Wetterextreme in der Stadt: Wie können wir das Stadtklima von morgen beeinflussen?
Der Stuttgarter Stadtklimatologe Rainer Kapp erklärt im Interview: „Im BMBF-Projekt ISAP arbeiten Forschung und Praxis eng zusammen, um schneller Ergebnisse bei der Planung und Umsetzung von Maßnahmen zur Klimaanpassung realisieren zu können.“
Rainer Kapp leitet die Abteilung Stadtklimatologie im Amt für Umweltschutz der Landeshauptstadt Stuttgart. Als Praxispartner im Forschungsprojekt ISAP, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Fördermaßnahme RegIKlim gefördert wird, nimmt er die Bedürfnisse der Praxisseite in den Blick – er sagt: „Die wissenschaftlichen Fakten liefern uns die Basis und Argumente für eine klimagerechte Stadtentwicklung".
Herr Kapp, sommerlicher Hitzeschutz und Schutz vor Starkregen wird für Städte und Regionen immer wichtiger. Wie stellen Sie als Stadtklimatologe für die Region Stuttgart heute die richtigen Weichen für morgen?
Zwei Faktoren sind entscheidend: Wir benötigen eine genaue Analyse und eine verlässliche Prognose, wie sich verschiedene Klimaparameter – wie zum Beispiel Niederschläge und Temperaturen – in Zukunft ändern werden. Dazu müssen die Ergebnisse aus der globalen Klimamodellierung zunächst auf die regionale und dann auch auf die lokale Ebene heruntergebrochen werden. Für diese unterschiedlichen Ebenen können wir dann entsprechende Anpassungsmaßnahmen entwickeln. Beispielsweise stehen Maßnahmen, die die Starkregenvorsorge oder den Erhalt beziehungsweise die Verbesserung der Kalt- und Frischluftversorgung adressieren, oft im Fokus der ganzen Stadtregion. Anders als zum Beispiel in der dicht bebauten Innenstadt: Da spielt mehr die Begrünung des öffentlichen Raums und von Gebäuden eine zentrale Rolle.
Was sind aus Ihrer Sicht entscheidende Faktoren für eine klimaangepasste Stadtentwicklung?
Einerseits müssen wir wissen, wie häufig beispielsweise Hitzeperioden oder Starkregenereignisse zukünftig zu erwarten sind. Erst dadurch können wir auf die jeweiligen Städte und Regionen zugeschnittene Maßnahmen entwickeln. Andererseits wollen wir auch die erwartbare Wirkung der Klimaanpassungsmaßnahmen kennen. Hier brauchen wir eine Kosten-Nutzen-Abschätzung als Entscheidungsgrundlage, um die einzelnen Maßnahmen bewerten und priorisieren zu können. Deshalb sind wir auch als Praxispartner im BMBF-Forschungsprojekt ISAP involviert, das genau eine solche Abschätzung entwickelt.
Heute beziehen wir auch Landnutzungsszenarien in unsere Überlegungen ein: Sie erlauben es uns ein Stück weit, die Auswirkungen geplanter Bebauung beispielsweise auf vorhandene Frischluftschneisen zu analysieren. Damit werden wir in die Lage versetzt, die klimatische Stadtentwicklung besser steuern zu können. Entscheidend ist, dass wir dabei nicht nur die Neubebauung, sondern auch den bisherigen Bestand im Blick haben und dafür die „stadtklimatische Sanierung" voranbringen.
Welche Informationen und Datengrundlagen brauchen Sie dazu – und wie wägen Sie die Kosten-Nutzen-Frage ab?
Als Stadtklimatologe untersuche ich zunächst die jeweiligen rein physikalischen und klimatischen Maßnahmenwirkungen, also was bringen beispielsweise ein Gründach oder ein bestimmter Bodenbelag bezüglich der Minderung der Lufttemperatur. Auf Basis von regionalen Klima-Analyse- und Prognosekarten lassen sich dann jeweils die geeigneten Maßnahmen für verschiedene Orte finden. Dies kann zum Beispiel die Begrünung von Gebäuden und des Straßenraums in einem – zukünftig – stark wärmebelasteten Bereich sein oder das Freihalten einer Kaltluftschneise. Für eine passgenaue Maßnahmenempfehlung, die auch auf Akzeptanz in der Bevölkerung stößt und letztlich umgesetzt wird, bedarf es aber noch weiterer Untersuchungen. Dies sind zum einen sozio-ökonomische Analysen, zum anderen untersuchen und bewerten wir auch einen erweiterten Nutzen der Maßnahmen, beispielsweise bei Grünflächen hinsichtlich besserer Luftqualität oder eines höheren Naherholungswertes. Mithilfe der im Projekt ISAP gesammelten regionalen Informationen und Daten versuchen wir anschließend, den Gesamtnutzen mit Geldwerten zu beziffern, das heißt eine geeignete Maßnahme hat dann einen individuellen Preis. Das ist im Abwägungsfall für die Umsetzung einer Maßnahme hilfreich.
Welche Rolle spielen hierbei die verschiedenen Akteursgruppen wie die kommunale Verwaltung, Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft?
Die Identifizierung und insbesondere die Umsetzung von Maßnahmen ist in der Verwaltung eine Querschnittsaufgabe mit verteilten Kompetenzen und Zuständigkeiten. Diese Zusammenarbeit muss definiert, organisiert und durch geeignete Werkzeuge, wie Modelle oder Online-Geoinformationssysteme, unterstützt werden. Hier kann das im ISAP-Projekt entwickelte Online-Informations- und Maßnahmen-Tool argumentativ zu einer schnelleren Umsetzung von Maßnahmen auch im Bereich der konkreten Maßnahmenplanung beitragen. Begleitend bedarf es immer wieder politischer Beschlüsse zur konkreten Umsetzung und Finanzierung einzelner Maßnahmen. Und gerade im Hinblick auf eine hohe Akzeptanz bei der Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen müssen die Bürgerinnen und Bürger informiert, sensibilisiert und auch beteiligt oder zur Eigenvorsorge aktiviert werden. Die Wirtschaft ist selbstverständlich an Informationen interessiert, die sie in die Lage versetzen, auch eigene Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Wichtig ist es auch, die Versorger für Trinkwasser und Energie sowie gegebenenfalls auch Entsorger oder die Träger sozialer Einrichtungen in der Maßnahmenplanung einzubinden.
Sie sind im Projekt ISAP des BMBF der Praxispartner und arbeiten eng mit der Wissenschaft zusammen. Weshalb ist es sinnvoll, Praxisakteure direkt von Projektbeginn einzubeziehen?
Vielleicht gilt hier der alte Spruch: „Vom Wissen zum Handeln". Letztlich sind wir ja nur erfolgreich, wenn wir Maßnahmen und Konzepte auch – rechtzeitig! – umsetzen können. Im Rahmen der kommunalen Verwaltung, zu der auch die Planungshoheit gehört, sind Kommunen oder Regionalverbände hier zentrale und wichtige Akteure. Dennoch: Vor allem mittlere und kleine Kommunen können diese Aufgaben nicht „alleine" stemmen und ihre Strukturen nur bedingt anpassen, benötigen also beispielsweise über die Regionalverbände Unterstützung. Ein weiterer Punkt ist, dass Kommunen untereinander gut vernetzt sind, sich austauschen und gegenseitig voneinander lernen. Das heißt Vieles von dem, was jetzt in Stuttgart erarbeitet und erprobt wird, ist letztlich auch auf weitere Städte übertragbar und muss nicht an anderer Stelle neu erfunden werden. Hierzu sind wir bereits mit anderen Kommunen im Austausch.
Bei der Konferenz der BMBF-Fördermaßnahme RegIKlim am 11./12. Mai ging es insbesondere um den Transfer-Aspekt. Welche Erkenntnisse konnten Sie für sich als kommunaler Vertreter dort gewinnen?
Ich bin überzeugt, dass wir Vorgehensweisen und Werkzeuge, die wir in RegIKlim entwickeln und anwenden in hohem Maße in die praktische Anwendung übertragen können und damit in der Anpassung insgesamt schneller vorankommen. Daneben haben wir auch die Chance, neu entwickelte Werkzeuge im Bereich sehr kleinräumiger Klimasimulationen – für große Gebiete anzuwenden. Damit können wir einerseits die Modelle weiterentwickeln, andererseits erhalten wir aber eben auch Ergebnisse, die eine feinere Maßnahmenplanung in der Breite erlauben und die wir so vor einiger Zeit noch nicht produzieren konnten. Nach der RegIKlim-Veranstaltung denke ich, dass wir bei der Bewertung der Wirkung von Maßnahmen noch Lücken haben, die wir aber zukünftig beispielsweise über die Nutzung und Auswertung von Satellitendaten hoffentlich in einigen Bereichen schließen können. Deshalb ist es unerlässlich, dass Wissenschaft und Anwendung im Bereich der Klimawandelanpassung eng kooperieren – und so das Wissen in die Praxis und Umsetzung bringen.
Herr Kapp, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Zum Hintergrund
Im Verbundprojekt ISAP wird ein quantitativer Anpassungs-Check entwickelt, der sowohl Indikatoren zu Anpassungskapazitäten als auch Kosten und Nutzen von Anpassungsmaßnahmen auf stadt-regionaler Ebene umfasst. Zudem wird eine stadt-regionale Starkregenrisikokarte entwickelt. Die neuen Ansätze werden nicht isoliert, sondern im Austausch mit anderen Regionen auf nationaler und internationaler Ebene diskutiert und entwickelt. Insgesamt zielt das ISAP-Projekt auf die Verbesserung der Planungsgrundlagen sowie deren vereinfachte Anwendung in Entscheidungsprozessen ab, um die Akzeptanz von Anpassungsmaßnahmen zu erhöhen.
ISAP ist ein Projekt der BMBF-Fördermaßnahme RegIKlim („Regionale Informationen zum Klimahandeln"). Insgesamt acht Forschungsprojekte tragen gemeinsam dazu bei, entscheidungsrelevantes Wissen zum Klimawandel in Kommunen und Regionen aufzubauen und eine breite Basis für maßgeschneiderte und verlässliche Services für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu schaffen. Das BMBF stellt für alle Projekte Fördermittel in Höhe von rund 18 Millionen Euro bereit.
Zur Person
Rainer Kapp ist Leiter der Abteilung Stadtklimatologie im Amt für Umweltschutz, Landeshauptstadt Stuttgart. Er hat Verfahrenstechnik mit Schwerpunkt Umwelttechnik studiert und befasst sich seit über 15 Jahren mit Fragen der Klimaanpassung, insbesondere auch im Rahmen der Einbringung stadtklimatischer Belange in die Bauleitplanung oder der Erarbeitung und Umsetzung des Stuttgarter Klimawandel-Anpassungskonzepts.
Neben dem BMBF-Projekt ISAP ist die Abteilung regelmäßig Partner in Förderprojekten zum Beispiel im Rahmen des Forschungsprogramms „Klimawandel und modellhafte Anpassung in Baden-Württemberg (KLIMOPASS)" sowie BMBF-Förderprojekte „KliMoPrax" zur Entwicklung eines neuen Stadtklimamodells für die Praxis und „Interess-I" zur Stärkung blau-grüner Infrastrukturen.