YESSS: Neues Forschungsprojekt untersucht ganzjährig Erwärmung in der Arktis
Wie die Erwärmung der Arktis die Jahreszeiten auf Spitzbergen verändert, steht im Fokus des neuen Forschungsprojektes YESSS - Year-round EcoSystem Study on Svalbard. Lebenszyklen, Nahrungssuche und Überwinterung ausgewählter Schlüsselarten beobachtet das Forscherteam ganzjährig rund um die AWIPEV-Station auf der norwegischen Inselgruppe und führt Experimente durch. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert das Projekt bis Ende 2026 mit 2,7 Millionen Euro.
Nirgendwo erwärmt sich die Erde so schnell wie in der Arktis. Die dort schmelzenden Gletscher und das schwindende Meereis stehen in der Öffentlichkeit längst sinnbildlich für den Klimawandel. Aber auch die gesamte Entwicklung von Pflanzen und Tieren im saisonalen Jahresverlauf ändert sich, möglicherweise mit gravierenden ökologischen Konsequenzen.
Im Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) wurde jetzt mit einer Kick-off-Konferenz unter Beteiligung von sieben Universitäten und Forschungseinrichtungen das Projekt YESSS gestartet. Unter der Koordination durch das AWI sollen bis 2026 saisonale Aspekte der Erwärmung in der Arktis erforscht werden, unter anderem Lebenszyklen, Nahrungssuche und Überwinterung. Bislang ist darüber wenig bekannt, weil das Verständnis dieser ökologischen Prozesse überwiegend auf Studien beruht, die im Frühling und Sommer durchgeführt wurden.
Das Projekt YESSS wird vom BMBF im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Polarregionen im Wandel – Einfluss globaler und regionaler Stressoren" gefördert - neben den Projekten ThinIce, SQUEEZE, GreenHab. Ziel der Forschungsförderung in diesem Schwerpunkt ist es, mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über diese Veränderungen in der Arktis und deren Folgen zu gewinnen, und vor allem um Politik und Gesellschaft entsprechend einzubinden.
Kaum Untersuchungen im arktischen Winter
Beim Klimawandel gilt die Arktis als Hotspot, als Frühwarnsystem für bevorstehende globale Veränderungen. Denn unter den extremen Bedingungen der Nordpolarmeer-Region verstärken sich die Auswirkungen des Klimawandels. So hat sich hier die Temperatur des Meeres doppelt so schnell erhöht wie in anderen Erdregionen. Dies ist ein Stressfaktor für viele Lebewesen: Denn höhere Temperaturen beschleunigen die Prozesse im Körper und führen so zu einem höheren Verbrauch von Ressourcen. Mit welchen Folgen?
„Bislang gibt es kaum Studien über diese Entwicklungen in dem langen und dunklen arktischen Winter und auch nicht in den nur wenige Tage langen Übergangszeiten im Frühling und Herbst. Hier wollen wir jetzt ganzjährig mit wöchentlichen Messungen neue Erkenntnisse schaffen", sagt YESSS-Projektleiterin Dr. Clara Hoppe. Die AWI-Biologin war seit 2014 schon zu mehreren Forschungsreisen auf Spitzbergen und auch an der MOSAiC-Expedition beteiligt.
Phytoplankton im Fokus der Forschung
Ihr spezielles Forschungsgebiet ist das Phytoplankton, das sind mikroskopisch kleine Einzeller, die durch Photosynthese das Treibhausgas CO2 binden und aus Wasser Sauerstoff produzieren. Phytoplankton ist die Basis des Nahrungsnetzes, daher haben Veränderungen im Phytoplankton Auswirkungen auf das gesamte Ökosystem. Untersuchungen sollen zeigen, wie diese Organismen in den dunklen Monaten auf die erhöhte Wassertemperatur reagieren.
Solche saisonspezifischen Experimente sollen auch für weitere Schlüsselgruppen im Nahrungsnetz gemacht werden, unter anderem für Makroalgen, Muscheln, Seeigel und für Fische wie den Kabeljau. Die höheren Wassertemperaturen ziehen schon jetzt Fischarten an, die es früher in der Arktis nicht gab. Ob angestammte Arten dann ausreichend widerstandsfähig sind, ist weitgehend unbekannt.
Ökosystemmodell identifiziert Gewinner und Verlierer des Wandels
Basierend auf den gewonnenen Daten zur Resilienz gegenüber höheren Temperaturen sowie anderen erfolgreichen Überwinterungsstrategien werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Ökosystemmodell entwickeln. Es soll potenzielle „Gewinner" und „Verlierer" des Klimawandels sowie Temperatur-Kipppunkte zu verschiedenen Jahreszeiten identifizieren. „Miteinander verknüpft können diese verschiedenen Forschungsergebnisse helfen, ökologische Folgen des Klimawandels einzuschätzen", sagt Clara Hoppe.
Im Sommer 2024 sollen die eigentlichen Forschungsarbeiten im Kongsfjord auf Spitzbergen beginnen. In Ny-Ålesund, wo die AWIPEV-Forschungsstation liegt, leben im Winter nur rund 30 Personen. Ein Jahr lang werden dann auch vier Doktoranden und Doktorandinnen für das Forschungsprojekt YESSS dort arbeiten. Vor Ort werden sie wöchentlich Proben nehmen und Messergebnisse für das Projekt bereitstellen.
Forschende berichten regelmäßig über Social Media
Für ihren neuen Job weit nördlich des Polarkreises werden sie in verschiedenen Trainings in Kiel vorbereitet, dazu gehört auch Schutz bei Begegnungen mit Eisbären, Probennahmen in der Nacht und ein zweitägiges Medientraining. Denn das Team soll regelmäßig in den sozialen Medien über seinen außergewöhnlichen Einsatz in der Klimaforschung berichten und damit auch ein junges Publikum ansprechen. Die Projektergebnisse sollen 2026 unter anderem bei der größten jährlichen Arktis-Konferenz, der Arctic Circle Assembly auf Island, vorgestellt werden.