WBGU: Klimaziele nur erreichbar mit langfristigen Strategien, mit dem Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas sowie mit CO2-Entnahme

BMBF und BMU nehmen WBGU Politikpapier „Über Klimaneutralität hinausdenken“ entgegen.

Der Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) fordert die Staaten auf, ihre langfristigen Klimaschutzstrategien über die Klimaneutralität hinaus auf „Klimastabilisierung" auszurichten und Klima-Langfriststrategien zu einem Thema der diesjährigen Klimakonferenz in Glasgow zu machen. Das ist die zentrale Aussage des Politikpapiers „Über Klimaneutralität hinausdenken", das der WBGU heute Bundesforschungsministerin Anja Karliczek und dem Staatssekretär im Bundesumweltministerium Jochen Flasbarth in Berlin übergeben hat. Um die Klimaziele zu erreichen, muss dem Bericht nach die Nutzung fossiler Brennstoffe gestoppt und der Schutz artenreicher Natur- und Landschaftsräume verstärkt werden. Außerdem stellt der WBGU fest, dass zusätzlich zur gebotenen CO2-Reduktion auch die Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre vorbereitet werden muss, um die Pariser Klimaziele langfristig verlässlich zu erreichen.

Dazu erklärt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek:

„Die Botschaft des WBGU ist klar: Wir müssen im Klimaschutz weit vorausdenken. Dazu gehört auch, dass wir schon heute damit anfangen, den verantwortungsvollen Einsatz von Methoden zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre vorzubereiten, um unsere Klimaziele auch für die zweite Hälfte des Jahrhunderts zu erreichen. Dafür hat mein Haus in einem ersten Schritt zwei Programme mit einem Gesamtvolumen von rund 50 Millionen Euro aufgelegt. Wir gehen damit einen wichtigen Schritt, um den verantwortungsvollen Einsatz von CO2-Entnahmetechnologien als Option für die Klimastabilisierung vorzubereiten. Wir brauchen aber noch weit größere Investitionen. Andere Länder wie die USA investieren dafür schon heute Hunderte Millionen Euro an öffentlichen Mitteln. Deutschland kann es sich nicht leisten, dabei zuzusehen. Ich möchte, dass Deutschland zum Exportland Nummer eins für Klimaschutzinnovationen wird. Damit bewahren wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen und sichern gleichzeitig Wohlstand und Arbeitsplätze.

Wir müssen den nachkommenden Generationen Handlungsspielräume eröffnen, damit der Klimaschutz auch nach 2030 ohne drastische Einschränkungen möglich ist. Dafür brauchen wir spürbare Investitionen in Forschung und Innovation jetzt, damit es auch in fünf, zehn oder zwanzig Jahren die Technologien gibt, die für den Klimaschutz dann nötig sind. Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Marathon. "

Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium Jochen Flasbarth erklärt:

„Der WBGU gibt uns eine klare Kursempfehlung in der Klimapolitik: Langfristige Ziele und Strategien frühzeitig festlegen, kurzfristig handeln und Vorsorge für künftigen Klimaschutz treffen. Dafür haben wir mit dem gerade novellierten Klimaschutzgesetz gesorgt: Das langfristige Ziel der Klimaneutralität wurde auf 2045 vorgezogen, daraus leitet sich eine feste Abfolge strengerer verbindlicher Klimaziele für 2030 und 2040 ab, die den Treibhausgasausstoß gleichmäßig absenken. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen heraus, dass Klimaschutz nicht zulasten des Naturschutzes gehen darf: Die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme und die nachhaltige Umstellung von Land- und Forstwirtschaft sind wichtige Voraussetzungen für die Erreichung der Klimaschutzziele.

Die Bundesregierung hat mit dem novellierten Klimaschutzgesetz erstmals die Bindung von CO2 in natürlichen Senken erstmals quantitativ verbindlich vorgegeben. Zudem sollen nach dem Jahr 2050 negative Emissionen erzielt werden, dann sollen natürliche Senken wie Wälder und Moore in Deutschland mehr Treibhausgase einbinden als ausgestoßen werden.

Ich unterstütze die Forderung des WBGU, Klima-Langfriststrategien zu einem wichtigen Thema bei der nächsten Weltklimakonferenz in Glasgow zu machen. Es müssen noch viel mehr Staaten Strategien zur Treibhausgasneutralität einreichen und zeigen, dass auch ihre mittelfristigen Klimaziele damit in Einklang stehen. Das BMU unterstützt daher weltweit Partnerländer sowohl bei der Erarbeitung von erhöhten Klimazielen als auch von Klima-Langfriststrategien."

Hintergrund:

Der Wissenschaftliche Beirat für globale Umweltveränderungen (WBGU) hat neun Mitglieder, die vom Bundeskabinett auf Vorschlag der Ministerien für Bildung und Forschung (BMBF) sowie Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) für eine Dauer von vier Jahren berufen werden. Der Beirat erarbeitet wissenschaftliche Analysen, Konzepte und Lösungsangebote für globale Nachhaltigkeit. Er arbeitet unabhängig und erstellt regelmäßig Gutachten und Stellungnahmen zu selbstgewählten Themen.

Das im November 2020 neu besetzte Beratungsgremium fordert, die Bedeutung von Klima-Langfriststrategien zu stärken und diese verpflichtend als Richtschnur für die nationale Klimapolitik heranzuziehen. Inhaltlich sollten Klima-Langfriststrategien einen zügigen und vollständigen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Öl und Gas vorsehen. Dazu sollten auch Programme für die wirtschaftliche Wiederbelebung nach der Covid-19-Pandemie für eine Transformation der Wirtschaft hin zu nachhaltigem Klimaschutz eingesetzt werden.

Weiterhin soll der Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen und ihre nachhaltige Nutzung eine zentrale Rolle in Klima-Langfriststrategien einnehmen.

Drittens soll der Einsatz von CO2-Entnahme aus der Atmosphäre, so genannte negative Emissionen, strategisch vorbereitet und Klimaschutz mit dem Schutz von Biodiversität und Ökosystemen verbunden werden, um das globale Temperaturniveau in der zweiten Jahrhunderthälfte auf einem Niveau von maximal 1,5° C über vorindustriellen Werten zu stabilisieren.

Insgesamt sollten Klima-Langfriststrategien laut WBGU außerdem positiv auf andere Dimensionen der Nachhaltigkeit, wie etwa Gesundheitsschutz oder Armutsbekämpfung, einzahlen. Das Bundesforschungsministerium und das Bundesumweltministerium begrüßen das Politikpapier als wichtigen Beitrag zur internationalen Debatte über die Ausgestaltung einer ambitionierten Klimapolitik und zur nationalen Ausgestaltung von Klimaschutzmaßnahmen.

Das Bundesforschungsministerium fördert die Nachhaltigkeitsforschung seit vielen Jahren. In der BMBF-Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit" ist ein umfangreiches Forschungs- und Innovations-Paket zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 enthalten. Wichtige Schwerpunkte liegen beispielsweise auf der Entwicklung von grünem Wasserstoff als Energieträger der Zukunft, Emissionsvermeidung und Energieeffizienz in der Industrie sowie in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).

Das BMBF hat mit den Bekanntmachungen „marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung" und „Methoden zur Entnahme von atmosphärischen CO2" zwei Forschungsinitiativen zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre auf den Weg gebracht, die ab der zweiten Jahreshälfte 2021 mit rund 50 Millionen Euro gefördert werden. Die Forschung für Nachhaltigkeit des BMBF schafft mit ihren inter- und transdisziplinären Forschungsansätzen ein breites Verständnis der Zusammenhänge von Klimawandel und den Nachhaltigkeitszielen. So unterstützt das BMBF den Weg zu einer an den Klimawandel angepassten Gesellschaft.

Experten gehen davon aus, dass wir ohne umfangreiche CO2-Entnahme (CDR) die Klimaschutzziele von Paris nicht erreichen werden. Das stellt auch der WBGU in seinem aktuellen Politikpapier fest. Die verschiedenen Ansätze sind umstritten, weil sie nach dem heutigen Wissensstand potentielle Risiken bergen beziehungsweise noch nicht ausreichend erforscht sind. Es fehlen belastbare Daten über Wirksamkeit und Potenziale. Großskalig realisierbare Einsatzszenarien von CDR fehlen noch, obwohl sie in vielen Bereichen der Klimapolitik bereits eingerechnet werden. Der Einsatz entsprechender Technologien und Ansätze erfordert daher eine erhebliche Ausweitung der Forschung und Entwicklung in diesem Bereich. Wir brauchen eine transparente und evidenzbasierte Debatte über einen verantwortungsvollen Einsatz von CO2-Entnahmemethoden. Forschung muss daher auch Fragen nach ethischen, rechtlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Aspekten einbeziehen.

Das Bundesumweltministerium hat die deutsche Klimapolitik mit der Novelle des Klimaschutzgesetzes konsequent auf das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 ausgerichtet. Mehr Generationengerechtigkeit, mehr Planungssicherheit und ein Vorgehen, das die Wirtschaft umbaut und modernisiert sind dabei handlungsweisend. Das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 wird erstmals über eine gleichmäßige, schrittweise Absenkung des Treibhausgasaustoßes genau definiert. So sieht die Novelle vor, bis 2030 mindestens 65 Prozent und bis 2040 mindestens 88 Prozent der Emissionen zu mindern. Auch die Zeit nach 2045, wenn die Treibhausgasneutralität erreicht sein soll, wird zum ersten Mal systematisch vorbereitet. Das novellierte Gesetz enthält eine Zielvorgabe für den Erhalt und den Ausbau der sogenannten natürlichen Senken wie Wälder und Moore. Damit reagiert Deutschland auch auf internationale Anforderungen: Die Vertragsparteien sind unter dem Übereinkommen von Paris dazu aufgefordert, Klima-Langfriststrategien einzureichen. Deutschland ist der Aufforderung bereits 2016 mit dem Klimaschutzplan 2050 nachgekommen; eine Fortschreibung und Anpassung des Klimaschutzplans an das novellierte Klimaschutzgesetz ist nun für die kommende Legislaturperiode geplant.

Um der Bedeutung von Klima-Langfriststrategien für ambitionierte Klimapolitik Rechnung zu tragen, unterstützt das BMU über die Internationale Klimaschutzinitiative zudem zahlreiche Partnerländer dabei, ihre Politiken auf Treibhausgasneutralität umzustellen und Klima-Langfriststrategien zu erarbeiten. So unterstützt beispielsweise das Institute for Sustainable Development and International Relations (IDDRI) die Partnerländer Brasilien, Indien, Indonesien und Südafrika bei der Modellierung von sektoralen Minderungsszenarien, um Potenziale für Klima-Langfriststrategien herauszuarbeiten. Das World Resources Institute und die 2050 Pathways Platform bereiten derzeit neue Vorhaben von über 20 Mio. Euro vor, um bis zu 10 weitere Partnerländer zu unterstützen. Daneben können Partnerländer über die NDC Partnerschaft weitere Förderbedarfe bei der Erarbeitung von Klima-Langfriststrategien anmelden.

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) wurde 1992 im Vorfeld der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung („Erdgipfel von Rio") von der Bundesregierung als unabhängiges wissenschaftliches Beratergremium eingerichtet. Der WBGU wird gemeinsam von BMBF und BMU betreut und finanziert.