Wissenschaft und Praxis im Einklang: Für Nachhaltiges Management der Seeigelfischerei und den Schutz der Meereswälder

Dr. Giovanni Romagnoni ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im internationalen Forschungsvorhaben „MUrFor“. Im Team der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel untersucht er unter der Leitung von Prof. Dr. Marie-Catherine Riekhof die komplexen Wechselwirkungen zwischen Umweltbedingungen, Ökosystemen und Fischerei. Ziel ist es, nachhaltige Lösungen für die Erhaltung der Biodiversität und der Fischerei in Makroalgenwäldern zu entwickeln.

Die fragile Balance der Meere
Im Fokus des Projekts steht die eng miteinander verbundene Dynamik von Fischen, Seeigeln und Makroalgen in küstennahen Felssystemen. Deren Balance ist entscheidend für die Gesundheit der untersuchten marinen Ökosysteme. Eine der Hauptnahrungsquellen der Seeigel sind Algen, die im Mittelmeer ganze Wälder bilden. Eine Überpopulation der Seeigel führt zu einer Überweidung der Algen, während eine zu geringe Dichte der Seeigel die Algen unkontrolliert wachsen lässt und andere Arten verdrängt. Die Herausforderung besteht darin, die „goldene Mitte" zu finden. „Die Nahrungskette Fisch-Seeigel-Makroalgen weist oft irreversible Kipppunkte auf: Ab einer bestimmten Seeigeldichte können sich die Makroalgenwälder plötzlich nicht mehr selbst erhalten und verschwinden", erklärt Dr. Romagnoni. Das Verständnis dieser Kipppunkte ist entscheidend für die Entwicklung von Managementstrategien, die sowohl die ökologische als auch die ökonomische Nachhaltigkeit gewährleisten.

Die Feldarbeit: Ein Blick unter die Oberfläche
Die Forschungsteams des Projekts sind an mehreren Standorten im Mittelmeer aktiv, darunter die Meeresschutzgebiete Tavolara und Capo Caccia vor Sardinien sowie Medas und Cap de Creus vor Katalonien. Hier untersuchen sie die lokalen Seeigel-, Fisch- und Algenpopulationen. „Unsere Forschung hat viele Facetten: Einerseits gehen Ökologinnen und Ökologen ins Feld, um Seeigel, Algen und Fische unter Wasser zu zählen und zu messen; andererseits tragen Modellierinnen und Modellierer neue und historische Daten für Simulationen zusammen", erläutert Dr. Romagnoni. Diese interdisziplinäre Herangehensweise ermöglicht es, zeitlich lange Datenreihen für die Simulation unterschiedlicher Managementszenarien zu nutzen.

Zusammenarbeit mit Fischereigemeinschaften
Ein Herzstück des Projekts ist die enge Zusammenarbeit mit lokalen Fischereiverwaltungen und -gemeinschaften. Diese Partnerschaften sind essentiell, um nachhaltige Fischereipraktiken entwickeln zu können, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll sind. „Die Fischerei ist auf Sardinien ein heikles Thema, ihre Einstellung würde zu starken sozialen Konflikten führen. Die Seeigelfischerei ist hier häufig Subsistenzfischerei und bildet die Lebensgrundlage vieler Menschen an der Küste", betont Dr. Romagnoni. Durch den Dialog mit den Fischereigemeinschaften können die Forschenden ein besseres Verständnis der lokalen Gegebenheiten und Bedürfnisse entwickeln und so praxisnahe und akzeptable Lösungen finden.

Erste Erfolge und laufende Herausforderungen
Trotz der vielen Herausforderungen, zu denen die aufwändige Koordination der internationalen Partnerinnen und Partner und die schwierige Erhebung der erforderlichen Daten gehören, verzeichnet das Projekt erste Erfolge. Insbesondere die innovative Nutzung von Daten, die bei der Kontrolle illegaler Fangtätigkeiten entstehen, bietet neue Einblicke und Möglichkeiten für das Management. Diese Daten, die bisher nie für wissenschaftliche oder verwaltungstechnische Zwecke genutzt wurden, erlauben Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Fischfänge und liefern wertvolle Informationen für die Modellierung der Szenarien. „Ich gehe davon aus, dass das Projekt erfolgreich Synergien zwischen den wissenschaftlichen Partnerinnen und Partnern erzeugen und sich mittelfristig positiv auf die Küstenregionen auswirken wird", ist Dr. Romagnoni zuversichtlich. Die erwarteten Synergien könnten langfristig zu einem besseren Verständnis der ökologischen und ökonomischen Mechanismen führen, die entscheidend für das Management der Fischerei und des Ökosystems und damit wegweisend für zukünftige Managementstrategien sind.

Ein Modell für die Zukunft
Durch die Kombination ökologischer und sozioökonomischer Daten können die Auswirkungen verschiedener Managementstrategien modellhaft simuliert und bewertet werden. Dieser wissenschaftliche Ansatz soll fundierte Entscheidungen ermöglichen, um das fragile Gleichgewicht der marinen Ökosysteme bewahren und gleichzeitig die Lebensgrundlagen der Menschen zu sichern. „Unser Projekt ist ein Anfang", betont Dr. Romagnoni. Mit den Ergebnissen könnten langfristig nachhaltige Lösungen für den Schutz der Meereswälder und die Regulierung der Seeigelfischerei im Mittelmeer entwickelt werden, die sowohl die biologische Vielfalt als auch die wirtschaftliche Stabilität der lokalen Fischereigemeinschaften fördern.

Biodiversa+

Die Europäische Biodiversitätspartnerschaft Biodiversa+ ist ein Netzwerk von 83 Förderorganisationen aus 41 Ländern, das im Jahr 2021 aus dem europäischen Netzwerk BiodivERsA hervorgegangen ist. Biodiversa+ verfolgt fünf zentrale Ziele:

  1. Unterstützung von Forschung und Innovation durch Förderprogramme, Projekte und Kapazitätsaufbau
  2. Entwicklung eines harmonisierten europaweiten Monitoringsystems, um Veränderungen der biologischen Vielfalt zu erfassen
  3. Förderung und Unterstützung naturbasierter Lösungen für die biologische Vielfalt und deren Wertschätzung im privaten Sektor
  4. Bereitstellung einer wissenschaftsbasierten Entscheidungshilfe für die Politik und Verbesserung der Verzahnung von Forschungsergebnissen mit dem politischen Sektor
  5. Förderung der Internationalisierung europäischer Forschung zur biologischen Vielfalt.