IQ-Wasser: „Je mehr Daten wir aufnehmen, desto genauer lassen sich die Zusammenhänge entschlüsseln“
In vielen Gewässern ist ein zunehmender Verlust der Biodiversität zu verzeichnen, was die Trinkwasserqualität negativ beeinflusst. Prof. Dr. Andreas Tiehm vom Forschungsvorhaben IQ-Wasser verfolgt das Ziel, neuartige molekularbiologische Methoden mit der Nutzung von KI-Verfahren zu verknüpfen, um so neue Erkenntnisse über die Veränderung aquatischer Ökosysteme zu gewinnen und eine fundierte Prognose der Wasserqualität zu ermöglichen.
Inwiefern wirkt sich der Verlust der Biodiversität negativ auf die Wasserqualität aus?
Die Arten eines Gewässers erfüllen alle unterschiedliche Aufgaben in ihrem komplexen Ökosystem. Dabei stellen sie permanent ein natürliches Gleichgewicht her: Einige Organismen reinigen das Wasser, andere spielen eine wichtige Rolle in der Nahrungskette und so weiter. Wird dieses Gleichgewicht gestört, so kann dies negative Auswirkungen haben. Nehmen wir als Beispiel die Blaualgen. Dabei handelt es sich nicht um Algen im Sinne von Pflanzen, sondern um sogenannte Cyanobakterien. Wie kann eine verringerte Biodiversität die Vermehrung dieser Bakterien begünstigen? Weniger Artenvielfalt kann bedeuten, dass die Cyanobakterien weniger Fraßfeinde haben, mehr Nährstoffe erhalten oder weniger um Licht und Platz mit anderen Organismen konkurrieren müssen. In der Folge können sie sich stark im Wasser vermehren und somit mehr Giftstoffe bilden, die beim Menschen zu Schleimhautreizungen, Entzündungen und Durchfall führen. Insgesamt ist ein Gewässer mit hoher Artenvielfalt ein stabileres Ökosystem und somit weniger anfällig gegenüber Störungen.
Fördermaßnahme BiodivKI
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert „Methoden der Künstlichen Intelligenz als Instrument der Biodiversitätsforschung" Forschungsprojekte, die den Methodenschatz der Biodiversitätsforschung durch KI-Anwendungen und den innovativen Einsatz der Digitalisierung erweitern. Die Fördermaßnahme ist Teil der 2019 gestarteten „Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt" des BMBF.
Aktuell gibt es große Lücken in der Untersuchung und Auswertung von Mikroorganismen. Dies betrifft Viren, Bakterien, Protozoen und Pilze. Mit Hilfe der sogenannten Metagenomik und der Nutzung von KI-Verfahren möchten Sie bessere Erkenntnisse über die Wasserqualität erhalten. Können Sie uns dieses Vorgehen näher erläutern?
Klassische Limnologen, also an Binnengewässern Forschende, erfassen die Biodiversität größerer Organismen wie Fische, Pflanzen und wirbellose Tiere, sogenannte Invertebraten, über Feldbeobachtungen und Mikroskopie. Mit mikrobiologischen Techniken vermehren sie darüber hinaus bestimmte Bakterien, Viren und Pilze auf Nährmedien und ziehen so Rückschlüsse auf ihre Konzentration im Wasser. Die komplexe Artenvielfalt lässt sich damit aber nicht abbilden.
Hierbei können uns moderne Verfahren helfen, mit denen sich die Erbinformationen aller Organismen eines Ökosystems in einem sogenannten Metagenom speichern lassen. Um Zusammenhänge zu verstehen, müssen Metagenome zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Tiefen aufgenommen und mit Klimadaten und weiteren chemischen und physikalischen Messparametern in Zusammenhang gebracht werden. Aus diesen hochkomplexen Daten können wir verschiedene Trends ableiten – beispielsweise, ob bei sich ändernden Klimabedingungen mit einer Algenblüte zu rechnen ist. Und genau hierbei helfen uns Verfahren der KI.
Es gibt bereits eine Reihe von Ansätzen, um mithilfe von KI die Wasserqualität zu verbessern. Inwiefern hebt sich ihr Verfahren von den bisherigen ab?
Tatsächlich ist das Bestreben, mithilfe von KI Einflüsse auf die mikrobiologische Wasserqualität besser zu verstehen, sehr hoch. Hierzu gibt es bereits einige Studien, die beispielsweise den Zusammenhang zwischen Temperatur, verwertbaren Nährstoffen und relevanten mikrobiologischen Parametern in Trinkwassernetzen zeigen. Ein besonderes Merkmal unseres Projektes ist die Kombination historischer Datensätze klassischer Verfahren mit neu aufgenommenen, deutlich komplexeren Daten. Dabei spielen nicht nur Metagenome, also die gesamten Erbinformationen im Wasser, eine Rollte, sondern auch eine Vielzahl weiterer Parameter wie beispielsweise Fluoreszenzspektren – also das Licht, das von Cyanobakterien und Algen reflektiert wird. Durch die unterschiedliche Datenkomplexität steigt die Herausforderung einer Auswertung dieser Daten enorm. Sie ermöglicht uns aber auch eine viel tiefere Einsicht in das komplexe System der Artengemeinschaft im Wasser.
Was passiert, wenn die Daten erfolgreich erfasst wurden?
Die Daten ermöglichen uns, den Zusammenhang bestimmter Prozesse genauer zu verstehen. Je mehr Daten wir aufnehmen, desto genauer lassen sich die Zusammenhänge entschlüsseln. Interessant ist hierbei die Betrachtung bestimmter Szenarien: Was passiert beispielsweise mit unserem Gewässer, wenn die Temperatur um ein Grad steigt oder es eine sehr lange Hitzeperiode mit viel Sonneneinstrahlung gibt? Wichtig für Trinkwasserversorger ist insbesondere eine Vorhersage und Ursachen-Analyse hygienisch relevanter Belastungen wie toxin-bildende Cyanobakterien, Krankheitserreger oder antibiotika-resistente Keime. So können auch Gegenmaßnahmen geplant werden – reflektierende Bojen zur Verringerung der Sonneneinstrahlung zum Beispiel, Maßnahmen zur Verringerung der Einträge oder eine gezielte Entfernung der Belastungen bei der Aufbereitung. Unser Verfahren lässt sich natürlich auch auf weitere Oberflächengewässer anwenden. Dabei lernen wir mit jedem neuen Gewässer etwas dazu.
Aktuell befinden Sie sich in der Konzeptionsphase. Welche Pläne haben Sie für die zweite Phase?
In der zweiten Projektphase wollen wir nicht nur unsere Untersuchungen ausweiten, sondern möchten auch die Öffentlichkeit aktiv an unserem Projekt beteiligen. Viele Gewässer werden als Erholungsgebiete genutzt. Menschen treiben dort Sport, angeln oder gehen spazieren. Neben Informationsmaterial vor Ort stellen wir uns eine Meldemöglichkeit für Beobachtungen am Gewässer vor: Wurden beispielsweise viele Wasservögel oder bisher gebietsfremde Arten gesichtet? Gibt es Anzeichen von Algen am Ufer? Finden sich vermehrt Wildtiere am Wasser ein? All diese Beobachtungen können zum Verständnis der Biodiversität beitragen. Wichtig für uns sind außerdem so genannte invasive Arten, auch Neobiota genannt. Dies sind nicht heimische Arten, die sich in einem Ökosystem ausbreiten und stark vermehren und somit die Biodiversität beeinflussen – beispielsweise durch das Verdrängen heimischer Arten oder dem Eingriff in lokale Nahrungsketten. Auch hier gibt es moderne Verfahren, mit denen sich die eDNA (environment, also Umwelt-DNA) bestimmen lässt, die Auskunft über die Erbinformationen aller Organismen eines Ökosystems geben kann.