Auf den Spuren der Flutkatastrophe: Forschende untersuchen Brücken und Gewässer nach dem Starkregenereignis 2021 und erstellen hydraulische Simulationen für bessere Hochwasserprognosen

Wo können welche Brücken in den betroffenen Regionen gebaut werden, um in Zukunft die Verkehrsinfrastruktur möglichst klimaresilient zu gestalten? Eine Reportage über die Arbeit der KAHR-Forschenden, die vom BMBF gefördert werden.

Die Drohne surrt, leise hört man das Rauschen der Ahr. Aufmerksam beobachtet die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lisa Burghardt der RWTH Aachen, wie sich die Bildaufnahmen auf dem Display des Drohnen-Steuerungsgerät aufbauen. Ihre Aufgabe: Sie führt Messungen an Brücken durch, die bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 in Rheinland-Pfalz und NRW beschädigt oder vollständig zerstört wurden. Diese Messungen sollen Aufschluss darüber geben, inwieweit und in welchem Umfang die bestehenden Brücken das Hochwasser beeinflusst und verstärkt haben.

Neben der RWTH Aachen arbeiten in der Initiative KAHR zwölf weitere Forschungsinstitutionen und Einrichtungen an der wissenschaftlichen Begleitung am Wieder- und Neuaufbau der Flutregionen. Gefördert werden sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit der Sofortmaßnahme KAHR: Klima-Anpassung, Hochwasser und Resilienz.

„Aktuell sind wir wegen den beschädigten Brücken im Einsatz. Dabei erstellen wir mithilfe einer Drohne ein Geländemodell. Das heißt, wir bekommen so alle Daten aus der Vogelperspektive: wie der Fluss aktuell läuft, wie das umliegende Gelände beschaffen ist, welche Brücken zerstört sind. Die Drohne fliegt jetzt auf ungefähr 100 Metern Höhe und liefert uns auf sechs Zentimeter genaue Werte. Früher konnten solch präzise Messungen nur mit erheblichem Aufwand und sehr umständlich durchgeführt werden. Durch diese Genauigkeit können wir heute sehr aussagekräftige Simulationen erstellen", berichtet Lisa Burghardt. Insgesamt beschädigten oder zerstörten die Wassermassen durch das Starkregenereignis 2021 binnen weniger Stunden über 70 Prozent aller Brücken im Ahrtal – darunter Eisenbahnbrücken, Autobrücken und Fußgängerbrücken. Diese immensen Schäden bedeuteten – und bedeuten bis heute – große Einschränkungen. Unter anderem durch das beschädigte Schienennetz – gerade wegen der fehlenden Brücken – können auch heute noch viele Bahnverbindungen nicht wiederhergestellt werden. An vielen Orten findet man Behelfsbrücken, damit Fußgänger- und Autoverkehr über den Fluss überhaupt möglich sind. Doch sie sind weder für einen dauerhaften Einsatz geeignet, noch können sie für den Bahnverkehr genutzt werden.

Seit Anfang 2021 arbeitet Lisa Burghardt im KAHR-Projektteam von Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf, Leiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft (IWW). Er erklärt: „Brücken neu aufzubauen und damit die Verkehrsinfrastruktur zurückzugewinnen, ist sehr wichtig – für die Wirtschaft, aber auch für das gesellschaftliche Leben vor Ort. Doch einfach wieder eine alte Brücke aufzubauen, ist in den meisten Fällen nicht sinnvoll. Was wir bei der Flutkatastrophe im letzten Jahr gesehen haben, zeigt ein großes Problem der alten Brücken: Früher wurden zum Beispiel viele Stützpfeiler beim Brückenbau eingesetzt. Durch diese große Anzahl an Stützpfeilern wird angeschwemmtes Treibgut stärker aufgehalten als bei einer Brücke mit wenigen Stützpfeilern. Der Abfluss wird stark beeinträchtigt und die Wassermassen erheblich aufgestaut – bis hin zu einem vollständigen Verschluss. In der Forschung sprechen wir hierbei von Verklausung. Beim Starkregenereignis im Juli 2021 wurden so zunächst ganze Baumstämme, Autos oder Wohnwagen aufgehalten. Irgendwann bricht die Brücke dann zusammen – das ist das Worst-Case-Szenario bei einem Hochwasserereignis. Denn so entsteht eine große Flutwelle, die viel mehr Kraft entwickelt und somit noch mehr Schäden im weiteren Flutgeschehen verursacht."

Ein Piepton ertönt: Die Drohne sendet von oben ein Signal an das Steuerungsgerät. „Jetzt hat die Drohne alle Daten in dem Gebiet aufgezeichnet, das ich zuvor bestimmt habe", erläutert Lisa Burghardt. Die gelernte Umweltingenieurin setzt zur Landung der Drohne an. Behutsam steuert sie diese mit kleinen Hebeln; wenige Meter vor ihr kommt die Drohne zum Halt.

Die Messungen liefern die Grundlage für ein Modell, das die Forschenden entwickeln wollen. Damit will das KAHR-Projektteam zeigen, wie verschiedene Brückentypen ein Hochwasserereignis beeinflussen. Holger Schüttrumpf: „Unser Ziel ist es, am Ende konkrete Empfehlungen aussprechen zu können, welcher Brückentyp an welcher Stelle am besten für einen Neuaufbau geeignet ist. Wir forschen schon sehr lange zu Hochwasserereignissen, doch wir müssen berücksichtigen, dass durch den Klimawandel solche Extremwetterereignisse wie Starkregen zunehmen werden. Um sich besser an die Folgen des Klimawandels anzupassen und mögliche Schäden in der Zukunft zu minimieren, leisten wir von Seite der Forschung gerne unseren Beitrag, unser Fachwissen einzubringen."

Nach einer halben Stunde ist der Messeinsatz beendet, die Drohne wieder sicher im Gepäck verstaut. Dann geht es weiter zu den anderen Brücken – immer der Ahr entlang.

Von den Brückenmessungen zur hydraulischen Simulation

Zurück in den Räumlichkeiten der RWTH Aachen, speist die Wissenschaftlerin die gewonnenen Daten in den Rechner ein. Lisa Burghardt: „Zusätzlich zu dem Geländemodell, das wir vor Ort erstellt haben, brauchen wir für die spätere Simulation noch weitere Daten: die Querprofile. Sie sind dann der Blick von der Seite. Diese Daten erhalten wir von Ingenieurbüros, die die Neuvermessung der Ahr übernommen haben. Sobald wir alle Daten vorliegen haben, können wir dann am Computer die sogenannte hydraulische Simulation machen. Das heißt, wir können nachbilden, wie bei einem Hochwasserereignis das Strömungsverhalten des Flusses aussieht. Dabei werden unterschiedliche Szenarien durchgespielt, die verschiedene Abflussspitzen und Abflussspitzendauer berücksichtigen."

Auch die Beschaffenheit des Geländes ist für die spätere Simulation wichtig: Zu den Daten des Oberflächenmodells fügt die Wissenschaftlerin mit Nachgang noch hinzu, welches Gestein und welche Rauheit in dem jeweiligen Messbereich vorliegt. „Mit Rauheit ist gemeint, welcher Untergrund mit welcher Beschaffenheit an den jeweiligen Messbereichen vorliegt", erklärt Lisa Burghardt. „Denn die unterschiedlichen Rauheiten wirken sich auf das Abflussgeschehen aus. Je nachdem ist der Fließwiderstand höher oder eben geringer." Im Modell erstellt sie ein Raster und kann jedes Dreieck einzeln anklicken und die Beschaffenheit und Detailinformationen festlegen. So baut sich nach und nach ein immer detaillierteres Modell auf, das dann möglichst präzise Simulationen erstellt. Die lokalen morphologischen Gegebenheiten bedingen ebenfalls maßgeblich, wie die Bewegung des Wassers verläuft oder wie Treibgut geschoben wird. „Bei den hydraulischen Simulationen rechnen wir verschiedene Varianten durch und überprüfen, wie sich die Brückentypen auf ein Flutereignis auswirken. Dabei sollen Handlungs- und Bemessungsempfehlungen entwickelt werden, wie eine auf lokale Rahmenbedingungen angepasste Brücke aussehen kann. Um möglichst viele Daten einpflegen zu können, sind wir auch regelmäßig im Austausch mit den weiteren Projektpartnern, aber auch über das KAHR-Projekt hinaus. Gerade im Hinblick auf den Wieder- und Neuaufbau müssen doppelte Arbeiten vermieden werden. Denn Arbeit gibt es genügend."

Anfang September ist es soweit: Die ersten Simulationen können erstellt werden. „Im Moment erstelle ich ein Modell für eine Brücke in Ahrbrück", berichtet die Wissenschaftlerin. „Die Brücke hat zwar das Hochwasser im vergangenen Jahr überstanden, doch wie sieht es bei zukünftigen Hochwasserereignissen aus? Durch ihre Bauweise könnte sie wieder zu Schäden auch in der direkten Umgebung führen. Wir als Forschungsteam untersuchen daher genau das Abflussgeschehen. Die ersten Berechnungen zeigen: Aktuell könnte die Brücke den Wassermengen eines Hochwassers wie 2021 nicht standhalten und so zu einem Risiko werden."

In Zukunft werden noch weitere Simulationen folgen, um Empfehlungen für Kommunen, Baulastträger – wie zum Beispiel die Deutsche Bahn und der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) – sowie für Betroffene bereitstellen zu können. IWW-Institutsleiter Holger Schüttrumpf: „Die Ahr-Brücke in Ahrbrück ist nur ein Beispiel unter vielen, wie sich Forschung einbringen kann. In der BMBF-Initiative KAHR sind Expertinnen und Experten aus der Klima-, Risiko- und Bauforschung sowie der Stadt- und Raumplanung beteiligt. Die unterschiedlichen Anforderungen im KAHR-Projekt profitieren von diesem umfangreichen Fachwissen. Denn Hochwasserschutz ist eine multidisziplinäre Aufgabe."

Der nächste Einsatz der Drohne ist für Herbst geplant, um die Veränderungen an der Ahr aufzunehmen. Wenn es dann soweit ist, ist auch Lisa Burghardt wieder zur Stelle.

„Woche der Klimaanpassung“ – mit dabei: BMBF-Projekte zeigen ihre Forschungsfortschritte

Hitze, Dürre, Starkregen – wie passen wir uns an den Klimawandel an? In der „Woche der Klimaanpassung" vom 12. bis 16. September 2022 berichtet das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) täglich auf der FONA-Webseite zum Fortschritt ausgewählter Klimaanpassungsprojekte, die das Ministerium fördert. Bereits seit 16 Jahren engagiert sich das BMBF in diesem Forschungsbereich.

Sie interessieren sich für die KAHR-Initiative?

Nehmen Sie an der virtuellen Veranstaltung von KAHR bei der „Woche der Klimaanpassung" teil: Am 15. September 2022 ab 15:00 Uhr per Zoom-Link

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Wissenschaftlerin Lisa Burghardt erklärt im Video: „Ich bin sehr froh, hier im Ahrtal aktiv dabei zu sein und selbst einen Beitrag leisten zu können, den Betroffenen mit unserer Forschung helfen zu können.“© DLR, Marcel Soppa

Zur Person

Lisa Burghardt studierte Umweltingenieurwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt und beendete ihr Masterstudium "Sustainable Mangement – Water and Energy" im Jahr 2021 an der RWTH Aachen. Seit Anfang 2022 arbeitet sie im KAHR-Team von Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf, Leiter des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft (IWW), an der RWTH Aachen (Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen).