Tauender Permafrost: Großflächige Erosion im Lena-Delta
Die Arktis erwärmt sich stärker als jede andere Region der Erde. Als Folge tauen Permafrostböden immer schneller auf – es kommt mittlerweile zu großflächigen Erosionsprozessen. Forscherteams dokumentieren diese Entwicklung seit Jahren am sibirischen Fluss Lena mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
Viele Jahrtausende waren die Böden der arktischen Regionen von Kanada, Alaska und Russland dauerhaft gefroren – der Untergrund besteht dort bis zu zwei Dritteln aus Eisanteilen. Das liegt an den Folgen der letzten Eiszeit, als in diesen Regionen besonders lange und kalte Winter herrschten, der Boden aber nicht von einem Eisschild geschützt war. So konnte die kalte Luft tief in den Boden eindringen.
Durch den Klimawandel und die damit verbundenen steigenden Temperaturen tauen diese Permafrostböden heute immer schneller auf und verwandeln sich in Schlammwüsten sowie tiefe Senken. Diese Entwicklung lässt sich vor allem in Sibirien beobachten: Vielerorts kippen dort Fundamente von Häusern weg, Straßen sacken ab. Zudem nimmt die Erosion der einst durch Eis geschützten Küstenlinien und Ufern zu.
Durch Wellen und Strömungen werden viele aufgeweichte Permafrostböden an den Küsten immer stärker abgetragen, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) jetzt herausgefunden haben. Im Fokus der Untersuchungen steht das Delta des sibirischen Flusses Lena – hinsichtlich der Erosion, aber auch der Ökosysteme.
Zahlreiche vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Expeditionen führten in diese mehr als 600 Kilometer nördlich des Polarkreises gelegene Deltaregion – zuletzt unter anderem im Rahmen des vom BMBF und dem Natural Environment Research Council (NERC) geförderten deutsch-britischen Projekts CACOON.
Anhand einer Auswertung von historischen Satellitenbildern konnte ein AWI-Forscherteam zeigen, dass sich die Erosionsprozesse im 32.000 Quadratkilometer großen Flussdelta drastisch beschleunigt haben. Der Uferbereich wurde zwischen 2015 und 2018 jährlich im Schnitt um fast 16 Meter abgetragen, Mitte der 1960er-Jahre waren es nur fünf Meter. Die Ergebnisse wurden jetzt in einer Studie veröffentlicht.
Bei dem Untersuchungsgebiet der Forscherinnen und Forscher handelt es sich um das gut eineinhalb Kilometer lange Sobo-Sise-Yedoma-Kliff, an dem der Permafrostboden steil in einen Flussarm der Lena abfällt. An seiner höchsten Stelle ragt es 27 Meter auf – so hoch wie ein mehrstöckiges Haus. Diese Klippen haben - an manchen Stellen mehr, an anderen weniger - von 1965 bis 2018 zwischen 322 und 679 Metern verloren.
„Permafrostboden geht seit vielen Jahren rund um die Arktis in großer Menge verloren“, sagt der AWI-Wissenschaftler Matthias Fuchs. Das untersuchte Kliff jedoch stelle einen „Brennpunkt“ dieser Entwicklung dar. Es gebe nur wenige Gebiete, in denen der Landverlust so groß sei, betont Fuchs. Darüber hinaus wird in der Studie auch die durch die Erosion freigesetzten Mengen an Kohlenstoff und Stickstoff untersucht.
Der Permafrostboden am Sobo-Sise-Yedoma-Kliff ist rund 50.000 Jahre alt und hat sich während der letzten Eiszeit gebildet. Er besteht zu 88 Prozent aus Eis. Der Rest setzt sich vor allem aus Torf, Schluff und Sand zusammen. Vor allem der Torf, der aus halbzersetzten uralten Moosen und Seggen besteht, enthält viel Kohlenstoff und Stickstoff, die in den Pflanzen gespeichert sind.
Die AWI-Experten nahmen vor Ort Bodenproben und analysierten dann im Labor, wie viel Kohlenstoff und Stickstoff darin enthalten ist – ein Kubikmeter enthält demnach durchschnittlich rund 26 Kilogramm Kohlenstoff und zwei Kilogramm Stickstoff. Das bedeutet laut der Studie, dass allein zwischen 2015 und 2018 rund 15.000 Tonnen Kohlenstoff und etwa 1000 Tonnen Stickstoff von der Lena fortgetragen wurden.
„Kohlenstoff und Stickstoff sind wichtige Nährstoffe für Mikroorganismen“, sagt Fuchs. Durch das Abtauen des Permafrostes stehe beides den Mikroorganismen wieder zur Verfügung. Die Folgen sind gravierend: Bauen die Mikroben den Kohlenstoff ab, dann setzen sie Kohlendioxid frei – angesichts der großen bislang im Eis gespeicherten Mengen Kohlenstoff wird der Treibhauseffekt deutlich verstärkt.
Zum anderen steigt durch den intensiven Eintrag von Kohlenstoff und Stickstoff das Nährstoffangebot im Flusswasser der Lena. „Das könnte die natürlichen Nahrungsnetze im Fluss deutlich beeinflussen oder gar verändern“, sagt Fuchs.