Blasentang zeigt gekoppelte Reaktionen auf Umweltveränderungen
Ozeane stehen unter Stress: Durch die zunehmende Erwärmung, Versauerung, Überdüngung und Sauerstoffarmut der Weltmeere geraten marine Ökosysteme aus dem Gleichgewicht. Doch die im Meer lebenden Organismen reagieren unterschiedlich auf einzelne dieser Faktoren. Biologinnen und Biologen des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel konnten jetzt erstmals bei einer Alge nachweisen, dass ihre Antwort auf bestimmte Umweltveränderungen positiv und negativ gekoppelt sein kann. Diese Forschungsarbeit wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Projekts BIOACID II gefördert.
Einzelne Stressfaktoren können für die Entwicklung bestimmter Arten von Vorteil sein. Andere Veränderungen können den Lebensraum derselben Art aber auch empfindlich einschränken. Diese unterschiedlichen Wirkungen erschweren Prognosen über künftige Verschiebungen der Artenvielfalt. „Eine der zentralen Fragen ist, ob die Reaktionen auf verschiedene Veränderungen positiv oder negativ miteinander in Verbindung stehen oder ob sie unabhängig voneinander ablaufen", sagt Martin Wahl, Meeresbiologe am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.
Biologinnen und Biologen des GEOMAR und der Universität Rostock haben jetzt in der Online-Fachzeitschrift Scientific Report eine Studie veröffentlicht, die erstmals zeigt, dass bei einer Schlüsselart in Küstenökosystemen, dem Blasentang Fucus vesiculosus, Anpassungen an mehrere Veränderungen auf genetischer Ebene gekoppelt sind.
Fucus vesiculosus ist eine Braunalge, die entlang der Küsten des Nordatlantiks sowie in Nord- und Ostsee weit verbreitet ist. Wie andere Algen spielt sie bei der Bindung von Kohlenstoff im Meer eine wichtige Rolle und bildet die Grundlage von Ökosystemen an den Küstenabschnitten. Allerdings sind die Bestände des Blasentangs in Nord- und Ostsee seit der Jahrtausendwende stark zurückgegangen. Die Gründe dafür sind noch nicht endgültig geklärt.
Für ihre Studie nutzten die Forscherinnen und Forscher eine spezielle Versuchsanlage auf einem Ponton in der Kieler Innenförde. Sie besteht aus insgesamt zwölf Wasserbecken, in denen Küstenökosysteme in kleinem Maßstab nachgebildet werden können. Eine komplexe Regeltechnik ermöglicht die Simulation mehrerer Umweltparameter.
Über einen Zeitraum von zwölf Monaten wurden genetisch unterschiedliche Familien des Blasentangs bestimmten Klimawandelfolgen ausgesetzt - wie erhöhten Kohlendioxid-Einträgen und daraus resultierenden niedrigeren pH-Werten. Zudem simulierte das Forscherteam gezielt Wärmephasen, erhöhte die Nährstoffwerte und erzeugte Phasen mit Sauerstoffarmut.
Die Ergebnisse zeigen, dass Reaktionen auf verschiedene Folgen des Klimawandels genetisch aneinander gekoppelt sind – dieser Nachweis ist für einen marinen Primärproduzenten erstmals gelungen. In der Untersuchung kamen Blasentang-Exemplare einer Familie, die niedrige pH-Werte vertrugen, auch mit höheren Temperaturen und Nährstoffwerten zurecht. Gleichzeitig waren genau diese Algen aber deutlich anfälliger für Sauerstoffarmut.
„In der Natur könnte das bedeuten, dass eine Blasentang-Population, die sich an Überdüngung und sommerliche Hitze angepasst hat, im Herbst durch den Auftrieb von sauerstofffreiem Wasser aus der Tiefe besonders schwer geschädigt oder ganz vernichtet wird", sagt Wahl. Nunmehr müsse auch für andere Meeresorganismen erforscht werden, ob sie entsprechende gekoppelte Reaktionen auf einzelne Klimawandelfolgen zeigen. Erst dann seien belastbare Aussagen über die zukünftige Entwicklung von Ökosystemen im Meer möglich, betont Wahl.
„Die Studie zeigt auch, dass wir in Zukunft noch Forschung benötigen, welche die Reaktionen von Organismen auf mehrere gleichzeitig oder zeitlich versetzt auftretende Umweltveränderungen untersucht. Sonst ist es schwer, belastbare Aussagen über die zukünftige Entwicklung von Ökosystemen im Meer zu treffen", betont Wahl.