuchen mit der gegenwärtigen sowie um drei und sechs Grad erhöhter Wassertemperatur untersuchen wir, wie die im Meer lebenden Organismen auf diese Temperaturerhöhung reagieren,“ erklärt Dr. Clara Hoppe, AWI-Biologin und Leiterin von YESSS. „Steigende Temperaturen sind ein Stressfaktor, der zu einem höheren Verbrauch von Ressourcen führt – mit Folgen für das gesamte Ökosystem.“ Diese Experimente zur Temperaturempfindlichkeit werden für Schlüsselgruppen im Nahrungsnetz durchgeführt.
Zu den Modellorganismen zählen auch Polardorsche, die ein Forschungsteam auf dem AWI-Forschungsschiff Heincke gefangen hatte. Um die 500 Fische wurden in einem Aquarium-Container auf dem Forschungsschiff zur deutsch-französischen AWIPEV-Station transportiert, wo Forschende mithilfe von Sensoren regelmäßig über mehrere Monate hinweg verschiedene Parameter der Tiere messen und dokumentieren werden, darunter Herz- und Stoffwechselraten, den Energiehaushalt oder ihr Wachstum in Gewicht und Länge.
Der Polardorsch gilt als der Fisch, der im Arktischen Ozean am häufigsten vorkommt – noch zumindest. Denn menschliche Einflüsse und der Klimawandel verändern seinen Lebensraum so stark, dass alle Stadien seines Lebens davon beeinflusst sind. Diese Veränderungen haben wiederum einen Effekt auf das restliche Ökosystem, denn der Polardorsch ist beispielsweise fester Bestandteil der Nahrung für arktische Meeressäuger und der Selbstversorgung der Inuit.
Auch auf die Originalproben der anderen Modellorganismen aus dem Kongsfjord sowie die im Labor gewonnenen Datensätze können alle beteiligten Forschungseinrichtungen und Unis zugreifen. Basierend auf den Daten zur Resilienz gegenüber höheren Temperaturen sowie anderen erfolgreichen Überwinterungsstrategien werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Ökosystemmodell entwickeln. Es soll potenzielle „Gewinner“ und „Verlierer“ des Klimawandels sowie Temperatur-Kipppunkte des Ökosystems zu verschiedenen Jahreszeiten identifizieren.
In Ny-Ålesund sind der Aufbau und die ersten Forschungsarbeiten für YESSS jetzt abgeschlossen. Verbleiben werden vier Doktorandinnen und Doktoranden, die in wöchentlicher Routine Proben nehmen und Messergebnisse bereitstellen werden. Alle sechs Wochen werden sie sich in Zweier-Gruppen auf der Forschungsstation abwechseln. Für diese jungen Forschenden beginnt damit auch eine spannende Herausforderung: den langen, dunklen Polarwinter am Kongsfjord zu erleben. Wie sie damit klarkommen und wie sie sich mit ihrer Forschungstätigkeit auch für den Klimaschutz engagieren, das werden sie im kommenden Jahr regelmäßig auf den Social-Media-Kanälen von YESSS dokumentieren.
Hintergrund:
Durch den Klimawandel verändern sich die Polarregionen rasant – mit Auswirkungen für das globale Klima und somit für viele Regionen weltweit. Mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsschwerpunkt „Polarregionen im Wandel – Einfluss globaler und regionaler Stressoren" sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Basis für Handlungskonzepte für Politik und Gesellschaft im Zusammenhang mit den Polargebieten liefern. Zudem sollen sie die vielfältigen Auswirkungen des Klimawandels abschätzen. Vier Projekte - ThinIce, SQUEEZE, GreenHAB und YESSS - werden im Rahmen dieses Forschungsschwerunkts werden seit September 2023 gefördert.