Fahrrad statt Auto
Zur Arbeit fährt Sophia Becker mit dem Fahrrad an die Technische Universität Berlin. Dort erforscht sie am Fachgebiet Nachhaltige Mobilität und transdisziplinäre Forschungsmethoden, wie klimafreundliche Mobilität in Deutschland gestaltet werden kann.
Vor 16 Jahren schrieb sich Sophia Becker in Münster für Psychologie ein. Das Ziel war Psychotherapeutin zu werden. Sich mit menschlichen Problemen auseinanderzusetzen und Lösungen dafür zu suchen macht ihr Spaß. Nur als Beruf konnte sie es sich am Ende ihres Studiums nicht mehr vorstellen. Über die Initiative „Psychologie im Umweltschutz" kam sie auf die Idee, sich auf Umweltthemen zu spezialisieren: „Seither bin ich Feuer und Flamme." Von 2017 bis 2019 arbeitete sie als Wissenschaftlerin im ENavi-Projekt. Sie untersuchte, wie politische Maßnahmen und individuelle Verhaltensänderungen ineinandergreifen müssen, um die Verkehrswende in Bewegung zu bringen. Becker ist sich sicher: Auto-Städte müssen lebenswerter werden. Sie brauchen eine bessere Infrastruktur für Fahrradfahrer, Fußgänger und die öffentlichen Verkehrsmittel. In Berlin erlebt sie täglich, was ihre Forschung bewirken könnte – denn ein eigenes Auto hatte sie noch nie. Seit 2020 ist sie Professorin für Nachhaltige Mobilität und transdisziplinäre Forschungsmethoden an der Technischen Universität Berlin. In ihrer Forschungsarbeit geht es darum, die Verkehrswende als sozio-technischen Transformationsprozess zu analysieren und zu unterstützen. Sozio-technisch bedeutet, dass es um menschliches Verhalten, Akteure, und Maßnahmen geht, aber auch um neue Infrastrukturen und Technologien für eine zukunftsfähige Mobilität. „Es gibt viele Gestaltungsmöglichkeiten für einen klimafreundlichen Umbau des Verkehrssystems, aber oft dauert es sehr lange, bis sie tatsächlich genutzt werden. Das ist eine Frage, die mich sehr interessiert: Warum dauert Veränderung so lange und ist oft so schwer zu erreichen? Wie kann man das beschleunigen?" so Becker.
„Die Mobilität einer Stadt ist ihre Identität."
„Bei der Energiewende ist Deutschland Vorreiter. Bei der Verkehrswende leider nicht", sagt Becker. Das Land stecke in einer Identitätskrise: Es definiert sich über seine Ingenieurskunst, die eng mit der Automobilindustrie verknüpft ist. Auf der anderen Seite leidet das Klima unter den vielen Abgasen, die Luftqualität in den Städten wird immer schlechter und das Vertrauen in die Automobilindustrie hat durch den Diesel-Skandal gelitten. Ihr Opa, mit dem sie gerne darüber streitet, sagt dann immer: „Die Automobilindustrie hat uns groß gemacht und uns wirtschaftlichen Erfolg gebracht!" In Stuttgart hat sie in Umwelt- und Techniksoziologie promoviert, dort hat sie diese Einstellung besonders gespürt. Trotz grünem Ministerpräsidenten und grünem Oberbürgermeister ist Stuttgarts Leitbild von der Automobilindustrie geprägt. Das Auto ist ein wichtiges Statussymbol der Deutschen, nicht nur in Stuttgart. „Dabei profitiert jeder davon, wenn er mit Rad statt dem Auto zur Arbeit fährt", meint die 36-Jährige. Nicht nur, weil es besser für das Klima sei, sondern auch für die Gesundheit. „Radfahren baut Stress ab." Man könne verstopfte Straßen umfahren, weniger Geld koste es auch. „Für welches Verkehrsmittel wir uns entscheiden, hängt von unserem sozialen Umfeld ab", erklärt die Psychologin. Wenn alle Kolleginnen und Kollegen mit einem großen Auto zur Arbeit kommen, dann wird es schwieriger sich selbst fürs Fahrrad zu entscheiden. Es müssten Anreize geschaffen werden, damit Menschen aus ihren Gewohnheiten ausbrechen und nicht mehr automatisch das Auto benutzen. So können Firmen beispielsweise Dienstfahrräder statt Dienstwagen unterstützen oder Kampagnen wie „Stadtradeln" jeden Einzelnen bei seinem Ehrgeiz packen und zum Fahrrad fahren motivieren, schlägt Becker vor.
Ein Lastenrad teilen
Der Einkauf oder der Transport der Kinder zur Kita: manche Wege sind mit dem normalen Fahrrad mühsam. Lastenräder, mit oder ohne Motor, können dieses Problem lösen. Becker hat untersucht, wie sich ein Verleihsystem für diese Fahrräder auf die Nutzung von Autos auswirkt: „Da wir nicht jeden Tag Lasten transportieren, ist ein Verleihsystem ideal." Besonders vielversprechend ist für sie, dass knapp die Hälfte aller Studieneilnehmer Autofahrten durch das Lastenfahrrad ersetzt haben. Würden mehr Leute ein Lastenrad nutzen, bräuchte man in den Innenstädten also sehr viel weniger Autos. Becker selbst nutzt das Lastenrad im Alltag auch gerne, gesteht aber lachend, dass ihr Freund ein eigenes Cargobike besitzt und damit am liebsten selbst unterwegs ist.
Forschung muss raus aus dem Elfenbeinturm
Damit die Verkehrswende gelingt, müssen alle Akteure ins Boot geholt werden. Deswegen sind auch an der Forschungsgruppe EXPERI, die Becker leitet, Akteure aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen beteiligt. Nicht nur Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Verbände, sondern auch die Zivilgesellschaft ist in die Forschungsarbeiten des EXPERI-Teams eingebunden. „Die Zivilgesellschaft hat viele Veränderungsprozesse für besseren Radverkehr wirkungsvoll angestoßen, wie zum Beispiel das Berliner Mobilitätsgesetz". Mit diesen Veränderungsprozessen beschäftigen wir uns auch in der Forschung und produzieren dabei Ergebnisse, die eine hohe Relevanz für Politik und Gesellschaft haben.
Entspannt durch die Stadt radeln
Sie selbst freut sich, den Prozess der Verkehrswende als Forscherin mitzugestalten und dabei in einer Stadt wie Berlin zu leben, wo sie die Transformation vor der eigenen Haustür erleben kann. „Berlin hat großes Potenzial zu einer noch nachhaltigeren Stadt zu werden". Sie träumt davon, in Zukunft ihre Ziele in der Stadt auf einer Fahrradschnellstraße sicher und entspannt erreichen zu können, dass Autofahrer langsamer fahren und mehr Rücksicht nehmen, es am Ziel genügend Fahrradparkplätze gibt und sie bei einem Regenschauer mit dem Fahrrad einfach auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen kann. Bis es soweit ist, wird sie trotzdem mit ihrem Fahrrad unterwegs sein: Am Ende eines Arbeitstages an der TU Berlin steigt sie wieder auf ihr Rad und fährt nach Hause.
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