Langzeitstudie: Überdüngung der Meere gefährdet Seegraswiesen

Seegräser sind wichtiger Bestandteil von Küstenökosystemen. Doch vor allem durch die Überdüngung der Meere sind sie bedroht. Ab welchem Stickstoffeintrag es für Seegräser kritisch wird, hat ein Wissenschaftlerteam in einer Langzeitstudie auf der chinesischen Insel Hainan untersucht. Die Forschungsarbeiten wurden vom Bundesforschungsministerium gefördert.

Seegraswiesen wachsen in den flachen Küstenmeeren und bedecken weltweit eine Fläche von nahezu 180.000 Quadratkilometern. Sie sind Lebensraum für viele Organismen, darunter bedrohte Arten wie Schildkröten und Seekühe, und sie sind ein Brut- und Rückzugsort wirtschaftlich bedeutsamer Fischarten. Zudem reichern Seegraswiesen ihre Umgebung mit Sauerstoff an und binden gleichzeitig große Mengen Kohlenstoff in ihrem Wurzelsystem - mehr sogar als Regenwälder. Als eine der effektivsten Kohlenstoffsenken auf der Erde haben Seegraswiesen eine große Bedeutung für das Klimasystem.

Doch wie andere Küstenökosysteme sind auch Seegraswiesen stark bedroht. Laut Schätzungen der Weltnaturschutzunion schrumpft die Seegrasbedeckung weltweit um 1,5 Prozent pro Jahr, rund ein Viertel der Seegrasarten stehen inzwischen auf der Roten Liste. Die Erwärmung des Meerwassers sowie menschliche Aktivitäten wie intensive Fischzucht, Tourismus und Siedlungsbau gefährden die Bestände weltweit. Ein großes Problem stellen Abwässer dar, die ungeklärt ins Meer geleitet werden. Welche Folgen dies für Seegraswiesen hat, untersuchte ein Wissenschaftlerteam des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) über ein Jahrzehnt vor der chinesischen Insel Hainan. Die Langzeitstudie wurde im Rahmen der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit China vom Bundesforschungsministerium gefördert. 

In einer aktuellen Studie im Fachjournal Marine Environmental Researchbenennt das Forscherteam erstmals jenen kritischen Punkt, ab dem die Überdüngung der Meere dazu führt, dass dieser für die Umwelt so wichtige Lebensraum für immer verloren geht. „Es gelang uns einen Grenzwert der Stickstoffbelastung zu ermitteln, ab dem Seegraswiesen sich nicht mehr von diesem Umweltstress erholen können und absterben“, sagt Projektleiter Tim Jennerjahn vom ZMT. Diese Konzentration liege bei 112 Mikrogramm gelöstem anorganischem Stickstoff pro Liter Wasser, der über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren wirksam sei, so der Biogeochemiker. Grundsätzlich gedeihen Seegräser in klarem, nährstoffarmem Wasser am besten, da sie ihre Nährstoffe größtenteils über die Wurzeln aufnehmen. Nimmt die Überdüngung zu, breiten sich Meeresalgen aus und überziehen Seegräser mit einer Algenschicht, die kaum Licht durchlässt. Dadurch sterben die Pflanzen ab.

 

 

Die lange Zeitspanne ermöglichte es den Forschern, den Verfall dieses Ökosystems zu verfolgen und genaue Aussagen insbesondere über die Auswirkungen stickstoffreicher Abwässer aus Aquakulturen zu treffen. Dabei war das Untersuchungsgebiet nicht zufällig ausgewählt: So hat in ganz Südostasien die Anzahl der Zuchtanlagen vor allem für Garnelen und Zackenbarsche in den vergangenen Jahrzehnten explosionsartig zugenommen. Auf Hainan erstrecken sich Aquakulturen auf über 40 Quadratkilometern an der Küste. Überschüssige Nahrung und die Ausscheidungen der Tiere reichern sich in den Zuchtteichen an, wobei viel anorganischer Stickstoff freigesetzt wird und über Abwässer in das Küstenmeer gelangt.

An unterschiedlich stark belasteten Standorten entlang der Küste trugen die Forscherinnen und Forscher einen großen Datensatz von über 1.000 Messwerten zu Seegräsern zusammen. Dazu zählten Angaben zur Biomasse und zur Artenvielfalt, zum Algenbewuchs und zum Nährstoffgehalt im Wasser. Das ZMT-Team stellte fest, dass unter dieser chronischen Belastung in nur zehn Jahren 87 Prozent der Biomasse der Seegraswiesen verschwunden ist und ihr Artenreichtum enorm abgenommen hat.

„Wir möchten mit unserem Projekt einen Beitrag zum Erhalt dieses wertvollen Ökosystems leisten und stehen daher in engem Austausch mit Entscheidungsträgern und der breiten Öffentlichkeit vor Ort“, sagt Jennerjahn. Unter anderem wurden Bürger-Projekte und Schulungen für Aquakulturfarmer organisiert, um für die Problematik zu sensibilisieren. „Mit den hier ermittelten konkreten Werten zur Stickstoffbelastung können wir nun auch Entscheidungshilfen geben“, betont Jennerjahn.

Verwandte der Lilien

Nach bisherigen Erkenntnissen sind Seegräser im Laufe ihrer Evolution vor ca. 100 Millionen Jahren vom Land zurück ins Meer „gewandert". Daher zeigen sie noch typische Merkmale von Landpflanzen, ihre nächsten Verwandten sind die Lilien. Seegräser besitzen ein Wurzelwerk, das mehrere tausend Jahre alt werden kann und ihnen im Meeressediment starken Halt bietet. Man findet Seegraswiesen in den Flachwasserbereichen der Tropen, Subtropen und gemäßigten Breiten, so etwa auch im Mittelmeer und in Nord- und Ostsee.