Wiederaufbau als Chance in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen – Wissenschaft unterstützt Flutgebiete zur Stärkung der Klimaresilienz
Wissenschaft, Politik und Praxis erarbeiten im Dialog und in intensiver Zusammenarbeit Strategien für den Wiederaufbau von zukunftssicheren und klimaresilienten Strukturen in den Überflutungsgebieten des vergangenen Jahres.
Den Wiederaufbau in den Flutgebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen auch als Chance begreifen – das steht im Zentrum des BMBF-Projekts KAHR (Klimaanpassung, Hochwasser und Resilienz). 13 Verbundpartner mit langjähriger Erfahrung in der Klimaanpassungsforschung stellen ihre wissenschaftliche Expertise zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels für die lokalen Entscheidungsträger zur Verfügung. KAHR bietet ein offenes Beratungsangebot, mit dem Ziel, die betroffenen Regionen gezielt dabei zu unterstützen, beim Wiederaufbau zukunftssichere und klimaresiliente Strukturen zu schaffen.
KAHR bündelt interdisziplinäre wissenschaftliche Expertisen
Knapp ein Jahr nach der Flutkatastrophe im Juli 2021 und nach einem halben Jahr Projektlaufzeit, fand am 29. und 30. Juni 2022 eine Online-Wissenschaftskonferenz statt. Bei der zweitägigen Veranstaltung stellten die Verbundpartner von KAHR erste Ergebnisse und Empfehlungen vor. 340 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen aus Deutschland und dem Ausland diskutierten über vielfältige Fragen zur Klimaresilienz und zum Hochwasserschutz. Ein Diskussionsthema beschäftigte sich beispielsweise damit, inwiefern Hochwassermodelle und Überflutungsszenarien verbessert werden können und müssen, um einen höheren Wirkungsgrad zu erzielen. Mit Hilfe von zeitlich und räumlich hoch aufgelösten Modellen können Maßnahmen zur Hochwasservorsorge passgenau umgesetzt werden oder im Katastrophenfall schneller die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Ungeachtet dessen ist es wichtig, den (Fließ-)Gewässern mehr Raum zu geben. Flächenansprüche für verschiedene Nutzungen – unter anderem für Straßen, Gewerbe- und Wohnflächen, aber auch für touristische Infrastrukturen und Flächen zur Naherholung – stehen dabei in Konkurrenz zu einander. Expertinnen und Experten zeigten, wie mit neuen Verfahren aus der risikobasierten Raumplanung, hierauf reagiert werden kann. Auch die internationale Perspektive fließt hierbei ein: Es wurden gute Beispiele und Erfahrungen im Umgang mit Hochwasser aus anderen Ländern, wie zum Beispiel den Niederlanden und Australien vorgestellt und darüber diskutiert, wie diese auch in Deutschland (lokal angepasst) genutzt werden können.
Gemeinsames Handeln ist wichtig – Wissenschaft und Praxis in intensivem Austausch
Ein wesentlicher Teil der Konferenz war der Dialog der Wissenschaft mit den Praxispartnern, zum Beispiel mit Vertreterinnen und Vertretern aus Städten, Gemeinden und Landkreisen sowie Planungsbehörden und der Wasserwirtschaft. 110 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, darunter zahlreiche politische Akteure aus der Landespolitik, dem Ahrtal sowie den angrenzenden Kommunen in NRW und Mario Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF, nahmen an der Abendveranstaltung am 29. Juni in Remagen teil. Es wurde bekräftigt, dass dieser Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis relevant ist, um beim Wiederaufbau neues Klimawissen, innovative Konzepte für mehr Resilienz und zukunftsweisende Ideen zu berücksichtigen.
In den zurückliegenden Monaten stand im Fokus dieser Zusammenarbeit vor allem der Umgang mit den vielen zerstörten Brücken im Ahrtal. Die KAHR-Partner haben dafür unter anderem mit Drohnenflügen die Schäden an den Brücken und Veränderungen im Flussbett aufgenommen und erste Simulationen des Hochwasserereignisses durchgeführt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Brücken wie ein Nadelöhr Einfluss auf das Hochwassergeschehen hatten. Problematisch war, dass die Brücken zunächst durch Treibgut verstopft wurden und sehr viel Wasser rückgestaut haben. Konnten sie dem Druck der Wassermassen nicht mehr standhalten, sind sie gebrochen und haben Flutwellen erzeugt. Hierdurch war der Wasserstand etwa um 2 bis 2,5 Meter höher, als wenn das Wasser ungehindert abgeflossen wäre. Das entspricht etwa der Etage eines Wohnhauses. Im Dialog mit den Entscheidungsträgern werden diese Ergebnisse nun herangezogen, um zu definieren, welche Konsequenzen für den Wiederaufbau gezogen werden müssen: Welche Brücken sollen wiederaufgebaut werden? An welchen Standorten sind Brücken notwendig, damit die Mobilität vor Ort sichergestellt wird? Wie können die Brücken gebaut werden, damit sie klimasicherer sind – zum Beispiel durch neue Materialien und andere Querschnittsprofile? Wie kann sichergestellt werden, dass zukünftig im Hochwasserfall der Abfluss nicht blockiert wird? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler helfen, Antworten auf diese Fragen zu finden. Fest steht aber auch, dass ein absoluter Schutz gegen alle Risiken nicht umsetzbar ist. Daher ist der Dialog von Wissenschaft und Praxis so bedeutsam: im Dialog kann eine Entscheidung darüber getroffen werden, welches Schutzniveau erreicht werden soll. Dabei betonen alle Akteure gleichermaßen, dass die Analyse und die Entscheidungen Zeit benötigen. Der Wiederaufbau und die Gestaltung von klimaresilienten Strukturen ist eine Generationenaufgabe, für die es übergeordnete Strategien und eine langfristige Perspektive bedarf.
Im KAHR Projekt wird deutlich, wie essenziell die Zusammenarbeit von Forschung und Praxis ist. Durch langjährige Förderung der Anpassungsforschung durch das BMBF kann auf eine umfangreiche Expertise zugegriffen werden, die es in diesem konkreten Fall ermöglicht, schnell weitere Erkenntnisse zu generieren, ein gutes Netzwerk zu schaffen und bestmöglich sowie effizient zu einem nachhaltigen Wiederaufbau zu gelangen.
10 Empfehlungen aus Sicht der Wissenschaft zum Thema Wiederaufbau und Zukunftsfähigkeit der flutbetroffenen Regionen
Expertinnen und Experten des KAHR-Projektes haben auf der Grundlage von ersten Befunden Empfehlungen zusammengestellt, die unterschiedlichen Akteuren im Wiederaufbau Handlungsbedarfe aufzeigen. Die Empfehlungen sind Teil der wissenschaftlichen Begleitung des Neuaufbaus der von der Flut 2021 betroffenen Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen und stellen Möglichkeiten für die Gestaltung einer klimaresilienteren Region dar.
Die Empfehlungen reichen von „Mehr Raum für den Fluss" durch angepasste, multifunktionale Flächennutzungen über „Stärkere Betrachtung von Brücken", um die hochwasserverstärkende Wirkung von Brücken zu mindern bis hin zu „Hochwasser- und klimaresilientes Planen und Bauen", indem Belange der Klimaanpassung und Hochwasservorsorge in der Siedlungs- und Raumentwicklung fest verankert werden.
Aus Sicht der Expertinnen und Experten sollten die Empfehlungen in allen Prozessen des Wideraufbaus berücksichtigt werden. Im weiteren Verlauf des KAHR-Projekts werden die Empfehlungen durch weitere Forschung geschärft.