Vom Schreiner zum Klimaretter
Stephan Schindele ging einst als Schreiner auf Weltreise. Heute erforscht der preisgekrönte Wissenschaftler, wie man Landflächen doppelt nutzen kann: auf dem Boden baut man Kartoffeln an und darüber gewinnt man Sonnenstrom.
„Lärn erschdmol ebbes gscheits". Diesen Ratschlag hat Stephan Schindele als Jugendlicher oft von seinen Eltern gehört. Aufgewachsen in einem badischem Dorf, in dem es mehr Kühe als Einwohner gab, legten seine Eltern sehr viel Wert auf eine bodenständige Ausbildung für ihn und seine vier Geschwister. Da kam es dem heutigem Diplom-Betriebswirt und Doktoranden sehr gelegen, dass der Hauptsponsor seiner Fußballmannschaft ihm die Ausbildung zum Schreiner anbot. Das nahm der damals schon sehr wald- und naturverbundene Schindele gerne an. In der Holzverarbeitung arbeitete er allerdings nur kurz.
Direkt nach seiner erfolgreichen Gesellenprüfung bot sein Chef ihm an, die heimische Werkbank gegen einen Schreibtisch in einer der angesagtesten Metropolen Europas zu tauschen: London. Während andere mit 19 noch zu Hause wohnten, übernahm Schindele die verantwortungsvolle Aufgabe eines Key Account Managers. Für ihn war das nicht nur eine einmalige berufliche Chance: Der Puls der Großstadt, die neuen Eindrücke und die kulturelle Vielfalt lösten in Schindele den unwiderstehlichen Drang aus, die Welt zu bereisen. Als ein geplanter Arbeitsplatzwechsel nach China an der SARS-Pandemie scheiterte, kündigte er als 21-jähriger kurzerhand seinen Job und ging ein Jahr lang auf Weltreise. Ein sowohl beruflicher als auch persönlicher Wendepunkt in seinem Leben. Denn auf der Reise wurde ihm vieles klar: Sein Wissensdurst war so groß, dass er sein Abitur nachholen und studieren wollte. Außerdem erkannte er, neben all den schönen Erlebnissen, wie wir der Umwelt und dem Klima mit unserer Lebensweise zusetzen. „Der Geruch der Welt ist der Geruch von Diesel", so beschreibt Schindele seine Eindrücke, die ihn dazu brachten, als ein „Kümmerer für das Klima", wie er es nennt, nach Deutschland zurückzukehren.
Agrophotovoltaik – aus der Schublade auf den Acker
Seine Leidenschaft für Photovoltaik weckte spätestens ein Vortrag von Hermann Scheer, einem innigem Verfechter Erneuerbarer Energien und Mitbegründer der gemeinnützigen Vereinigung Eurosolar. Dieser Leidenschaft geht Schindele heute als Wissenschaftler des Fraunhofer- Instituts für Solare Energiesysteme ISE nach. In der Fraunhofer Gesellschaft fand er nicht nur ein innovatives, visionäres und vor allem transdisziplinäres Arbeitsumfeld. Der zweifache Familienvater fand auch sein „drittes Baby", wie er es liebevoll nennt: die Agrophotovoltaik. In einer Schublade versteckt, entdeckte er das Potenzial eines etwas in Vergessenheit geratenes Papiers des Fraunhofer ISE Gründers Professor Adolf Goetzberger. In diesem, bereits 1982 erschienenem Papier, beschreibt Goetzberger die Möglichkeiten einer gemeinsamen Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen für den Anbau von Nahrungsmitteln und für die Gewinnung von Sonnenenergie. Mit dem Rückhalt und Vertrauen der Fraunhofer ISE Institutsleitung belebte Schindele das Thema unter dem Namen Agrophotovoltaik wieder und wurde mit dem Projekt APV RESOLA Teil der BMBF Fördermaßnahme „Innovationsgruppen für ein nachhaltiges Landmanagement". Als Leiter des Projekts untersucht er, wie aus der nach Science Fiction anmutenden Idee der Doppelernte von Energie und Nahrungsmitteln ein marktfähiger Ansatz für Deutschland entstehen kann. Ziel ist es hierbei, nicht nur die Energiewende voran zu treiben. Die Agrophotovoltaik will auch die wertvolle Ressource Land schützen und Landwirten mit einer zusätzlichen Einnahmequelle helfen. Hierfür errichtete Schindele im Jahr 2016 im baden-württembergischen Heggelbach eine Modelanlage. Das Prinzip der Anlage ist schnell erklärt: In etwa fünf Metern Höhe erzeugt eine Solaranlage Strom, während der Landwirt darunter Platz hat, mit einem Traktor seine Felder zu bestellen. Mit der Modelanlage wird der Ansatz technisch optimiert, für eine maximale Stromernte bei gleichzeitig minimaler Beeinträchtigung des Pflanzenwachstums. Bislang hat das Projekt bereits vielversprechende Ergebnisse hervorgebracht. So vielversprechend, dass Schindele und sein Forschungsverbund unter anderem Preisträger der Auszeichnung „Deutschland - Land der Ideen" sind.
Ein Grund für den Erfolg der Fördermaßnahme ist sicherlich auch Schindeles handwerkliches und technisches Verständnis, das er als ehemaliger Handwerker mitbringt: „Für das Projekt ist es unheimlich wichtig, die technischen Grundlagen zu verstehen", so Schindele. „Meine Berufsausbildung zum Schreiner hilft einerseits dabei, mir dieses Verständnis schnell anzueignen und andererseits mit den involvierten Praktikern auf Augenhöhe zu kommunizieren."
Der Wissensdurst ist noch lange nicht gestillt
Trotz seiner Vision, die Agrophotovoltaik in Deutschland zur Marktreife zu bringen: Wer denkt, dass Schindele sich die Landschaft der Zukunft als riesiges Solarenergiefeld vorstellt, täuscht sich. „Ich will nicht, dass jedes Feld mit Agrophotovoltaik zugebaut wird. Als Wanderer genieße ich selber die unverbaute Landschaft. Wir müssen mit der Agrophotovoltaik nur auf ein bis zwei Prozent der Flächen kommen, um ein gigantisches Potenzial an Solarstromerzeugung zu erschließen.", führt Schindele begeistert aus.
Unermüdlich scheinen seine Leidenschaft und sein Engagement für eine ressourcenschonende Landnutzung zu sein, so dass man sich fragt, was für ihn nach dem Projekt APV-RESOLA kommt. „Mein Wissensdurst ist noch lange nicht gestillt!", sagt Schindele, „Wenn sich die Gelegenheit ergibt, würde ich das Thema gerne weiter voran treiben. Die Agrophotovoltaik ist ein wahnsinnig großes Feld mit mindestens 10 Jahren Potenzial für weitere Forschung und Weiterentwicklung des Ansatzes".
Stephan Schindele geht mit offenen Augen durch die Welt und hat mutige Entscheidungen getroffen, um sich mit Leidenschaft und Engagement der Nachhaltigkeit zu widmen. Man kann also bereits jetzt feststellen: Aus ihm ist etwas Gscheits geworden.
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Information zur Fördermaßnahme:
Mit dem Förderschwerpunkt "Innovationsgruppen für ein Nachhaltiges Landmanagement" verfolgt das BMBF einen neuen Ansatz, um Nachhaltigkeitsinnovationen den Weg in die fachliche Praxis zu ebnen: Wissenschafts-Praxis-Teams arbeiten von Beginn an gleichberechtigt zusammen. Beide Gruppen können sich im Bereich Innovationsforschung und Innovationsmanagement qualifizieren. Neben Forschungseinrichtungen sind Kommunen, Stadtwerke und Regionalplaner ebenso wie Landwirte, Energieerzeuger, Energieagenturen und Ingenieurbüros in den Wissenschafts-Praxis-Teams vertreten. Alle Innovationsgruppen haben das Ziel, regionale Wertschöpfungsnetze zu knüpfen, die sparsam und nachhaltig mit den verfügbaren Flächen umgehen und zu einer integrierten Stadt-Land-Entwicklung beitragen.
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