Rostock-Warnemünde: Warten auf das perfekte Hochwasser
Der Wind peitscht die Ostsee auf und fegt den Sand über den Strand von Warnemünde. Nur ein Kitesurfer und wenige Spaziergänge sind bei diesem ungemütlichen Wetter unterwegs. Bis am Strandaufgang vor der Jugendherberge ein Schwertransporter mit Begleitwagen vorfährt. Er transportiert einen blauen Bagger, der in den nächsten Tagen seinen großen Auftritt am Strand von Warnemünde haben wird. Hier entsteht Deutschlands größte Forschungsdüne: Eine 120 Meter lange und 1,10 Meter hohe Sanddüne, überwacht von einem mit Sensoren und Kameras bestückten Messpfahl. Zweck der Düne ist es, kaputt zu gehen, erklärt der Küsteningenieur Christian Kaehler. Er beaufsichtigt den Bau der Düne und hofft, dass sie möglichst bald vom Meer zerstört wird: Ich warte auf das perfekte Hochwasser.
Die Küsteningenieure im Forschungsprojekt PADO untersuchen, wie eine Düne bei Hochwasser bricht. Indem die Forscher beobachten, wie Dünen kaputtgehen, möchten sie den Dünenbau und Küstenschutz in Zukunft verbessern. „Hochwasserschutzdünen sind an der deutschen Ostseeküste der wichtigste Schutz vor Überflutungen, so Christian Kaehler. Klimaforscher prognostizieren, dass es mit dem Klimawandel in Zukunft mehr Extremereignisse wie Sturmfluten in Deutschland geben wird. Damit die Schutzwirkung von Dünen verbessert werden kann, müssen die Küsteningenieure sowohl die Prozesse der Dünenerosion und des Dünenbruchs als auch die dem Dünenbruch nachfolgenden Flutungsprozesse verstehen.
An einem Wintertag im Dezember 2017 beobachtet Christian Kaehler, wie der Bagger über den Strandaufgang fährt und dabei tiefe Spuren im Sand hinterlässt. Schon bald wird hier vor der eigentlichen Düne eine zweite Düne stehen. Dass es sich dabei um keine gewöhnliche Düne handelt, verrät ein Hinweisschild, auf dem Strandbesucher darum gebeten werden, die Düne nicht zu betreten, und ein Messpfahl, der aus dem flachen Wasser aufragt. An diesem Messpfahl sind Kameras und Sensoren angebracht, die aufzeichnen sollen, wie sich die Düne unter dem Einfluss des Wassers verformt, bis sie zerstört ist. Auf Höhe des Messpfahls ist eine kleine Delle in der Dünenkrone zu erkennen, eine Art Sollbruchstelle: „Wir hoffen, dass die Düne an dieser Stelle innerhalb von vier oder fünf Tagen bricht, so Kaehler.
Doch das Wetter will nicht so recht mitspielen: Nachdem im Herbst mehrmals erhöhte Wasserstände an der Ostsee gemessen wurden, lässt eine Sturmflut nun auf sich warten. Doch glücklicherweise halten sich die meisten Strandbesucher an die Bitte, die Düne zu betreten. Nur einige wenige Fußabdrücke entdeckt Kaehler Ende Dezember. Und selbst die Warnemünder Großveranstaltung „Leuchtturm in Flammen am Neujahrstag mit rund 85.000 Besuchern übersteht die Düne unbeschadet.
Mitte Januar dann ein Hoffnungsschimmer: Sturm Friederike braut sich über dem Atlantik zusammen und Kaehler hofft, dass er die Forschungsdüne mit sich reißt. Doch Friederike ist in Rostock schwächer als in anderen Teilen Deutschlands und der Wasserstand erreicht den Fuß der Düne nur knapp. Die Chancen, dass in diesem Winter noch ein Hochwasser kommt, schwinden. So oder so wird die Forschungsdüne im nächsten Winter wieder aufgebaut werden, „entweder, um dann endlich eine echte Sturmflut zu erfassen oder um die Ergebnisse aus diesem Jahr zu validieren, so Kaehler.
Doch noch ist die Sturmsaison nicht zu Ende. Die Rostocker Forscher hoffen weiterhin auf eine Sturmflut, die die notwendigen Daten zum Einfluss von Sturmfluten auf Dünen liefert, um unsere Küsten auch in Zukunft zuverlässig zu schützen.
Ziel des Projekts PADO (Prozesse und Auswirkungen von Dünendurchbrüchen an der deutschen Ostseeküste) ist es, den Küstenschutz durch Dünen an der Ostseeküste zu verbessern. Um die Schutzwirkung von Dünen besser planen zu können, müssen die Küsteningenieure sowohl die Prozesse der Dünenerosion und des Dünendurchbruchs als auch die dem Dünendurchbruch nachfolgenden Überflutungsprozesse verstehen. In PADO werden Empfehlungen für ein nachhaltiges Management der durch Dünen geschützten Küstenregionen entwickelt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt das von der Uni Rostock koordinierte Projekt von 2016 bis 2019 mit rund einer Million Euro.