BMBF fördert „Dialog zur Klimaökonomie“: Forschung zu positiven Kipppunkten für klimaneutrales Handeln in Wirtschaft und Gesellschaft

Klimarisiken sind Investitionsrisiken. Hier waren sich die mehr als 180 Teilnehmer:innen des 8. Forum Klimaökonomie – online – einig. Diskutiert wurde, welche Informationen Unternehmen und Bürger:innen zum klimaneutralen Handeln motivieren.

Zur Eröffnung des 8. Forum Klimaökonomie erklärte Professor Wolf-Dieter Lukas, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF): „Letztendlich müssen wir dazu kommen, dass Klimarisiken auch als Investitionsrisiken eingestuft werden". Staatssekretär Lukas sprach sich weiterhin dafür aus, dass die Klimaökonomie genauer erforscht, wie positive Kipppunkte in Gesellschaft und Wirtschaft für die Unterstützung eines klimaneutralen Handelns identifiziert und erreicht werden können. Daraus ergaben sich im Rahmen des 8. Forum Klimaökonomie mit dem Leitmotiv „Transparente Klimabilanzen – Information für klimafreundliches Handeln" zwei wichtige Fragen:

  • Wie und unter welchen Umständen können transparente Informationen Unternehmen und private Haushalte zu klimafreundlicherem Handeln motivieren?
  • Unter welchen Bedingungen sind Unternehmen motiviert, die Klimabilanzen für ihre Produkte und Herstellungsprozesse offenzulegen?

Koordiniert wird der „Dialog zur Klimaökonomie" vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) als Begleitprozess zum BMBF-Förderschwerpunkt Ökonomie des Klimawandels II. Gemeinsam mit dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW Mannheim) hat das IfW auch das 8. Forum Klimaökonomie organisiert.

Informationen zur Klimaneutralität von Produkten als Entscheidungsgrundlage

Aus ökonomischer Sicht erklärte Joachim Lutz von der Universität Mannheim: Ein Fortschritt beim Klimaschutz setze jetzt eine Nachfrageveränderung bei Verbraucher:innen und ein entsprechendes Produktangebot von Unternehmen voraus. Für viele Branchen, wie zum Beispiel für die Elektromobilität, seien die positiven Kipppunkte noch lange nicht erreicht.

Dazu berichtete Udo Sieverding von der Verbraucherzentrale NRW, gemäß den Erfahrungen der Verbraucherzentralen, träfen Verbraucher:innen oft keine rationalen Entscheidungen. Die meisten Kaufentscheidungen seien durch Emotionen besetzt. Entscheidungen seien vor allem geprägt von dem Image eines Produkts, nicht von seiner tatsächlichen Leistung. Zudem lägen oft zu wenige Informationen über Alternativen vor. Das zeige sich gerade in der Elektromobilität: Autos, die leise fahren und Strom statt Benzin verbrauchen, hätten derzeit noch ein zu schlechtes Image. Und erst wenn Produkte positiv besetzt werden, gewinne auch die Information über Alternativen an Bedeutung und könnten den Ausschlag geben. Aber der Weg bis zu diesem Kipppunkt sei auch in der Beratung mühsam. Hier könnten eher Initiativen wie Fridays-for-Future viel bewegen, um die Motivation der Verbaucher:innen zu steigern, auf klimaneutrale Produkte umzusatteln.

In seiner Keynote griff Professor Andreas Löschel von der Universität Münster diese Erfahrungen auf: Die größte Steuerungsfunktion bei Verbraucher:innen und Unternehmen hätten monetäre Anreize. Informationen seien dann von Vorteil, wenn sie verbraucherspezifisch soziale Normen ansprechen können. Zum Beispiel hätte sich gezeigt, dass konkrete Informationen über den eigenen Energiekonsum durchaus zu einer Reduktion des Energieverbrauchs führen können.

Aus der Perspektive von Unternehmen wurde aus der Vor-Diskussion der „Runden Tische" des Klimaforums Folgendes berichtet: Unternehmen benötigten für eine nachhaltige Ausrichtung klare und übersichtliche Informationen zur Entwicklung gesetzlicher Rahmenbedingungen, um erfolgreich langfristige Investitionsentscheidungen treffen zu können. Viele Unternehmen stehen jetzt mit ihren Geschäftsmodellen vor einem Scheideweg: Die Produktionsprozesse und Produkte, die auf fossilen Technologien aufbauen, sind zukünftig nicht mehr tragbar für den Klimaschutz und häufig auch nicht mehr rentabel. Aber für neue innovative Technologien fehlen oft noch die Geschäftsmodelle. Deshalb benötigen Unternehmen solide Daten zur Dynamik der Nachfrage nach klimaneutralen Produkten und Dienstleistungen. Investoren wiederum benötigen spezifische Unternehmensinformationen zur Klimaneutralität von Unternehmen und ihren Produkten, um deren Zukunftsfähigkeit abschätzen zu können.

Auch die Politik benötigt verlässliche und spezifische Daten aus der Wirtschaft, um klimapolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel die geplanten Grenzausgleichsmechanismen („Border Carbon Adjustments"), umsetzen zu können. Mit diesen ist geplant, beim Handel mit Regionen mit niedrigeren oder gar keinen CO2-Preisen, importierte Waren mit einer CO2-Anpassungsgebühr auf der Grundlage ihres CO2-Fußabdrucks zu belegen. Aus der EU exportierte Waren erhalten eine Kompensation. Dies besagt die geplante Carbon-Leakage Verordnung. Für die Konzeption solcher Maßnahmen müssen Politiker:innen jedoch genau darüber informiert werden, welche Effekte wirtschafts- bzw. klimapolitische Instrumente haben, wie effizient sie sind und auch, unter welchen Umständen womöglich ungleiche Verteilungseffekte entstehen, wodurch die Akzeptanz bei den Verbraucher:innen gefährdet würde.

Studien zu Instrumenten und Szenarien: Kernaufgabe der Wissenschaft

Spätestens hier kommen die Forscher:innen der Klimaökonomie ins Spiel: Es ist die Kernkompetenz der Wissenschaft, kausale Erkenntnisse aus evidenzbasierten Analysen von klimapolitischen Instrumenten in die Politik und Öffentlichkeit zu tragen – auch dann, wenn sie unbequeme Wahrheiten enthalten. Für Analysen beispielsweise zur Bewertung der Entlastungsmaßnahmen für energieintensive Industrien benötigen die Klimaökonom:innen jedoch zuverlässige empirische Daten aus Unternehmen, die nicht immer transparent gemacht werden. So ist etwa aus wissenschaftlicher Sicht noch nicht hinreichend genau erhoben und geklärt, inwieweit aktive Klimapolitik unter welchen Umständen zu einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und zu einer Verlagerung der Industrien in Länder mit geringeren Emissionskosten („Carbon Leakage") führen kann.

Gefragt sind Standards für Klimabilanzen von Unternehmen und Produkten

Gleichzeitig geht es darum, Konzepte für standardisierte Kriterien und Verfahren für die Klimabilanzen von Unternehmen und Produkten auszuarbeiten. Dazu gab Delara Burkhardt, MdEP, SPD, aus ihrer Erfahrung im Europäischen Parlament zu bedenken: Hierbei müssten die Wissenschaftler:innen immer alle Optionen in den Blick nehmen. Zum Beispiel habe sie den Eindruck, für den Vorschlag der EU-Kommission, die Treibhausgase bis 2030 um 55 % zu reduzieren, seien Szenarien jenseits von 55 % gar nicht durchgerechnet worden. Das EU-Parlament forderte eine 60 %ige Treibhausgasreduktion bis 2030. Vor diesem Hintergrund lautete die Bitte der EU-Parlamentarierin: „Haben Sie die Studien im Blick – mischen sie sich da ordentlich ein!" Das EU-Parlament beginne jetzt auch damit, seine wissenschaftlichen Dienste weiter auszubauen, um seine Wissensbasis zu erweitern.

Besser alle Optionen im Blick haben – das gilt auch für zukünftige Technologien. Dazu hob Professor Löschel hervor, die Beschleunigung des Datenaustauschs durch Digitalisierung schaffe nun ganz neue Möglichkeiten: So sei es in naher Zukunft zum Beispiel möglich, die Nutzung beispielsweise von Straßen direkt abzurechnen. Auf diese Weise erspare man sich Verbote und könne viele Fragen über den Preis regeln. Auch durch die Technologie der „Blockchain" könnten Transaktionskosten in dezentralen Systemen reduziert werden. Hier werde auch daran gearbeitet, dass solche Digitalisierungsinstrumente zukünftig weniger Energie verbrauchen. Im Falle einer größeren Transparenz und Rückverfolgbarkeit von umweltrelevanten Informationen erhöhe sich auch der soziale Druck in der Gesellschaft. Darüber hinaus sei es denkbar, dass sich durch die dezentrale Einbindung auch das Engagement von Verbraucher:innen steigern lässt, aktiv zum Klimaschutz beizutragen.

Schlussfolgerungen: Die Klimaökonomie kann erfolgreiche Instrumente auf dem Weg zur Klimaneutralität identifizieren

In den Diskussionen zeichnete sich ab: Es gibt sehr viele Stellschrauben und sehr viele Akteur:innen, um die Wirtschaft auf den Pfad der Klimaneutralität zu bringen. Die Analysen der Klimaökonomie werden daher dringend gebraucht, um wirksame Ansätze und Steuerungsinstrumente zu identifizieren und in Szenarien differenziert zu bewerten. Wie aus den Diskussionen der „Runden Tische" ersichtlich wurde, spielen dabei auch Detailkonzepte, wie das Thema der „konkreten Messung des CO2-Einsparerfolgs" eine bedeutende Rolle. Allein die Definition von Maßzahlen zur Klimaneutralitäts-Leistung von Unternehmen oder zur CO2-Intensität einzelner Produkte hat direkten Einfluss auf die Lenkungswirkung und Relevanz für Länder- und Sektor-übergreifende Vergleiche von Maßnahmen und Instrumenten.

Am Ende der Veranstaltung wurde eines deutlich: Gleich, ob es um die Perspektive von Politiker:innen, Investor:innen, Unternehmer:innen oder Verbraucher:innen geht – transparente und zuverlässige Informationen sowie neue Standards sind der Dreh- und Angelpunkt für Fortschritt im Klimaschutz. Denn informiertes Handeln – ganz gleich wie rational es ist – hat meist mehr erwünschte Effekte als uninformiertes Handeln.

Hintergrund

Das Forum Klimaökonomie ist eine Veranstaltungsreihe der BMBF-Förderinitiative Dialog zur Klimaökonomie zu aktuellen Themen der Klima- und Energiepolitik. Der Dialog zur Klimaökonomie begleitet als Plattform für die Intensivierung des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis den BMBF-Förderschwerpunkt Ökonomie des Klimawandels zu den wirtschaftlichen Aspekten des Klimawandels. Angesichts der Herausforderung, die Ziele des Pariser Abkommens und des EU Green Deals Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, stellen sich für Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft Fragen, wie etwa: „Wie sehen nachhaltige und realisierbare Transformationspfade zu einer kohlenstoffneutralen Gesellschaft aus? Und wie wirksam sind verschiedene klimapolitische Instrumente und politische Maßnahmen?" Hier ist anwendungsorientierte, wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Forschung zum Klimawandel stärker denn je gefragt. Die Forschung zur Klimaökonomie leistet dafür entscheidende Beiträge und entwickelt praktikable Lösungsvorschläge. Dieser Förderschwerpunkt trägt insbesondere zur Umsetzung von Ziel 3 der neuen FONA-Strategie im Handlungsfeld 7 und hier zu Aktion 22 bei: „Nachhaltige Ausrichtung des Wirtschafts- und Finanzsystems unterstützen." Das BMBF fördert in diesem Schwerpunkt seit Mitte 2018 rund 29 Projekte und einen Begleitprozess mit insgesamt 25 Millionen Euro. Dieser baut auf den Ergebnissen der ersten Förderphase (2011-2015) auf.