Forschung zur Flutkatastrophe 2021: Wie kann der klimaresiliente (Wieder-)Aufbau gelingen? Die KAHR-Initiative stellt ihre Forschungsergebnisse vor
Die KAHR-Initiative wurde ins Leben gerufen, um einen zukunftsfähigen Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe von 2021 wissenschaftlich zu begleiten. Präsentiert wurden die Ergebnisse am 26. November 2024 auf einer Synthese- und Vernetzungskonferenz.
Wie können die flutbetroffenen Regionen in Nordrheinwestfalen und Rheinland-Pfalz nach der verheerenden Flutkatastrophe von 2021 so wieder- beziehungsweise neu aufgebaut werden, dass sie in Zukunft besser vor Starkregen und Überschwemmungen geschützt sind? Dazu begleitet die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Initiative KAHR (Klimaanpassung, Hochwasser und Resilienz) seit 2021 die Regionen mit wissenschaftlicher Expertise. Ziel der Synthese- und Vernetzungskonferenz der Forschungsinitiative KAHR in Köln-Wesseling war es, aktuelle Ergebnisse, Empfehlungen sowie Strategien aus der Forschung zu präsentieren und diese mit Vertreterinnen und Vertretern aus BMBF, Politik und Wissenschaft zu diskutieren. Die hohe Anzahl von fast 100 unterschiedlichen Institutionen, die von den über 200 Teilnehmenden vertreten wurden, zeigte deutlich, wie transdisziplinär die KAHR Initiative aufgestellt ist.
Unterschiedliche Lösungsansätze wurden auf einem hochkarätig besetzten Podium thematisiert. Teilnehmende waren Anja Toenneßen (Landkreis Ahrweiler), Dr. Erwin Manz (Staatssekretär im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz), Matthias Börger (Abteilungsleiter Wasserwirtschaft und Bodenschutz im Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen) sowie die beiden Projektleiter, Prof. Dr.-Ing. Jörn Birkmann von der Universität Stuttgart und Prof. Dr.-Ing. Holger Schüttrumpf von der RWTH Aachen. Einig waren sich die Podiumsteilnehmenden darin, dass ein auf die Zukunft ausgerichteter Hochwasserschutz und eine klimaresiliente Landnutzung jetzt Priorität haben müssen.
Wissenschaftliche Empfehlungen zum klimaresilienten Wiederaufbau der flutbetroffenen Regionen
Eines der Produkte von KAHR ist die Ausarbeitung von 10 Empfehlungen, die Handlungsbedarfe für unterschiedliche Akteure im Wiederaufbau und der Entwicklung und Klimaanpassung von Regionen aufzeigen. Während Prof. Dr.-Ing. Birkmann die „politische und praktische Relevanz" der 10 Empfehlungen auch für den konkreten Wiederaufbau und seine Finanzierung betonte, erklärte Staatssekretär Dr. Erwin Manz, dass die Lösungsansätze zum Schutz vor Hochwasser in den Mittelgebirgstälern, von denen es in Deutschland über 30 gibt, per se theoretisch einfach seien, jedoch aufgrund zahlreicher Interessenskonflikte bei der Flächennutzung sei die Umsetzung in der Praxis dann schwierig. Hier käme der Wissenschaft eine bedeutende Rolle zu: Sie könne die Fakten präsentieren und somit die Diskussion auf einer wissensbasierten Sachebene führen. Dazu seien die 10 Empfehlungen des Projekts KAHR eine sehr gute Grundlage, so Manz. Birkmann hob die Rolle der Wissenschaft als neutraler Akteur hervor und merkte die positive Kooperation mit den Landesministerien während der Projektlaufzeit an. Die Umsetzung der Lösungsansätze in die Praxis erfordere eine gute Zusammenarbeit von Bund, Land und Kommunen.
Beratung für Kommunen: Wiederaufbau von klimaresilienten Brücken im Ahrtal
Prof. Dr.-Ing. Schüttrumpf hielt fest, dass die KAHR-Initiative bereits mehrere Innovationen für den klimaresilienten Wiederaufbau des Ahrtals angestoßen hätte. So würden beispielsweise die Empfehlungen von KAHR für die Bemessung der Brücken, um das Aufstauen von Treibgut zu verhindern, schon aktuell in die Brückenplanung einbezogen. Die Hochwasserereignisse würden in Zukunft zunehmen, Prävention werde daher umso wichtiger.
Ein entscheidender Lösungsansatz aus der KAHR-Initiative bestehe darin, in der Beratung jede bauliche, rechtliche und kommunale Situation individuell zu analysieren und Kommunen entsprechend lösungsorientiert zu beraten.
Einfluss von KAHR – Politische Entscheidung nach wissenschaftlicher Stellungnahme
Ein Erfolgsbeispiel der KAHR-Initiative, das Prof. Birkmann vorstellte, war eine wissenschaftliche Stellungnahme, die von der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler angefragt wurde. Darin geht es um den Neuaufbau der von der Flut zerstörten Levana-Förderschule an einem alternativen, hochwasser- und sturzflutsicheren Ort. Denn so schnell wie sich ein erneutes Hochwasser im Ahrtal entwickeln könnte, könnten die Schülerinnen und Schüler der Levana-Schule aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Einschränkungen nicht rechtzeitig evakuiert werden. „Die Levana-Schule ist eine besonders sensible Infrastruktur", so Birkmann in der wissenschaftlichen Stellungnahme, die – ergänzt von einer Analyse der Abteilung ÖPNV/Schülerbeförderung bei der Kreisverwaltung – dazu beigetragen hat, dass das Land Rheinland-Pfalz der Förderung eines Ersatzneubaus der Levana-Schule an anderer Stelle zustimmte und aus den Wiederaufbaumitteln finanziert. Das Beispiel zeigt, dass die zukünftige Risikovorsorge und Klimaanpassung gegenüber Hochwasser und Starkregen differenziertere Schutzziele und Standards braucht, da man nicht alle Siedlungen, die potenziell von einem Hochwasser getroffen werden können, absiedeln kann. Zudem sind die Gebiete je nach Nutzung unterschiedlich anfällig für Schäden. Diese Differenzierungen fehlen bisher in Gesetzen sowie im Hochwasser- und Starkregenrisikomanagement und in der Raumplanung. Sie sind jedoch besonders notwendig, da mit einer Zunahme an Starkregenereignissen durch den Klimawandel sowie mit weiteren Bebauungen, wie für Wohnen und Arbeiten, zu rechnen ist.
Passgenaue Analysen: Der neue Masterplan für die Flüsse Inde und Vicht
Ein weiteres Ergebnis von KAHR, das auf der Konferenz vorgestellt wurde, ist der sogenannte „Masterplan Inde/Vicht". In diesem Plan wurden 63 Projekte mit über 170 möglichen Maßnahmen zur Stärkung der Hochwasserresilienz der Flüsse Inde und Vicht in Nordrhein-Westfalen und ihrer Einzugsgebiete erarbeitet und entwickelt. Zu den effektivsten Maßnahmen gehören hierbei der Bau von Hochwasserrückhaltebecken, die gezielte Lenkung von Hochwasser zu einem besseren Abfluss, die Anpassung der Leistungsfähigkeit von Brücken und Durchlässen, der Bau von Treibgutfallen, die Anpassung von Ufermauern, Böschungen und Deichen, Flächenumnutzungen für „mehr Raum für den Fluss", aber auch Renaturierungsmaßnahmen sowie hochwasserangepasste Flächenbewirtschaftung und Objektschutz.
Weiterführung von KAHR-Konzepten in der Zukunft
„KAHR hat Zukunftsthemen gesetzt", so Prof. Birkmann. Den Teilnehmenden der Konferenz kündigte er einen Synthesebericht zur Konferenz an. Die Kooperationsnetzwerke, wie zum Beispiel das 2024 gegründete Katastrophenschutz-Netzwerk H-Kat-Net, würden weiterverfolgt.
Aus seiner Sicht bietet die wissenschaftliche Begleitung der Aufarbeitung von Extremwetter-Katastrophen für die Forschung ganz neue Einblicke. Zudem könne die Wissenschaft ihre Forschungsergebnisse zeitnah für den Wiederaufbau in die Diskussionen vor Ort – aber auch auf Länder- und auf Bundesebene – einbringen und damit reale Wirkungen und Veränderungen erzielen.