Steinbruch, Sand- und Kiesgrube als Lebensraum: So kann die Baustoffbranche Biodiversität fördern
Gerade für seltene Arten können in Gewinnungsstätten von Rohstoffunternehmen wichtige neue Lebensräume entstehen. Um diese potenziellen Lebensräume besser zu entwickeln, haben Forschende im Dialog mit der Baustoffbranche ein Konzept für ein ganzheitliches Biodiversitätsmanagement erarbeitet. Das Projekt „Ganzheitliches Biodiversitätsmanagement in der Baustoffindustrie“ (GiBBS) erstellte nun ein Handbuch: Es unterstützt Rohstoffunternehmen dabei, Artenschutzmaßnahmen zu planen, umzusetzen und zu evaluieren.
In Deutschland gibt es weiterhin einen hohen Bedarf an Baustoffen. Für eine nachhaltigere Bauwirtschaft ist es zentral, die Potenziale von Recycling, nachwachsenden Rohstoffen und effizienten Bautechniken vollständig auszuschöpfen. Ein weiterer Eckpfeiler für mehr Nachhaltigkeit in der Branche ist das Biodiversitätsmanagement in Gewinnungsstätten. Denn auch in Zukunft können wir nicht komplett auf Primärrohstoffe verzichten. Daher untersuchte das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt GiBBS, das Teil der BMBF-Forschungsinitiative für den Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) ist, welche Chancen für die Biodiversität bestehen und wie diese entwickelt und realisiert werden können. Dazu analysierte das Team auch, welche Hemmnisse zurzeit bestehen. Sie leiteten Lösungsansätze ab, die nun in einem Handbuch für die Rohstoffbranche abgebildet sind.
Abbaustätten als Lebensräume: Forschende fanden über 1200 Arten
Immer mehr Menschen sorgen sich um das Artensterben. Der öffentliche Druck nimmt auch auf Rohstoffunternehmen zu, denn sie verändern Ökosysteme durch den Abbau beziehungsweise die Gewinnung von Baustoffen, zum Beispiel Sand und Gips. „Bei der Gewinnung von Sand, Kies, Kalkstein oder Gips greifen Unternehmen in die Landschaft ein. Dabei geht immer etwas verloren, doch für die Biodiversität kann es trotzdem ein Gewinn sein: Neue, karge Lebensräume entstehen, die für sogenannte Pionierarten überlebenswichtig sind", sagt Prof. Dr. Christoph Scherber, stellvertretender Generaldirektor des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) in Bonn. So leben in diesen Pionierlebensräumen etwa Arten wie der Flussregenpfeifer oder die Blauflügelige Sandschrecke. In Baggerlöchern bilden sich Tümpel, in denen Kreuz- und Wechselkröten laichen. Vögel wie Uferschwalben nisten in Abbruchkanten. Solche Arten finden in Deutschland immer seltener geeignete Lebensräume. Aus diesem Grund kann die Baustoffbranche für ihren Schutz eine wichtige Rolle spielen.
Forschende des LIB und der Universität Münster haben die Artenvielfalt in zwölf verschiedenen Gewinnungsstätten untersucht. Ihr Ergebnis: Mehr als 1.200 Pflanzen-, Vogel-, Insekten-, Amphibien- und Reptilienarten konnten sie bei den beteiligten Standorten dokumentieren.
Biodiversität fördern statt verhindern
„Einige Unternehmen sind bereits sehr engagiert und schaffen aktiv Lebensräume für seltene Arten. Andere sind hingegen zurückhaltend, weil sie eine Beeinträchtigung ihrer Betriebsabläufe oder Konflikte mit Naturschutzbehörden befürchten. Teilweise versuchen sie deshalb zu verhindern, dass sich gefährdete Arten ansiedeln", erklärt Anneli Heinrich. Sie ist Wirtschaftsingenieurin und leitete am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) das Projekt GiBBS. „Wir haben Unternehmen, Branchen- und Naturschutzverbände sowie Naturschutzbehörden an einen Tisch gebracht, um konstruktive Lösungsansätze zu finden. Gleichzeitig hat das IÖW in sieben Unternehmen erforscht, welche Hürden es gibt und welche Strategien funktionieren." Das Team erarbeitete praktikable Lösungen, damit Unternehmen aller Größen im laufenden Betrieb die Artenvielfalt fördern können. Dabei geht es um freiwillige Maßnahmen, mit denen sich Unternehmen als verantwortungsbewusste Akteure positionieren können – in der Öffentlichkeit, bei Naturschutzbehörden und Geschäftspartnern.
Eine Aufgabe für das ganze Unternehmen
Das GiBBS-Handbuch denkt alle Unternehmensebenen mit – von der Leitung bis zu den Baggerfahrenden. „Die Baustoffbranche setzt sich schon seit vielen Jahren für den Artenschutz in Gewinnungsstätten ein. Neu ist: Das Handbuch bietet konkrete Hinweise und Tipps, wie biodiversitätsfördernde Maßnahmen in die Unternehmensabläufe effizient und kostenorientiert eingebunden werden können", betont Ivonne Arenz vom Bundesverband Mineralische Rohstoffe (MIRO). Konkret heißt das: Schutz und Förderung der Biodiversität sollte Teil der Unternehmensstrategie werden. Sowohl der internationale Konzern als auch das kleine Familienunternehmen können klar formulieren, was sie für den Artenschutz erreichen wollen. Dabei sollten die eigenen Flächen im Fokus stehen, sodass externe Kompensation nur eine geringe Rolle spielt. Das Handbuch schlägt Gremien und Formate vor, um die Aktivitäten auf Unternehmens- und Standortebene zu koordinieren. „Maßnahmen zum Biodiversitätsschutz müssen den aktiven Betrieb nicht einschränken und auch nicht zwingend teuer sein", ergänzt der Ökonom Patrick Schöpflin vom IÖW. „Wichtig ist, möglichst verschiedene relevante Lebensräume zu erhalten oder zu schaffen und dort entsprechende Brut- und Ruhezeiten zu beachten."
Monitoring: Seltene Arten langfristig beobachten
Verlässliche Informationen über das Vorkommen von Tier- und Pflanzenarten sind nur durch regelmäßiges Monitoring möglich. „Für eine Kosten-Nutzen-effiziente Umsetzung hilft das Handbuch dabei, geeignete Zielarten und Erfassungsmethoden auszuwählen, sodass die Ergebnisse aussagekräftig sind und sich der Aufwand trotzdem in Grenzen hält", sagt Katharina Schwesig vom Institut für Landschaftsökologie der Universität Münster. Das Vorkommen von Kreuz- und Wechselkröte etwa lässt sich effizient durch DNA-Analysen von Wasserproben nachweisen, während bei Libellen die klassische Erfassung vor Ort nach wie vor die zuverlässigste Methode ist. „Neben eigenem Fachpersonal und externen Dienstleistern können auch engagierte Bürger*innen das Monitoring unterstützen", ergänzt Elena Kortmann, Referentin für Artenschutzkoordination im NABU (Naturschutzbund Deutschland). Im Projekt GiBBS beteiligten sich insgesamt 30 Freiwillige. Der NABU koordinierte die Einsätze und entwickelte einen E-Learning-Kurs, um das Artenwissen von Freiwilligen zu erhöhen und diese zur Mitwirkung in solchen Citizen-Science-Projekten in Gewinnungsstätten zu befähigen. „Für Naturbegeisterte ist es eine gute Möglichkeit, seltene Arten in besonderen Lebensräumen zu erleben und sich weiterzubilden. Im Gegenzug können Unternehmen ihr Engagement für Biodiversität aufzeigen."
Über das Projekt
Das Projekt „Ganzheitliches Biodiversitätsmanagement in der Baustoffindustrie (GiBBS)" entwickelte ein Konzept für den Artenschutz in kleinen, mittleren und großen Rohstoffunternehmen. Beteiligt waren das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), das Institut für Landschaftsökologie der Universität Münster, das Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) und der NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V. Als Praxispartner wirkten intensiv mit: der Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden e.V. (bbs), der Bundesverband Mineralische Rohstoffe e.V. (MIRO) und der Bundesverband der Gipsindustrie e.V. sowie sieben Unternehmen der Branche. Weitere Unternehmen sowie Naturschutzbehörden und Umweltverbände brachten sich in Dialogveranstaltungen ein. Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA) und im Förderschwerpunkt Sozial-ökologische Forschung (SÖF).
Mehr Informationen:
- Handbuch für die Steine-Erden-Branche: „Biodiversität in Gewinnungsstätten. Management und Monitoring der Artenvielfalt"
- Projektflyer
- E-Learning-Kurs „Biodiversität in der Baustoffindustrie"
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