"Wir haben der Natur ihre Natürlichkeit genommen"
Riesige Felder, eine Pflanzenart: Monokulturen bringen meist hohe Erträge – aber sie schaden der Artenvielfalt. „Wir müssen wieder mehr Vielfalt in die Landschaft bringen, mahnt Biologin Alexandra-Maria Klein. Wie das geht, erklärt sie im Interview.
Bmbf.de: Frau Klein, machen wir ein Gedankenexperiment: Wir haben es nicht geschafft, den Rückgang der Artenvielfalt – insbesondere bei Bestäubern – aufzuhalten. Welche Folgen spüren wir zuerst?
Alexandra-Maria Klein: Auf Wiesen werden immer weniger Tier- und Pflanzenarten leben. Denn mit den Insekten nehmen auch die Populationen vieler Vögel, aber auch Mikroorganismen ab. Vor allem heimische Blüten werden dadurch mehr und mehr verschwinden. Die reduzierte Artenvielfalt kann dazu führen, dass Ökosysteme nicht mehr funktionieren.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Kulturpflanzen, die stark auf bestäubende Insekten angewiesen sind – wie beispielsweise Kirschen oder Kürbisgewächse –, werden weniger und qualitativ schlechtere Erträge liefen. Sie werden dann nur noch sehr teuer im Supermarkt zu finden sein.
Warum kommt es immer wieder zu massenhaftem Insektensterben?
Wir wissen aus Simulationen, dass Insektenpopulationen lange widerstandsfähig sind. Wird durch einen Wald eine Straße gebaut, passen sie sich an. Folgen Gebäude, passen sie sich an – sie finden Nischen und überleben dort sehr lange. Doch wie beim Klimawandel gibt es sogenannte Kipppunkte: Diese werden plötzlich erreicht – und dann gibt es kein Zurück mehr.
Was muss die Menschheit ändern, um die Artenvielfalt zu schützen?
Landwirtschaftliche Flächen nehmen hierzulande die Hälfte der Landschaft ein. Und dort dominieren riesige Felder mit Monokulturen – also nur einer Pflanzenart –, bei denen es oft um den höchsten Ertrag geht. Wir haben der Natur ihre „Natürlichkeit genommen. Wir müssen wieder mehr Vielfalt in die Landschaft bringen.
Im Projekt „EcoFruit haben Sie auf Apfelplantagen in Deutschland, Spanien und Schweden untersucht, welchen Einfluss Blühstreifen oder Hecken auf die Bestäubung und natürliche Schädlingskontrolle durch Insekten haben. Was haben Sie herausgefunden?
Maßnahmen wie Hecken und Blühstreifen fördern Vögel und blütensuchende Insekten. Die Insekten bestäuben die Apfelblüten und reduzieren die Schädlinge. Damit beeinflussen sie die Fruchtmenge und -qualität positiv.
Das heißt, so kann man die natürliche Vielfalt zurück aufs Feld holen... Geht das ohne Pestizide?
Vögel und andere Fressfeinde konnten in unserem Projekt Schädlinge nicht gänzlich in Zaum halten. Eines unserer Ergebnisse ist daher auch: Es gibt kein perfektes Szenario. Aber es gibt einzelne Betriebe, die es trotz des Einsatzes von Pestiziden schaffen, die Artenvielfalt zu wahren. Wir müssen daher noch weiter erforschen, welche Maßnahmen funktionieren. Dafür brauchen wir Demonstrationslandschaften nicht nur für die Forschung, sondern auch, damit die Zivilgesellschaft biodiverse Agrarlandschaften und ihre erzeugten Produkte erleben kann.
Was können die Bürgerinnen und Bürger für die Artenvielfalt tun?
Sie sollten regionale Bauern unterstützen und wertschätzen, die bereits die Artenvielfalt erhalten und fördern. Dazu hilft es, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Die Konsumenten sollten nachfragen, wie die Produkte angebaut werden und mit welchen Pflanzenschutzmitteln. Nur alles unhinterfragt zu kaufen, wo ein „Bio-Label drauf ist, wird den Insekten kaum helfen.
...warum?
Bio heißt nicht bei allen Produkten und von jedem Erzeuger, dass es gesünder für uns Menschen und besser für die Insektenvielfalt ist. Beim Anbau von Obst und Gemüse dürfen durchaus Pestizide verwendet werden – solche, die aus der Natur stammen, und auch diese töten Insekten. Ich bin daher dafür, dass Produkte, die ganz ohne Pestizide produziert werden, für den Verbraucher gekennzeichnet werden.
Was können Sie aus Forschungssicht für den Erhalt der Artenvielfalt empfehlen?
Biologischer Anbau bei gleichzeitiger Förderung von Nützlingen und Biodiversität muss stärker unterstützt werden. Wir brauchen wieder mehr Blühstreifen und extensives Grasland in unmittelbarer Nähe zu landwirtschaftlicher Nutzfläche. Und Landwirte sollten verschiedene Sorten und Kulturen auf kleinen Flächen anbauen – so kriegen wir die Vielfalt wieder in die Agrarlandschaft. Gleichzeitig müssen wir weiterforschen: Denn unser Wissen über die komplexen Zusammenhänge der verschiedenen Ursachen und das Ausmaß des Artenrückgangs ist noch lückenhaft.
Der Verlust an Artenvielfalt ist eine unterschätzte globale Herausforderung: Trotz vielfältiger nationaler und internationaler Bemühungen scheint der Negativtrend ungebremst. Grund hierfür sind auch erhebliche Wissenslücken über Ausmaß, Ursachen, Mechanismen und Folgen des Artenverlustes, die einer stärkeren Mobilisierung der Öffentlichkeit und einem gezielten Handeln entgegenstehen. Mit der neuen „Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt möchte das Bundesforschungsministerium diese Lücken schließen und Lösungen im Dialog mit Anwendern entwickeln. Dafür stellt das BMBF in den kommenden Jahren 200 Millionen Euro bereit.