UN-Tag der Katastrophenvorsorge: Stromversorgung bei Hochwasser aufrechterhalten

Wie können Kommunen den Zusammenbruch des Stromnetzes durch Hochwasser verhindern? Die neue, im BMBF-Projekt KAHR entwickelte Broschüre „Stärkung der Resilienz der Stromversorgung gegenüber Starkregen und Hochwasser“ bietet Tipps für Stromversorger und Rettungskräfte.

Der Klimawandel beschleunigt sich, die Auswirkungen werden immer sichtbarer. Nach der Hochwasserkatastrophe von 2021 in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geht es jetzt um die Frage, wie sich die Kommunen in Mittelgebirgstälern besser auf häufigere und intensivere Hochwasser vorbereiten können. Das vom BMBF geförderte Projekt KAHR begleitet den Wiederaufbau und die langfristige Katastrophenvorsorge vor Ort mit wissenschaftlicher Expertise und 13 Kooperationspartnern. Die neu veröffentlichte KAHR-Broschüre zeigt Kommunen, Stromversorger und Rettungsdienste auf, wie die Stromversorgung mittel- und langfristig vor Starkregen und Hochwasser geschützt werden kann. Die Praxishilfe wurde gemeinsam mit dem Energieversorger Westnetz erstellt – darunter auch mit Westnetz-Mitarbeiter Fabian Dolfus.

Herr Dolfus, auf über 60 Seiten haben Sie mit weiteren Fachleuten aus dem KAHR-
Projekt einen Leitfaden mit entscheidenden Erkenntnissen und Praxistipps
zusammengestellt. Welches sind die wichtigsten drei Maßnahmen für die
Stromversorgung bei einer Starkregen- bzw. Hochwasserlage und warum?

Erstens muss die Wetterlage genau beobachtet werden, um einen genauen Überblick über die Situation zu erhalten und somit frühzeitig reagieren zu können. Ein Überblick über die Gesamtsituation ist deshalb so wichtig, damit gut eingeschätzt werden kann, welche Maßnahmen als nächste zu treffen sind. Das oberste Ziel ist es, die Situation möglichst schnell unter Kontrolle zu bekommen.
Zweitens muss bei Hochwasser in überschwemmten Stromnetzbereichen im besten Fall kurz oder direkt bei Eintritt des Hochwassers die Stromversorgung kontrolliert abgeschaltet werden. So wird zum einen sichergestellt, dass niemand beispielsweise durch einen Stromschlag verletzt wird. Und zum anderen kann auf diese Weise vermieden werden, dass automatische großflächige Abschaltungen durch Schutzgeräte zu einer Art „Dominoeffekt" führen und nicht betroffene Teile mitabgeschaltet werden.
Die dritte Sofortmaßnahme, hat zwar nicht direkt etwas mit dem Schutz der Stromversorgung zu tun, aber ist dennoch enorm wichtig: Noch vor Eintritt des Hochwassers gilt es, detaillierte Warnungen auszugeben, sodass sich die betroffenen Menschen schnellstmöglich in Sicherheit bringen können. Dafür müssen, klimaresiliente Kommunikationsstrukturen aufgebaut werden, die auch im Falle eines Hochwassers mit Strom versorgt werden können.

Was raten Sie Kommunen, die ihre Stromnetze präventiv schützen wollen? Womit können diese beginnen?

Wir haben uns bei dieser Arbeit insbesondere auf das rheinland-pfälzische Ahrtal fokussiert, das unter anderem so stark von der Flutkatastrophe 2021 betroffen wurde. Doch nicht nur im Ahrtal sondern in ganz Deutschland stellt sich nicht mehr die Frage, ob ein Hochwasser kommt, sondern eher, wann das nächste große Hochwasser kommt. Daher sollte man sich schon jetzt einen genauen Überblick darüber verschaffen, welche Teile des Stromnetzes in hochwassergefährdeten Gebieten liegen. Auch die vermeintlich selteneren Hochwasser sollten hierbei ausdrücklich mitberücksichtigt werden.
Somit können Notfallpläne genauer ausgearbeitet und Gegenmaßnahmen schon im Vorfeld – soweit wie möglich – geplant und vorbereitet werden.
Außerdem sollte man bei der Stromnetzplanung die hochwassergefährdeten Gebiete möglichst meiden. Es gilt, solche Bereiche des Netzes in das restliche Stromnetz so einzubinden, dass diese bei Hochwasser entweder leicht umgeschaltet werden können oder sogar noch länger mit Strom versorgt werden können. Auch nach Ende des Hochwassers sollen die betroffenen Bereiche schneller wieder an das Stromnetz zugeschaltet werden können.

Welche neuen Erkenntnisse konnten Sie durch das Projekt KAHR zum Schutz
der Stromnetze gewinnen?

Der enge Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis hat für wichtige, neue Erkenntnisse gesorgt und die verschiedenen Ansätze haben die Herausforderungen von mehreren Seiten gut beleuchtet. Dadurch sind einfache, aber sehr effektive Maßnahmen abgeleitet worden, die es ermöglichen, Stromnetze auf Dauer vor Hochwasser zu schützen. Beim Einbau von Kabeln können diese beispielsweise mit einem zusätzlichen Schrumpfschlauch versehen werden, sodass weniger Wasser in das Kabel eindringt und sich dadurch die Probleme im Betrieb nach einem Hochwasser verringern.

 

Die gesammelten Erkenntnisse haben Sie und weitere KAHR-Partner in der Broschüre festgehalten. Wem empfehlen Sie diese Broschüre?

Die Broschüre richtet sich an Betreiber kritischer Infrastrukturen, wie zum Beispiel
Stromnetzbetreiber oder Krankenhäuser. Zusätzlich richtet sich die Broschüre auch an Kommunen, wie Gemeinden, Städte oder Landkreise. Und auch für die Bevölkerung können die Inhalte der Broschüre interessant sein. Gerade bauliche Maßnahmen, wie die Installation des Kabelhausanschlusses außerhalb der Keller, können auch für den privaten Eigenschutz genutzt werden. Denn dann haben Netzbetreiber selbst bei Abwesenheit der Mieter bessere Zugangsmöglichkeiten, um den Anschluss wieder instand zu setzen. Zusätzlich ist es wichtig, dass Kommunen und Stromversorger auf das Thema Hochwasser, die Auswirkungen auf die Stromversorgung und die Folgen, wie etwa fehlendes Mobilfunknetz, aufmerksam machen und ihre Bürgerinnen und Bürger im Vorfeld ausreichend informieren.

Die Broschüre bietet klare und praktische Empfehlungen für unterschiedliche Akteure, und zu diesen Empfehlungen auch genaue Beispiele aus Wissenschaft und Praxis.

 

Interviewpartner Fabian Dolfus, Westnetz – Spezialist für leittechnische Systeme und Praxispartner bei KAHR

Fabian Dolfus hat seine berufliche Laufbahn 2015 mit einer Ausbildung zum Mechatroniker bei der Westnetz GmbH begonnen. Es folgte ein praxisintegriertes Studium bei der Westnetz GmbH ab 2019 und praxisintensive Stationen als Trainee bei der Taskforce „Neuaufbau Hochwasser Tief Bernd" sowie im Technikcenter Sekundärtechnik. Seit Mitte des Jahres 2024 arbeitet Fabian Dolfus als Spezialist für leittechnische Systeme im Technikcenter Sekundärtechnik bei der Westnetz GmbH.